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Blick in die Zukunft: Was Leader von Superforecastern lernen können

Wer Visionen hat, sollte nicht zum Arzt gehen. Vielmehr kann es helfen, die eigenen Prognosen und Vorstellungen für die Zukunft einmal ordentlich zu hinterfragen. Ein Superforecaster gibt Tipps.

Damit die eigenen Prognosen besser sind als die eines Glückskeks, sollte man ein paar Regeln beachten.
Damit die eigenen Prognosen besser sind als die eines Glückskeks, sollte man ein paar Regeln beachten.

Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und der Brexit-Entscheidung des britischen Volkes genießen Prognosen keinen allzu guten Ruf mehr. Den Voraussagen von Experten, so scheint es, ist nicht zu trauen. Keinen Blick in die Zukunft zu wagen, entspricht aber weder der Neugierde des Menschen noch ist es ratsam – besonders nicht dann, wenn man Entscheidungsträger eines Unternehmens oder eines ganzen Staates ist. Doch welche Fähigkeiten brauchen Entscheider, um die richtigen Prognosen treffen zu können? Genau diese Frage stellten sich auch die US-amerikanischen Geheimdienste. Deren Forschungsagentur rief 2010 einen Prognose-Wettbewerb ins Leben, aus dem ein Team durch seine genauen Prognosen hervorstach: Das Good Judgement Project.

Erfolgreiche Teilnehmer dieses Projekts nennen sich Superforecaster und bieten Unternehmen und Organisationen Beratung rund um das Thema Vorhersage an. Bruno Jahn ist einer dieser Superforecaster. Er ist Teil des Unternehmens Good Judgement Inc., das sich aus dem Projekt gegründet hat, und hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben: „Sichere Prognosen in unsicheren Zeiten“. „Wer die Gegenwart richtig liest, kann in die Zukunft schauen“, sagt Jahn. Man müsse nur ein paar Regeln beachten. 

Von der Vergangenheit lernen

Zukunftsvisionen haben immer Konjunktur, aber aus der Gegenwart betrachtet erscheint vieles, was vor zehn Jahren noch als „die Zukunft“ galt, unbedeutend, überbewertet oder immer noch als „die Zukunft“. Das betrifft nicht nur den alten Science-Fiction-Film, in dem im Jahr 2019 Autos durch die Gegend fliegen, sondern auch Business-Prognosen.
 „Es gibt eine unglaubliche Menge an Veranstaltungen, in denen Zukunftsvisionen für Unternehmen erarbeitet werden“, sagt Bruno Jahn, „die sollte man ein paar Jahre später nochmal anschauen und überprüfen, welche Vision wahr geworden ist und welche Prognose falsch war.“ Anstelle des nächsten Design-Thinking-Workshops könnten Unternehmensbereiche also ein Evaluations-Workshop veranstalten. Dieses systematische Auswerten von vergangenen Entscheidungsfindungsprozessen sei sehr wichtig, um neue Einschätzungen treffen und vor allem korrigieren zu können.  „Wenn wir vergangene Technikprognosen auswerten, sehen wir zum Beispiel immer wieder, dass maximal zehn Prozent der Vorhersagen eintreffen“, sagt Jahn. Als konkretes Beispiel nennt er die Technologien rund um das Thema Virtual Reality, einschließlich Google Glass, die hoch gehypt wurden, aber bisher nicht mehr als Nischenprodukte sind. Genau dasselbe Phänomen betreffe die Diskussion um die Telearbeit. „Schon vor 25 Jahren hieß es, dass wir in Zukunft keine Büros mehr brauchen werden. Tatsächlich hat die räumliche Konzentration, gerade im Techniksektor, neue Höhen erreicht. Die Unternehmenssitze tummeln sich im Silicon Valley mit den entsprechenden Konsequenzen für die Grundstückspreise in dem Gebiet.“

„Wenn Unternehmen in die Zukunft blicken, sollten sie sich nicht nur fragen, was sie ändern müssen, sondern auch, was sie beibehalten sollten“
Superforecaster Bruno Jahn

Noch ein weiterer Grund spreche dafür, vergangene Prognosen auf ihre Genauigkeit hin zu überprüfen und auszuwerten: „Wer seine Prognosen nicht aufschreibt, redet sie sich im Nachhinein garantiert schön“, sagt Bruno Jahn.  Dieses Phänomen der Selbstüberschätzung hat unter anderem der US-Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ beschrieben. Ebenso wie die Autoren des Buchs „Superforecasting“ Dan Gardner und Philip Tetlock, einer der Mitbegründer des Good Judgement Projects, hinterfragt er darin vermeintlich objektive Entscheidungsprozesse. 

Unsicherheit aushalten

„Ein Teil unserer Arbeit als Superforecaster besteht darin, das Ausmaß unserer eigenen Unsicherheit zu definieren“, sagt Jahn. Auch deshalb arbeiten Superforecaster mit Prozentwerten. Sie liefern meist keine hundertprozentige Antwort. „Manchmal besteht unsere Beratung auch darin, den Unternehmen zu sagen, dass sie bei einem Projekt den Unsicherheitsfaktor erhöhen müssen.“ Das sei für manche Kunden unbefriedigend – gerade dann, wenn sich eine Prognose nicht um das Bestandsgeschäft drehe, sondern um eine Innovation. „Bisher hat sich noch kein Unternehmen auf unseren Rat hin in ein ganz neues Geschäftsfeld gestürzt. Es war vielmehr so, dass Entscheider nach unseren Ratschlägen Dinge wieder gecancelt haben.“ Oft werde die Geschwindigkeit von Wandel überschätzt. Innovation sei nicht das einzige, um das sich Unternehmen sorgen sollten. „Wenn Unternehmen in die Zukunft blicken, sollten sie sich nicht nur fragen, was sie ändern müssen, sondern auch, was sie beibehalten sollten“, sagt Jahn. 

Prognosen korrigieren

Wenn eine Prognose einmal abgegeben ist, darf sie im Nachhinein nicht mehr verändert werden – dieser Maxime hängen die Superforecaster nicht an. „Manche nennen das dann schummeln, aber tatsächlich ist diese Methode sehr hilfreich, um zu reflektieren“, sagt Jahn. So könne man immer wieder die eigenen Entscheidungen hinterfragen und Annahmen korrigieren.

Dort, wo Führungskräfte als unfehlbare Halbgötter wahrgenommen werden, ist es schwieriger einen Fehler zuzugeben
Bruno Jahn

Als populäres Beispiel nennt der Superforecaster die Wahl Trumps zum Präsidenten von Amerika. „Im Frühjahr 2015 habe ich auch noch über Trumps Kandidatur gelacht, doch mit der Zeit habe ich vielleicht etwas früher als andere erkannt, dass ich meine Einschätzung revidieren muss.“  Eine Korrektur der eigenen Prognosen kann natürlich nur da erfolgen, wo Menschen Fehler zugeben. „In Unternehmen ist das eine Frage der Fehlerkultur“, sagt Jahn, „dort, wo Führungskräfte als unfehlbare Halbgötter wahrgenommen werden, ist es schwieriger einen Fehler zuzugeben und die Reißleine zu ziehen, bevor noch mehr Geld verbrannt wird.“ 

Auf die Schwarmintelligenz setzen

Bei der Entscheidungsfindung tauschen sich die Superforecaster untereinander aus. Diese Erfahrung wollen sie mit sogenannten Superforecasting-Turnieren auch in die Unternehmen, NGOs oder staatlichen Institutionen hineintragen. „Wir ermutigen unsere Kunden, nicht nur die üblichen Experten an den Turnieren teilnehmen zu lassen, sondern intern so viele Menschen wie möglich dafür zu gewinnen.“ Gerade durch den Austausch und das Hinterfragen der eigenen Entscheidungen könne so durch ein Turnier eine ganz andere Kultur in den Firmen etabliert werden.

Die Schwarmintelligenz kann dabei helfen, die eigene Expertise zu hinterfragen. Denn auch das wissen die Superforecaster: Wir Menschen tendieren dazu, unser eigenes Wissen zu überschätzen. „In unseren Workshops lassen wir die Teilnehmer Entfernungen schätzen. In Prozent sollen sie anschließend angeben, wie sicher sie sich mit der Schätzung sind“, erzählt Jahn. Das Ergebnis dieser kleinen Übung: „Wir stellen fest, dass die Leute sich dabei immer wieder überschätzen, sowohl bei den Entfernungen, aber auch bei der Einschätzung, ob die Entfernung, die sie geschätzt haben, richtig ist.“ 

Fragen präzise formulieren

Prognosen und Strategien leiten sich aus Fragen ab – und eine gute Prognose kann nur abgeben, wer zuvor die richtigen Fragen gestellt hat. „Eine gute Frage darf nicht so speziell sein, dass man sich in Details verrennt. Sie darf aber auch nicht zu vage sein“, sagt Jahn. So sei zum Beispiel die Frage, ob 2025 autonomes Fahren möglich sein wird, viel zu vage. Es mache schließlich einen Unterschied, ob 2025 gewisse Teilstrecken von autonomen Fahrzeugen befahren werden können, oder ob der komplette Straßenverkehr ohne Menschen auskommt. „So lange ich am Ende doch noch einen Fahrer im Auto brauche, erübrigen sich alle anderen Prognosen, die mit diesem Thema zusammenhängen“, sagt Jahn. „Wenn ich mir aber zum Beispiel die Frage stelle, ob in den kommenden zehn Jahren die Zahl der Menschen, die als Fahrer beschäftigt sind, um zehn Prozent abnimmt, erkenne ich auch schon sehr schnell meine Unsicherheiten.“

Wer im Vagen bleibt, kann die eigene Prognose im Nachhinein immer schönreden
Bruno Jahn

Die Perspektive, aus der eine Frage gestellt wird, sei außerdem entscheidend. So bedeute der Anstieg der Personen, die sich vegan ernähren, von einem auf zwei Prozent in der Bevölkerung zwar für einen Supermarktbestücker, dass er sein Sortiment mit veganen Milchprodukten ausstatten sollte, eine Molkerei wiederum müsse sich wegen dieses Anstiegs nicht um ihr Bestandsgeschäft sorgen. Das genaue Formulieren der Frage helfe zudem dabei, die Prognose im Rückblick genau zu hinterfragen: „Man muss Fragen konkret runterbrechen, um aus den Prognosen lernen zu können. Wer im Vagen bleibt, kann die eigene Prognose im Nachhinein immer schönreden.“ 

Außenperspektive einnehmen

Bruno Jahn würde sich selbst als einen „Jack of all trades and master of none“ bezeichnen. Also als eine Person, die sich in vielen Bereichen auskennt, aber in keinem dieser Bereiche ein Experte ist. Das ist eines der Kernmerkmale der Superforecaster: Sie sind imstande, sich in relativ vielen Gebieten relativ schnell Wissen anzueignen. „Natürlich gibt es Bereiche, in denen Experten unersetzlich sind“, sagt Jahn, „aber gerade dort, wo die Fragen das technisch Überprüfbare verlassen, würde ich ihre Meinung nicht zu hoch bewerten.“ Denn den Experten fehle es an einer wichtigen Eigenschaft: Der Perspektive von außen. „Bei dem Goodjudgement Projekt merken wir oft, dass das Wissen über eine Weltregion beim Einschätzen einer politischen Entwicklung nicht weiterhilft. Da ist es vielmehr von Vorteil, wenn man Vergleichswerte von einer anderen Region hat und die dann anwendet.“ Als Unternehmen müsse man sich also die Frage stellen, wann Expertenrat wichtig ist, und in welcher Situation andere Ansätze wichtig sind. „Das ist auch ein Grundkonflikt von mir als Superforecaster. Ich möchte nicht als Experte wahrgenommen werden, sondern vielmehr Denkanstöße geben. Ich möchte nicht der nächste Guru sein.“ Dort, wo Führungskräfte aber Wissen und Kompetenz ausstrahlen müssen und sich mit der Hilfe eines Expertenrats eine Form der Absicherung erkaufen wollen, sei diese Abkehr vom Expertentum schwierig.   

 

Bruno Jahn ist seit 2012 als Superforecaster tätig, nachdem er an dem Good Judgment Project teilgenommen hatte. Er arbeitet als Freelancer für das Unternehmen Good Judgement Inc. und ist unter dem Label Fuchsschwarm seit 2015 als selbständiger Berater tätig. 2018 erschien sein Buch „Sichere Prognosen in unsicheren Zeiten: Wer die Gegenwart richtig liest, kann in die Zukunft schauen“.

Das Good Judgement Project wurde unter anderem von dem amerikanischen Psychologen Philip Tetlock mitgegründet, Autor des Buches „Superforecasting – Die Kunst der richtigen Prognose“. Aus dem Projekt ist mittlerweile das Unternehmen Good Judgement Inc. hervorgegangen, das Beratung, Analysen und Weiterbildungen anbietet. Als Superforecaster dürfen sich diejenigen Projektteilnehmer bezeichnen, die bei einem Prognosewettbewerb auf der Internetplattform Good Judgement Open besonders gut abgeschnitten haben.