Change Management Organisationsentwicklung

Die permanente Transition

Kommentar Wenig ist so wichtig für die Zukunftsfähigkeit von Organisationen wie der richtige Umgang mit Veränderung. Kein Wunder also, dass Beratungsfirmen jedes Jahr mit einem reichhaltigen Angebot für Change Management viel Geld verdienen. Warum verändern wir nicht unsere Art, etwas zu verändern?

Foto: Daria Shevtsova von Pexels
Foto: Daria Shevtsova von Pexels

Wo kommt der Change denn her? Wer hat den eingeladen?

Da sitzt er nun, der Change, laut und schwatzend. Der ungebetene Gast auf der eigenen Party, den niemand so richtig mag und den man nur eingeladen hat, weil es aufgrund von gesellschaftlichen Konventionen keine Option gab, ihn nicht einzuladen. Er wird von niemandem richtig beachtet oder einbezogen. Die Party findet eigentlich ohne ihn statt. Und doch sitzt er mittendrin.

Ist der Ruf erst ruiniert...

Es verändert sich viel in Deutschlands Unternehmen. Neben all den Megatrends und den MitstreiterInnen, die deutlich machen, was sich alles verändern muss, befinden wir uns derzeit zusätzlich noch in einer nie da gewesenen globalen Pandemie, die mitunter auch unsere Art uns zu begegnen und zusammenzuarbeiten nachhaltig beeinflussen wird. Die Pandemie ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass der Wandel, mit dem wir es zu tun haben, inzwischen auf völlig unbekanntem Boden stattfindet. Erfahrungen und gelernte Handlungsweisen helfen uns jetzt nicht mehr weiter. 

Wir erkennen nicht, dass das „Wie“ der entscheidende Erfolgsfaktor für Change ist. Stattdessen konzentrieren wir uns auf das „Was“, denn da steckt Neues drin.

Wir benötigen neue Strategien und wir müssen uns genauer damit befassen, wie wir Veränderungen treiben. Die erfreuliche Nachricht lautet, dass viele Organisationen viel tun, um Dinge im Sinne der Zukunftsfähigkeit zu verändern. Es wird digitalisiert, agilisiert, modernisiert und investiert, sowohl in die Weiterbildung der Mitarbeitenden als auch in neue Vorgehensweisen und Prozesse. Bei all dem WAS wird das WIE allerdings immer noch gern ausgeklammert. „Change machen wir später“ ist das Motto, und die Aussagen dazu sind vielfältig. „Zu aufwendig“, „zu teuer“, „passt nicht in den Zeitplan“ oder „wir machen learning by doing“ sind nur einige davon.

Was hat den Ruf von Change so ruiniert? Und warum hört ihm niemand zu?

Die Mär von der Stabilität

„Wir arbeiten in Strukturen von Gestern mit Methoden von heute an Strategien für Morgen, vorwiegend mit Menschen, die die Strukturen von gestern geschaffen haben und das Übermorgen in der Unternehmung nicht mehr erleben werden,“  hat Knut Bleicher schon gesagt. Und damit hatte er Recht. Denn genau dieses systemische Problem lässt uns nicht erkennen, dass das „Wie“ der entscheidende Erfolgsfaktor ist. Wir denken ja, wir wüssten wie, also hinterfragen wir das kaum. Wir konzentrieren uns auf das „Was“, denn da steckt Neues drin. Jede Entscheidung öffnet Räume und Möglichkeiten, schließt aber auch alternative Wege aus. Wer die Strukturen von gestern und die Methoden von heute gemacht hat und nutzt, hängt ganz natürlicher Weise an diesen und orientiert sich unbewusst zu großen Teilen daran.

Bisher ist Change Management so gelebt worden, wie es der Name sagt. Der Wandel ist im wahrsten Sinne des Wortes verwaltet worden. Er wurde lange geplant und konzipiert. Irgendwann ist der komplexe Plan aus einer Blackbox des Managements über die Organisation gekippt und ausgerollt worden. Es gab Wasserfälle, Architekturen und Roadshows. Alles war bis zum Ende des Change durchgeplant.

Bisher ist Change Management so gelebt worden, wie es der Name sagt. Der Wandel ist im wahrsten Sinne des Wortes verwaltet worden.

Diese Auffassung von Change ist allerdings nicht richtig. Sie lebt vom Paradigma der Stabilität und setzt voraus, dass es vor und nach dem Change jeweils stabile Zustände einer Organisation gäbe und dass man Change als ein Projekt begreifen könne. Langfristige Projektplanung, eine konstante Marktsituation und lineare Produktentwicklung waren der selbst erschaffene Standard. Das Innehalten und Luftholen nach dem Projekt, nach der Produktentwicklung oder der Restrukturierung ist allerdings nicht vorhanden. Teams neu zuzuschneiden, Projekte aufzusetzen, kontinuierlich zu digitalisieren, Arbeitsweisen und Frameworks zu verändern und aufgrund von Kundenfeedback alles nochmal schnell über den Haufen zu schmeißen und wieder anders zu machen, ist die alltägliche Realität.

Der Change beginnt nicht irgendwann und er hört auch nicht irgendwann auf. Er ist immer da. Und er ist schnell. Bis zum Rollout eben beschriebener Change-Architekturen war meist schon das nächste Thema in den Startlöchern und die Organisation längst abgehängt. Wir müssen den Change als etwas Neues begreifen und wir müssen ihn gestalten, statt ihn zu verwalten. Das, womit wir es zu tun haben, ist ein ständiger und andauernder Übergangsprozess. Wir befinden uns in einer endlosen Transition.

Der Change beginnt nicht irgendwann und er hört auch nicht irgendwann auf. Er ist immer da. Und er ist schnell.

Das Maß ist entscheidend

Während der Wandel verwaltet wird, ist kein Raum für wirkliche Veränderungsarbeit. Die Menschen, die die Veränderung tragen und gestalten sollen, werden auf ihrem Weg nicht begleitet. Herkömmliche Change-Projekte tendieren dazu, die komplexen Auswirkungen von Veränderungen auf der menschlichen Ebene zu unterschätzen oder framen zu wollen. Dabei wird oft vergessen, dass der Mensch Veränderungen in der Regel als sehr anstrengenden Vorgang wahrnimmt und sich nicht selten davon bedroht fühlt. Ohne entsprechende Begleitung empfinden Führende und Mitarbeitende existentielle Ängste, Orientierungslosigkeit und Kontrollverlust.

Zudem tendieren wir zur Entwicklung von Mustern und lieben gewohnte Vorgehensweisen. Sobald wir können, fallen wir unbemerkt wieder in unsere gewohnten Handlungsmuster zurück und tun im besten Fall zwar die neuen Dinge, aber auf die alte Art und Weise. Das führt in der Regel dazu, dass die erhofften Erfolge des Wandels ausbleiben und alles was Organisationen am Ende gewonnen haben, sind orientierungslose und vom Dauerwandel frustrierte Menschen.

Die Ermittlung des Transition Load sollte zukünftig immer ein Teil der Steuerungslogik einer Organisation sein. Ist sich eine Organisation bewusst über das zu verkraftende Maß an Transition, kann sie damit bei Bedarf auch ein „Transition in Progress Limit“ bestimmen.

Ein Punkt, der bisher kaum beachtet wird, ist auch das Maß an Veränderung, das eine Organisation stemmen kann. Hier empfehle ich, sich drei Ebenen anzuschauen. Erstens die Intensität und damit den Aufwand der jeweiligen notwendigen Veränderung. Zweitens die mögliche und nötige Veränderungsgeschwindigkeit. Und drittens dann die Summe der aktuell parallel laufenden Veränderungsaktivitäten. Ich nenne das Zusammenspiel dieser drei Komponenten den „Transition Load“. Jede laufende Transitionsaktivität kann so in ihrem Ausmaß beurteilt und eingeschätzt werden, und die Summe der Aktivitäten kann besser gesteuert werden.

Veränderung ist eine kontinuierliche Transition

Wenn wir Veränderung künftig als kontinuierlichen Transitionsprozess ansehen, verstehen wir, unter welchem Dauerstress Organisationen dabei stehen und wie schnell sie in die Überforderung gehen. Ein klarer Fokus, in diesem Fall die Reduktion der parallel laufenden Veränderungsaktivitäten wird jetzt noch wichtiger als je zuvor. Zum einen, um den Transition Load auf einem gesunden Niveau zu halten und die wichtigen Themen gut und richtig anzugehen. Und zum anderen, um die notwendigen Ressourcen für die jeweilige Transition optimal einsetzen zu können.

Die Ermittlung des Transition Load sollte zukünftig immer ein Teil der Steuerungslogik einer Organisation sein. Ist sich eine Organisation bewusst über das zu verkraftende Maß an Transition, kann sie damit bei Bedarf auch ein „Transition in Progress Limit“ bestimmen. Transitionen müssen demnach je nach Impact auf die strategischen Ziele priorisiert werden, und was noch nicht umgesetzt werden kann, weil das Limit erreicht ist, wartet im Transition Backlog.

Awareness und Kompetenz sind gefragt

Organisationen müssen die notwendigen Kompetenzen für eine wirksame, kontinuierliche Transitionssteuerung und -begleitung intern aufbauen und sicherstellen. Sie benötigen Teams, bestehend aus TransitionsarchitektInnen und -begleiterInnen, aber auch  entsprechende Awareness in der Führung und auf allen Ebenen. Transitionen müssen willkommen sein, und unsere Einstellung zu ihnen muss sich ändern.

Ein konstruktiver Dialog und Raum zum Üben sind essenziell, um nicht von der Transitionswelle weggespült zu werden, sondern sie zu reiten. Es geht darum, in einen Modus zu gelangen, in dem ständig Neues entstehen darf, sich festigen kann und zu einem Teil des Alltags und der Kultur wird. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die alten Verhaltensmuster nicht wieder unbemerkt aufkommen und alles nach kurzer Zeit, unter einem neuen Mantel, wie vorher läuft. Wenn wir es schaffen, Transitionen als wichtigen alltäglichen Bestandteil für zukunftsfähiges Arbeiten zu verstehen, sie bewusst zu steuern und zu begleiten, dann wird der Change bald schon einer unserer liebsten Party-Stammgäste sein.