New Work Selbstorganisation

„Menschen stellen fest, dass sie ihren Acht-Stunden-Job auch in drei Stunden schaffen“

Interview 25-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Gehalt? Das geht auch und gerade in Zeiten von Corona, sagt Lasse Rheingans.

„Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern die Sicherheit und ein Umfeld bieten, in dem es erlaubt ist, dass an manchem Tagen mehr als eine Stunde Arbeit eben nicht möglich ist“, sagt Lasse Rheingans. Foto: Eunice on Pexels
„Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern die Sicherheit und ein Umfeld bieten, in dem es erlaubt ist, dass an manchem Tagen mehr als eine Stunde Arbeit eben nicht möglich ist“, sagt Lasse Rheingans. Foto: Eunice on Pexels

Die 25-Stunden-Woche in Zeiten von Corona – Ist das möglich?

Lasse Rheingans: Ich glaube, aktuell halten nicht nur wir am fünf-Stunden-Tag fest, sondern noch viel mehr Menschen da draußen – ohne es zu wollen oder zu wissen.

Ach ja?

Wenn wir zum Beispiel die Situation der Menschen betrachten, die Kinder zuhause haben und im Homeoffice arbeiten: Die haben nur bestimmte Intervalle, in denen die Kinder beschäftigt sind und keine Aufmerksamkeit brauchen. So geht es mir mit zwei Kindern. In diesen Intervallen kann man arbeiten, aber es kann mir niemand erzählen, dass sich das am Ende des Tages auf acht Stunden aufsummieren lässt.

Also arbeiten aus deiner Sicht aktuell viele Leute weniger, als sie sollten?

Viele Menschen stellen in dieser Zeit wahrscheinlich vielmehr fest, dass sie ihren Acht-Stunden-Job auch in zwei bis drei Stunden schaffen. Weil es gar nicht anders geht. Weil sie in einer viel kürzeren Zeit hochkonzentriert zum Ziel kommen müssen.  

Eigentlich ging es nie wirklich um die Zeit, sondern um die Ergebnisse.

 

Ist das bei deinen MitarbeiterInnen auch der Fall?

Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, wie viele Stunden meine MitarbeiterInnen aktuell am Tag arbeiten, weil wir alle im Homeoffice sind. Eigentlich ging es auch nie wirklich um die Zeit, sondern um die Ergebnisse. Vor allem bei kreativen Prozessen lässt sich die dafür benötigte Arbeit nur schwer in Stunden angeben.

Das klingt etwas komisch aus dem Mund der Person, die sich mit dem Etablieren der 25-Stunden-Woche einen Namen gemacht hat.

Der Startschuss für die 25-Stunden-Woche fiel im November 2017. Natürlich haben wir unsere Arbeitsweisen seitdem flexibilisiert.  Vom starren Konstrukt, also der Präsenz im Büro von acht bis 13 Uhr, sind wir ein wenig abgerückt, weil manche Dinge keinen Sinn ergeben hatten. Für einige Mitarbeiter war es zum Beispiel schwierig, um Punkt acht im Büro zu sein, andere wollten gerne ein paar Tage im Homeoffice arbeiten.

Wart ihr in der Anfangsphase zu perfektionistisch?

Wir haben diesen strengen fünf-Stunden-Tag im Büro anfangs gebraucht, um zu erkennen, wo unsere Zeitfresser liegen und welche Prozesse wir im Schlepptau hatten, die keinen Sinn mehr ergeben haben. Mittlerweile kennen wir uns gut. Die Prozesse, Arbeitsweisen und Abstimmungen sind so klar, dass es eigentlich egal ist, wie, wo und wann die Leute arbeiten. Sie haben ihre Aufgaben zu erledigen und genau das machen sie selbstverantwortlich.

„Ich glaube, aktuell halten nicht nur wir am fünf-Stunden-Tag fest, sondern noch viel mehr Menschen da draußen“, sagt Lasse Rheingans.
„Ich glaube, aktuell halten nicht nur wir am fünf-Stunden-Tag fest, sondern noch viel mehr Menschen da draußen“, sagt Lasse Rheingans.

Was hat euch geholfen, diese Flexibilität zu erreichen?

Wir haben uns ein gut strukturiertes Arbeitsumfeld geschaffen. Wir haben jeden Morgen um neun einen Termin zum Austausch. Wir haben ein Ticket-System für Supportanfragen. Wir haben ein Projektmanagementsystem, in dem jeder ganz genau weiß, was das Ziel jeder einzelnen Aufgabe, die Kundenerwartung und die optimale Umsetzung sind. Wir brauchen das Büro eigentlich nicht.

Dieses gut strukturierte Arbeitsumfeld hatten und haben nicht alle Unternehmen, deren MitarbeiterInnen jetzt allein vom Homeoffice aus flexibler arbeiten sollen.

Viele Unternehmen werden ins kalte Wasser geschmissen, ja, aber viele befinden sich auch in einer steilen Lernkurve. Sie merken, dass einige Prozesse, die sie nicht verändern wollten, auch anders funktionieren und Tools, die sie nicht als notwendig erachtet hatten, doch sehr hilfreich sind. Ich hoffe, dass diese Erfahrungen anhalten und produktiv genutzt werden.

Diese Hoffnung ist aktuell in vielen Debatten und Beiträgen zu spüren. Arbeit, so heißt es dann, wird jetzt digitaler, vernetzter, agiler, hierarchiefreier. Stimmst du zu?

Die Arbeitswelt verändert sich nicht erst seit Corona, sondern seit Jahrzehnten. Sie wird komplexer und global vernetzter. Es gibt viele Aufgaben, die eine Person nicht allein angehen kann. Corona schmeißt jetzt viele Prozesse über den Haufen. Eine schnelle Zusammenarbeit wird also noch wichtiger. Unternehmen sollten ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeiter schnell und agil auf Veränderungen reagieren können. Das ist eine Haltungsfrage. Denn wo schnell und agil Entscheidungen getroffen werden sollen, müssen alle bereit sein, ihre eigene Meinung über Bord zu werfen und sie müssen bereit sein, voneinander zu lernen – über Hierarchien hinweg.

Auch wenn die Titanic untergeht, die Band hat zu spielen. - Das ist bekloppt.

 

Spielt Arbeitszeit bei diesen Veränderungen überhaupt eine Rolle?

Wir sehen doch, dass Menschen, die in einem permanenten Stressmodus sind, weniger Leistung bringen können, und dass ihre Potentiale gehemmt sind. Eigentlich sollten Unternehmen ihren Mitarbeitern deshalb die Sicherheit und ein Umfeld bieten, in dem es erlaubt ist, dass an manchem Tagen mehr als eine Stunde Arbeit eben nicht möglich ist.
Wir haben zum Beispiel aktuell eine Kollegin, die aus der Elternzeit zurückkommt und direkt zu mir gesagt hat, dass sie momentan keine fünf Stunden am Tag arbeiten kann. Das akzeptiere ich. Aber selbst, wenn ich es nicht akzeptieren würde, könnte sie ja trotzdem nicht mehr Zeit aus einem Tag rausholen. Das entspricht auch dem Effectuation-Prinzip: Arbeite mit dem, was du hast. Viele Führungskräfte haben aber ein anderes Mindset. Die sagen, arbeite so, wie es in deiner Stellenbeschreibung steht. Die sagen, auch wenn die Titanic untergeht, die Band hat zu spielen. Das ist bekloppt.

In seinem Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ schreibt Lasse Rheingans über die Erfahrungen, die er uns sein Team mit der 25-Stunden-Woche gemacht haben.
In seinem Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ schreibt Lasse Rheingans über die Erfahrungen, die er uns sein Team mit der 25-Stunden-Woche gemacht haben.

Verändert sich in deiner Wahrnehmung aktuell dieses Mindset bei Führungskräften?

Diese starren Regeln und Prozesse bieten Sicherheit, deshalb halten sich viele Managertypen daran fest. Allerdings kann die Krise nicht mit diesen Strukturen beantwortet werden. Ob die Menschen also wollen oder nicht, das Umdenken muss stattfinden und es findet in vielen Bereichen statt. Wie nachhaltig das ist, das werden wir mit der Zeit sehen.
Von unseren Kunden gehen die Nachfragen nach Workshops und Schulungen zum Thema New Work und Kulturwandel in dieser Zeit stark zurück. Jetzt steigt eher die Nachfrage nach Technologie, nach diesen „low hanging fruits“. Also das, was Unternehmen brauchen, um über die Runden zu kommen. Wenn sie das schaffen, denke ich, dass sie sich mit dem Kulturwandel beschäftigen. Denn die Aspekte, die sich hinter „New Work“ verstecken, sind in meinen Augen genau das „Zaubermittel“, um gemeinsam als Team in diesen unsicheren Zeiten durch die Krise zu kommen und schnell, sinnvoll und flexibel auf immer neue Herausforderungen reagieren zu können.

Was möchtest du den Unternehmen dann raten, was kannst du ihnen aktuell raten?

Auch auf die Gefahr hin, dass ich in eine esoterische Ecke gestellt werde: Was viele Unternehmen noch nicht nutzen, ist Meditations- und Achtsamkeitstraining. Wir alle könnten diese Ruhe aktuell nutzen, um mit Achtsamkeitsmethoden oder Meditation zu reflektieren: Wo stehe ich gerade und was sind die nächsten kleinen Schritte. Ein Logbuch kann dabei auch helfen.

Wie etablierst du diese Achtsamkeit in deinem Team?

Ich kann das nur vorleben. Wenn Kollegen Methoden oder Ideen aufnehmen, ist das super, aber es ist ihre Entscheidung. Wobei das Priorisieren von Aufgaben, das wir ja von Beginn an gemacht haben, auch eine Achtsamkeitsmethode ist. Es hilft, wenn man den Tag in einem Ruhemoment beginnt und sich bewusst macht, welche Ziele man erreichen möchte. Ich habe dafür tatsächlich ein Klemmbrett mit einer Liste, auf die ich meine Tagesaufgaben schreibe und es tut sehr gut, die nach und nach abhaken zu können.

Gehst du die Corona-Krise auch wie eine große Aufgabe an, die es zu bewältigen und abzuhaken gilt?

Ich stelle mit grundsätzlich gerne Aufgaben und gebe mir selbst hin und wieder 30-Tage-Challenges, in denen ich dann zum Beispiel kein Fleisch esse, 30 Tage auf Kaffee verzichte oder auch jeden Tag meditiere. Ich fokussiere mich dabei auf eine Veränderung. Corona umfasst aber alles: unsere Arbeit, unsere Freizeit, unser Sozialverhalten. Es ist so allumfassend, dass es schwierig ist, daraus Erfahrungswerte abzuleiten. Ich glaube aber, der Fokus auf eine bestimmte Veränderung könnte auch in dieser Situation hilfreicher sein, als der Versuch, alles überblicken und beobachten zu wollen.

Zur Person

Lasse Rheingans gründete 2017 die Rheingans GmbH, mit der er als „Rheingans Digital Enabler“ im November 2017 den Fünf-Stunden-Tag einführte. 2018 erhielt er für das Konzept den 2. Platz des „Chefsache Awards“, 2019 gewann er den ersten Platz des Xing New Work Awards. Sein Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ erschien im gleichen Jahr im Campus Verlag.