New Work Digitalisierung

Remote Inc.: Die eigene Firma für alle

Egal ob festangestellt oder freiberuflich, Berufsstart oder Führungsposition – die Idee ist die gleiche: Wenn Menschen im Homeoffice arbeiten, funktionieren sie wie ein eigenständiges Unternehmen – eine Ein-Personen-GmbH quasi. Diese Denkweise prägt das Buch „Remote Inc“.

Foto: Vlada Karpovich, Pexels
Foto: Vlada Karpovich, Pexels

Remote Work als eine Basis-Kompetenz für die Zukunft der Arbeit

Robert C. Pozen, Autor des Buchs „Extreme Productivity“, erklärt Führungskräften als Senior Lecturer an der MIT Sloan School of Management, wie sie ihre persönliche Produktivität erhöhen. Seine Co-Autorin Alexandra Samuel ist eine Datenjournalistin, die den größten Teil ihrer 25-jährigen Karriere remote gearbeitet hat. Auch in Sachen Homeschooling kennt sich die Tech-Rednerin aus, da sie eines ihrer beiden Kinder, einen autistischen Sohn, zuhause unterrichtete.

Was bedeutet remote Work für jede:n von uns?

Robert C. Pozen, Alexandra Samuel:
Remote, Inc. How to thrive at work ... wherever you are
Harper Business, New York 2021, 304 Seiten

Mehr zum Buch

Der Fokus auf digitale Produktivität kennzeichnet denn auch ihr gemeinsames Buch. Die beiden betrachten Remote Work als eine Basis-Kompetenz für die Zukunft der Arbeit, die jeder lernen kann. Dafür sei allerdings ein Denkwechsel nötig: Statt Zwangsjacke des Nine-to-Five-Arbeitsplatzes, der nur auf Anwesenheit und Arbeitszeit schaut, wird der Output, das was tatsächlich bei der Arbeit herauskommt, das Maß aller Dinge. Es geht darum, die Kunden glücklich zu machen. Nicht nur Auftraggeber von Freiberuflern, sondern auch die eigene Führungskraft erheben die Autoren gedanklich in den Kundenstatus.

Arbeit = eine Reihe von Ergebnissen

Arbeit besteht laut Pozen und Samuel aus einer Reihe von Ergebnissen wie etwa einem Marketingplan für eine Produkteinführung, einer neuen Funktion für ein Softwareprogramm oder einem Ethikhandbuch für neue Mitarbeitende. Als Ein-Personen-GmbH oder „Business of One“ tragen Beschäftigte die Verantwortung dafür und haben eine Rechenschaftspflicht. Im Gegenzug werden sie mit Flexibilität und Unabhängigkeit entlohnt. Tempo und Zeiteinteilung der Arbeit richten sie danach, wie gute Endprodukte entstehen können.

Arbeit besteht für die Autor:innen aus einer Reihe von Ergebnissen. Als Ein-Personen-GmbH oder „Business of One“ tragen Beschäftigte die Verantwortung dafür und haben eine Rechenschaftspflicht.

Im Büro koordinierten Beschäftigte sich, indem sie sich alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort befinden. Wenn Menschen zu Hause sind, müssen sie die Koordinierung selbst lösen, meinen die Autor:innen.

„Remote Inc.“ setzt hier an: als praktischer Leitfaden zum Selbstlernen von Selbstorganisation. Ziele formulieren und priorisieren, Technologie optimieren, effektive Meetings durchführen oder soziale Medien zielführend nutzen – das Buch ist in Themen-Kapitel aufgeteilt, die jeweils Strategien und Taktiken, aber auch Tools und Checklisten enthalten. Am Ende jedes Kapitels stellen Pozen und Samuel thematisch passend eine Person vor, die remote arbeitet, und fassen die wichtigsten „Takeaways“ zusammen.

Neuer Tauschhandel: Autonomie für Output

Vertrauen statt Mikromanagement ist für die Autor:innen die Grundvoraussetzung, damit Menschen durch Remote Work tatsächlich produktiver sein können. Dies belegen sie anhand von Studien. Sie geben zwar zu, dass die nötige Autonomie in manchen Bereichen nur bedingt möglich ist und dort auch ihr Modell weniger wirksam sein kann – in Support- und Junior-Rollen etwa oder in der Produktion, wo Anwesenheit die Arbeit ausmacht. Gleichzeitig bleiben Schattenseiten der Verselbständigung von Arbeit unterbelichtet.

Vertrauen statt Mikromanagement ist für die Autor:innen die Grundvoraussetzung, damit Menschen durch Remote Work tatsächlich produktiver sein können.

Die Definition, was Leistung heißt und worauf es letztlich bei den Ergebnissen ankommt, bestimmen Beschäftigte nun stärker selbst. Zwar sollen Führungskräfte einen Rahmen für Remote Work vorgeben, doch letztlich schlagen die Autoren vor, dass jeder und jede die eigene Performance-Datei pflegt. Dabei zählen messbare Ergebnisse, während die schwer- oder nicht-messbaren, die für eine nachhaltige Arbeitsweise ebenso zählen, kaum der Rede wert sind. Persönliche Ziele rücken so in der Prio-Liste womöglich nach oben. Die Aufgabe des Arbeitgebers hingegen, passende Strukturen und Prozesse für gute Arbeit aufzubauen, fällt leicht unter den Tisch. Offen bleibt, wie es so gelingen könnte, die Organisation als lebendiges System voranzubringen, in dem alle gemeinsam miteinander lernen, an welchen Werten außer Produktivität sie ihre Arbeit ausrichten möchten.

Selbstoptimierung also neues Paradigma der Arbeitswelt

Der Zeitgeist der Selbstoptimierung, der mit Aufmerksamkeitstraining, Yoga & Co. gut vereinbar ist, weht durch die Zeilen des Buchs. Zwar empfehlen die Autoren, sich mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzutun, um gemeinsam die Remote-Skills zu verbessern. Auch wer keine Führungsverantwortung trage, solle doch in das Kapitel für Führungskräfte hineinlesen, um deren Perspektive zu verstehen. Doch die Ein-Personen-GmbH birgt ein Dilemma, das „Remote Inc.“ verschweigt: Solange alle allein vor sich hin basteln, rücken das Team und das große Ganze in den Hintergrund. Denn Menschen arbeiten im „Business of One“ nur punktuell zusammen, nämlich wenn es ihren persönlichen Zielen und Prioritäten dient.

Die Ein-Personen-GmbH birgt ein Dilemma, das „Remote Inc.“ verschweigt: Solange alle allein vor sich hin basteln, rücken das Team und das große Ganze in den Hintergrund.

Das Buch enthält viele hilfreiche Tipps, um die Dominanz der Arbeitszeit zugunsten von mehr Wirksamkeit abzulegen. Es zeigt, wo der Trend hingeht: Die Arbeitsweise von Freelancern prägt zunehmend auch abhängige Beschäftigungsverhältnisse – mit all den Freiheiten, aber auch Unsicherheiten, die dies mit sich bringt.