New Work Organisationsentwicklung

Weniger Arbeit – voller Lohn: „Utopie“ im Test

Technik nimmt Arbeit ab und macht flexibler. Dennoch sind 9-to-5 und 5-Tage-Woche seit Jahrzehnten Normalität. Allerdings testen derzeit einige Unternehmen eine teilweise radikal verkürzte Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Mit Erfolg?

Gleicher Lohn bei weniger Arbeit – Kann das funktionieren?
Gleicher Lohn bei weniger Arbeit – Kann das funktionieren?

1930 sagte der britischen Ökonom John Mayard Keynes voraus, dass wir dank moderner Technologien künftig nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten würden. Er sollte nicht Recht behalten, zumindest noch nicht. Denn derzeit ist seine These populärer denn je. Wenn Roboter und Algorithmen immer mehr Aufgaben übernehmen, sind neue Konzepte für Arbeit gefragt – auch in Sachen Arbeitszeit. Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Freizeit, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ergab. Die Hälfte der männlichen und gut 40 Prozent der weiblichen Beschäftigten würden ihre wöchentliche Arbeitszeit demnach gerne um mindestens 2,5 Stunden reduzieren.

Vor diesem Hintergrund wagen sich nun einige Unternehmen im DACH-Raum an eine verkürzte Arbeitszeit heran. Vorbilder kommen aus den USA, Australien und Schweden: Eine Toyota-Werkstatt in Göteborg, die schwedische Werbeagentur Oss auf Gotland, das Finanzberatungsunternehmen Collins SBA in Tasmanien. Stephan Aarstol, Gründer von Tower Paddle Board, inspirierte viele mit seinem Buch „The five-hour workday: live differently, unlock productivity, and find happiness”.

Rheingans Digital Enabler testen die 25-Stunden-Woche

Seit Kurzem hat auch Bielefeld ein Unternehmen, das sich dieser „Bewegung“ angeschlossen hat. Lasse Rheingans übernahm im Oktober 2017 die Geschäftsführung der Agentur „überblick“. Neben dem neuen Portfolio für digitalen Wandel und dem neuen Firmennamen „Rheingans Digital Enabler“ zog bald auch die 25-Stunden-Woche in die Kommunikationsagentur ein. „Nine-to-five heißt im Agentur-Business oft nine-to-eight. Und das macht die Leute kaputt“, ist Lasse Rheingans überzeugt, der als Agentur-Gründer die Branche bestens kennt. In seinem vorherigen Job hatte er schon zwei freie Nachmittage und festgestellt, dass sein Privatleben dadurch intensiver wurde und er trotzdem sein Arbeitspensum schaffte. Er wollte den 5-Stunden-Tag ausprobieren und stellte in Gesprächen mit seinen neuen Mitarbeitern fest, dass er mit dieser Idee auf Gegenliebe stieß. So startete im November 2017 der Versuch: 25-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Lasse Rheingans
Lasse Rheingans

Nur fünf Stunden am Tag arbeiten und das Gleiche schaffen wie in acht – wie kann das gehen? Rheingans setzt den Hebel vor allem bei Meetings, Arbeitseinteilung, Pausenkultur und zeitsparenden Tools an. „Bei einem normalen Achtstundentag benötigen wir viele Pausen. Da wird viel Zeit entspannt vertrödelt“, meint der Geschäftsführer. Wer diese Zeit zum intensiven Arbeiten nutze, komme schon locker auf ein bis zwei Stunden pro Tag. Gemütlich Kaffeekochen, mit den Kollegen plauschen, E-Mails und News scannen – derartige Rituale gehörten mit zu den größten Zeitfressern. Standardmäßig ein Stunde pro Meeting zu reservieren, lasse sich auch vermeiden. Oft sei es mit 15 bis 30 Minuten auch getan. Bei den Agenturleuten in Bielefeld geht es um acht Uhr morgens los, um halb neun treffen sich alle zum Stand-up: Projektleitung und Teammitglieder gehen die Prios und Aufgabenverteilung für den Tag durch.

Auch den Kundenkontakt haben die Digital Enabler optimiert. „Unser Ticketsystem hat uns sehr viel Zeit gekostet, dieses ewige Hin und Her mit Fragen und Rückfragen. Der Griff zum Telefonhörer spart oft viel Tipperei – da kann man in einer halben Stunde so viel wegschaffen wie sonst in zwei.“ Tools wie Slack, Headset oder Spezialsoftware kommen bedarfsorientiert von technischer Seite hinzu. Und ein weiteres Learning: Wer häufig aus der Arbeit gerissen wird, braucht oft lange, um wieder den Flow zu finden. Die rund 15 Mitarbeiter, darunter Programmierer und Konzeptioner, sind deshalb angehalten, eine möglichst störungsfreie Arbeitsatmosphäre zu schaffen: Keine Musik, ausgeschaltete Benachrichtigungsfunktionen auf dem Handy und wenig Gespräche zwischendurch. Viele „Digital Enabler“ seien ihm dankbar, dass sie konzentriert arbeiten könnten und nicht vollgequatscht würden.

Bei einem normalen Achtstundentag benötigen wir viele Pausen. Da wird viel Zeit entspannt vertrödelt.

„Der soziale Kontakt ist natürlich wichtig. Das passiert dann aber hauptsächlich nach 13 Uhr.“ Mittwochs und freitags setzen sich zudem nach der offiziellen Arbeitszeit Vertreter aus den verschiedenen Teams zusammen, um über die Arbeitsorganisation zu reden. Sie tauschen sich aus, wo Probleme entstanden sind und warum, wo Kompetenzen fehlten, was den Mitarbeitern geholfen hat und wo man sich noch unter die Arme greifen könnte. „Bei diesem 5-Stunden-Modell kann man nichts verstecken. Es wird sofort klar, wo es hakt und welche Mitarbeiter einfach zu viel Arbeit haben. Das ist wie eine Lupe auf Missstände.“ Als „Fünfstundenpapst“ sieht sich Lasse Rheingans dennoch nicht, denn strenge Vorgaben lehnt er ab. Er hat sich auch schon überlegt, die Arbeitszeiten ganz abzuschaffen. Doch da hat er Angst, dass die Mitarbeiter automatisch wieder mehr arbeiten. „Vielleicht gäbe es dann wieder diesen internen Wettkampf,  je früher desto cooler und je länger desto besser.“ Genau das möchte der Geschäftsführer vermeiden. Es geht ihm darum, die Mitarbeiter für die schlummernden Potenziale und eine neue Organisationsform zu sensibilisieren. „Da lernen wir jeden Tag noch etwas Neues.“

Mit dem bisherigen Verlauf seines Experiments ist Rheingans sehr zufrieden. Die Entwicklung des Umsatzes decke sich mit der Planung, die vor dem 5-Stunden-Tag entstand. Belastbare Zahlen hat er zwar noch nicht, aber dies hält er bei Betriebsübernahmen generell für schwierig, da verschiedene Umstrukturierungsmaßnahmen zusammenkämen. Auch die Krankheitstage im Zeitraum von November bis Februar seien noch nicht wirklich verlässliche Indikatoren – eine Grippewelle könne das komplette Bild verzerren. Die Anzahl der Bewerbungen sei jedoch drastisch gestiegen, davon könnten anderen Arbeitgeber nur träumen. Und auch das Feedback der Mitarbeiter gibt dem Geschäftsführer Anlass zu großem Optimismus: „Die Mitarbeiter sind ausgeglichener und motivierter, weil sie nicht ständig ihren persönlichen Krempel im Kopf haben, den sie inzwischen entspannt am Nachmittag erledigen. Viele bilden sich jetzt in ihrer freien Zeit weiter – nicht, weil ich das erwarte, sondern einfach, weil sie Bock darauf haben.“  Auch die Kunden hätten sich bisher nicht beschwert und überhaupt nicht wirklich gemerkt, dass sich für sie etwas verändert habe.

Forschungsprojekt geht an den Start

Prof. Sascha Armutat
Prof. Sascha Armutat

Inwiefern diese Effekte von Dauer sind, interessiert nicht nur Lasse Rheingans, sondern auch Prof. Dr. Sascha Armutat, Professor für BWL, Personalmanagement und Organisation an der Fachhochschule Bielefeld. Gemeinsam mit den Rheingans Digital Enabler möchte er herausfinden, welche Effekte sich bei dem Experiment einstellen und inwiefern sich daraus Quintessenzen für andere Organisationen ableiten lassen. „Momentan stehen die Mitarbeiter unter starker Beobachtung und das könnte dazu beitragen, dass sie in dieser Vorfront-Situation die fünf Stunden Arbeitszeit besonders gut nutzen. Doch was passiert, wenn diese Arbeitsweise zur Gewohnheit wird? Wie schnell tritt der Gewöhnungseffekt ein und wird dann die neue Arbeitszeit zum Besitzstand? Was passiert, wenn das Modell nicht mehr funktioniert und Mehrarbeit nötig wird?“, stellt der Professor einige Fragen, die ihn beschäftigen. Besonders neugierig ist er bezüglich der neuen Zeiteinteilung. „Uns interessiert, wie die Mitarbeiter das Modell leben und ob die ganze Kulturarbeit am Unternehmen dann außerhalb der offiziellen Arbeitszeit stattfindet“, so der Forscher. Socializing, Projekt-Vorbereitungen, abendliches Kopfzerbrechen über die Gestaltung des nächsten Tages – viele Aufgaben könnten nun außerhalb der vermeintlichen Arbeitszeit liegen, so dass sich die Mitarbeiter doch mehr Zeit mit dem Unternehmen beschäftigen als sie vor Ort sind. „Das ist der interessante Beweis, den das Modell erbringen muss, um nicht nur kurzfristig erfolgreich zu sein: Kriegt man die Kulturarbeit auch hin, ohne dass man dafür Puffer in den Arbeitsalltag einbaut?“

Ein Augenmerk möchte er auch auf verschiedene Tätigkeiten legen. „Bei Routineaufgaben kann ich mir gut vorstellen, dass man die Arbeit derart komprimieren kann. Sobald man aber auf eine hohe Interaktion angewiesen ist und Aufgaben hat, die von kreativen Impulsen aus Gesprächen leben, ist ein ganz enges Zeitgerüst nicht nur fokussierend, sondern auch belastend.“ Möglicherweise erlebten die Mitarbeiter dann die Leitlinie, die Kollegen während der Arbeitszeit möglichst wenig anzusprechen, doch als Zwang und Druck. Für eine Agentur sei es auch sehr ungewöhnlich, die Arbeitszeit auf eine bestimme Lage, nämlich auf die Zeit von 9 bis 13 Uhr zu verorten. „Die Erwartung der Kunden in diesem Umfeld geht eher Richtung 24/7. Die Frage ist auch, wie die begrenzten Zeiten der Erreichbarkeit bei den Kunden ankommen.“

Zu den Erfolgsbedingungen des Modells gehören laut dem Professor für Personalmanagement auch die Art und Weise der Führung, die Vergütungsgestaltung und die gesamte Unternehmenskultur. Er möchte unter die Lupe nehmen, welche Zusammenhänge hier bestehen. Bei agilen Arbeitsmethoden in anderen Unternehmen hat er beobachtet, dass gerade Prozessstandards eine wichtige Rolle bei der indirekten Führung spielen. Begeisterung der Mitarbeiter, Arbeitsstrukturen und Prozessstandards – diesen Dreiklang hat er besonders im Blick, wenn er demnächst mit Bachelor- und Masterstudenten die Forschungsarbeit aufnimmt. In dem Zusammenhang gelte es auch, die rechtliche Perspektive nicht aus dem Auge zu verlieren und zu fragen, was diese neue Zeiteinteilung für Arbeitsordnung und Arbeitsvertrag bedeutet. 

Stufenweise Einführung der 30-Stunden-Woche bei eMagnetix

eMagenetix
Klaus Hochreiter (l.) und Thomas Fleischanderl, Geschäftsführer eMagnetix

In Österreich könnte es bald ein ähnliches Forschungsprojekt geben: Die eMagnetix Online Marketing GmbH aus Bad Leonfelden in der Nähe von Linz plant, demnächst die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen. Die Arbeiterkammer und eine Unternehmensberatung sind interessiert, das Projekt zu begleiten. Der Ansatz ist gleich, die Auslöser und Vorgehensweise jedoch etwas anders. „Wir sind wie viele Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. In manchen Bereichen tun wir uns schwer, Mitarbeiter zu finden. Oft hatten wir auf eine Ausschreibung nur eine Bewerbung über Monate hinweg“, so der 36-Jährige Geschäftsführer Klaus Hochreiter. Er habe sich Sorgen gemacht, wie er die gewohnte Qualität den Kunden so noch bieten könne. Er ist überzeugt, jüngere Menschen fragten nicht mehr so stark nach Gehalt oder Statussymbolen, sondern nach Flexibilität und Zeit. Häufig forderten Kandidaten genau dies im Bewerbungsgespräch ein. Durch die kürzlich veröffentlichte Langzeitstudie der Bundesarbeitskammer in Wien fühlt sich Hochreiter bestätigt: Demnach möchten 36 Prozent aller Frauen und 39 Prozent aller Männer, die über 32 Stunden arbeiten, ihre Arbeitszeit reduzieren. „Da ist es an der Zeit, dass man an der 40-Stunden-Woche etwas ändert“.

Wir verzichten lieber ein paar Jahre auf einen Teil der Gewinne, wenn es sein muss.

eMagnetix hat drei Ansatzpunkte entwickelt, um eine derartige Arbeitszeitverkürzung auszuprobieren: Tools, die Arbeit und Zeit einsparen, ein neues Zeitmanagement mit unterbrechungsfreien Zeiträumen und ein langfristiges finanzielles Investment. Im Vergleich zu Rheingans Digital Enabler gibt es somit drei zentrale Unterschiede: Von Anfang an planen die Österreicher mit ein, dass zunächst nicht unbedingt die gleiche Menge an Arbeit geschafft werden könnte. „Wir sind ein kleines inhabergeführtes Unternehmen. Mir und meinem Partner sitzen keine Stakeholder im Nacken. Wir verzichten lieber ein paar Jahre auf einen Teil der Gewinne, wenn es sein muss. Aber der Fachkräftemangel wird uns auch etwas kosten. Und da kann uns niemand helfen, auch nicht die Politik.“ 

Die Österreicher gehen zudem vorsichtiger an die Sache heran als das Pendant aus Bielefeld: Mit einer stufenweisen Einführung. „Die Mitarbeiter waren vom ersten Moment an eingebunden. Im letzten Sommer haben wir gemeinsam überlegt, was wir bei unserer täglichen Arbeit ändern können, um effizienter zu werden. Da ist eine tolle Liste an Optimierungsmöglichkeiten zusammengekommen.“ Auf dieser Grundlage startete in Herbst ein erster Testballon. Doch da die Mitarbeiter danach zunächst etwas demotiviert waren – schließlich mussten sie nun wieder mehr arbeiten, möchte eMagnetix das Ganze in zwei Schritten umsetzen – ab Juni 2018 die 34-Stunden-Woche und ab Oktober 2018 die 30-Stunden-Woche.

Ein weiterer Unterschied zum „Rheingans-Ansatz“: „Der Pilot im Herbst 2017 hat gezeigt, dass Flexibilität für die Mitarbeiter eine große Rolle spielt. Die wollen wir unseren Leuten auf keinen Fall nehmen“, sagt der Chef der Online-Marketing-Agentur. Bisher gibt es eine 5-Tage-Woche mit Gleitzeit. Innerhalb dieses Modells sei es möglich auch mal früher zu gehen, bis zu acht Stunden zu arbeiten oder weniger als sechs Stunden – das bleibe jedem Mitarbeiter selbst überlassen. Manche Mitarbeiter hätten früher schon gesagt, sie wollten keine Mittagspause. Das sei nun endlich möglich, da man laut offizieller Pausenregelung erst nach sechs Stunden pausieren muss. „Wenn man das umrechnet, sind das auch noch einmal zweieinhalb Stunden mehr Freizeit für unsere Leute.“ An der 5-Tage-Woche will Hochreiter zunächst festhalten, auch wenn er für die Zukunft eine Flexibilisierung in puncto Anzahl Wochentage nicht ausschließen mag.

Bike Citizens favorisieren die 4-Tage-Woche

4-Tage-Woche mit 36 Stunden – dieses Modell gibt es bei der Bike Citizens Mobile Solutions GmbH mit Sitz in Graz und Berlin, die eine App zur Fahrradnavigation für weltweit mehr als 400 Städte vertreibt. Als das neue Arbeitszeitmodell vor vier Jahren eingeführt wurde, korrigierte das Start-up den Lohn zunächst entsprechend der Stundenzahl nach unten. „Diese Lohnanpassung ist aber mittlerweile von der einen oder anderen Gehaltserhöhung wieder aufgefressen worden. Wir zahlen jetzt ein volles Gehalt“, meint Mit-Gründer Andreas Stückl, der am Standort Berlin die Geschäfte führt. Neun Stunden pro Tag, Kernarbeitszeit von 9 bis 15 Uhr – und der Freitag ist für die rund 20 Mitarbeiter in Österreich und auch für die vier in Deutschland frei. Dies gilt allerdings nicht, wenn es in der Woche einen Feiertag gibt. Dann machen die Bike Citizens Überstunden. „In Deutschland gibt es im Mai extrem viele Feiertage. Das würde mit unserem Modell in eine 3-Tage-Woche münden. Deshalb gibt es in den Wochen in der Regel einen Working Friday – zumal da im Fahrradbusiness Hochsaison ist“. Die Mehrstunden werden den Mitarbeitern dann auf ihrem Stundenkonto gutgeschrieben – ein Prozedere, zu dem Unternehmen in Österreich gesetzlich verpflichtet sind und das die Bike Citizens auch in Deutschland praktizieren.

Andreas Stückl
Andreas Stückl

Die Mitarbeiter schätzen laut Andreas Stückl die 4-Tage-Woche. Es habe aber auch schon Ausnahmen gegeben, wenn jemand damit gar nicht klar komme. Beispielweise müsse ein Mitarbeiter nachmittags immer die Kinder vom Kindergarten abholen und arbeite deshalb doch an fünf Tagen mit einer geringeren Stundenzahl. „Bei uns ist nichts in Stein gemeißelt“, sagt der Entrepreneur. Er macht sich auch Gedanken, wie man das Modell noch weiter ausbauen könnte. Auf 32 Stunden zu reduzieren hält Stückl für möglich. Momentan habe die Agentur aber so viel zu tun und müsse noch viele Abläufe verbessern, neue Tools und Kampagnen-Arten testen. Wenn die Mitarbeiter das stemmten und sich die Prozesse einspielten, könne man die Arbeitszeit weiter reduzieren. „Dass wir die 25-Stunden-Woche einführen, kann ich mir allerdings momentan nicht vorstellen. Es wäre natürlich super, aber dann würden wir unsere Arbeit vermutlich nicht schaffen“, zeigt sich der Gründer bezüglich des Modells aus Bielefeld skeptisch.

Fabian Dittrich: Expedition in die Arbeitszeitverkürzung

Einem anderen Berliner kann es in Sachen Arbeitszeitverdichtung nicht weit genug gehen: Fabian Dittrich ist ein Abenteurer, wie er selbst sagt. Er gründete nach einigen Jahren als Pre-Sales Consultant bei Zendesk in San Francisco die erste nomadische Firma, während er mit einem Land Rover durch Südamerika fuhr. „Wir hatten unterwegs gar nicht die Zeit, acht bis zehn Stunden zu arbeiten und mussten gezwungenermaßen die Arbeit auf drei bis vier Stunden komprimieren“, erzählt der Gründer. Zu der Zeit drehte Fabian Dittrich eine Video-Doku über seine Reise und hatte nicht immer Internet. Gleichzeitig konnte er seinen Kunden, zu denen Firmen wie Microsoft, Intel oder Twitter gehören, nicht erzählen „ich bin jetzt mal in der Wüste“. 

Fabian Dittrich
Fabian Dittrich

Er entdeckte auf Reisen eine Vielzahl an Tools. Da Fabian Dittrich ständig Telefontermine mit Kunden auf der ganzen Welt vereinbaren muss, verbrachte er viel Zeit damit zu überlegen, in welcher Zeitzone er und seine Gesprächspartner sich gerade befanden. Dann folgte eine lange Abstimmungsprozedur. Dafür nutzt er heute eine App, die den Kunden Zugriff auf seinen Kalender ermöglicht, automatisch die Zeitzonen synchronisiert und eine direkte Terminbuchung zulässt. „Da wird aus zehn Schritten schnell nur einer.“ Zudem nutzt der nomadische Entrepreneur die „Alfred App”, um sich selbst Shortcuts zu erstellen. Laut Statistik verwendet er jeden Tag 132 Mal einen davon. „Dafür muss man kein Nerd sein. Wenn man 132 Mal nur 20 Sekunden spart, dann sind das schnell zwei Stunden. Jeder kennt den Shortcut „copy and paste“ und die Welt wäre eine andere, wenn wir alles abtippen müssten.“ Es gelte einfach zu analysieren, welche Dinge man besonders häufig tue und für was man eigentlich überqualifiziert sei – sich wiederholende administrative Prozesse. „Über einen Shortcut lege ich bestimmte Tools immer an die gleiche Stelle auf dem Desktop. Das hilft mir einfacher und schneller zu arbeiten. Ich brauche das nicht mehr manuell zu öffnen, vieles geht über eine Tastenkombination.“

Außerdem wendet der nomadische Gründer eine Art Zeitmanagement-Methode an, die er „Batching“ nennt: Er versucht, ähnliche Tätigkeiten wie am Fließband abzuarbeiten. „Wenn wir von Santiago nach Lima gefahren sind, waren wir vier Tage unterwegs, die wir in unseren Kalendern komplett blockiert hatten. An einem freien Tag mit Internetzugang haben wir dann die ganzen Kundengespräche hintereinander geführt. Das ist hocheffizient, weil man nicht dauernd von einer Aufgabe zur anderen springen muss.“ Fabian Dittrich schaut nicht ständig auf seine E-Mails, weil ihn das von seiner aktuellen Aufgabe ablenken würde. Meistens können die Nachrichten doch ein bisschen warten. „Die Welt geht davon nicht unter. Um eine andere Gewohnheit zu formen, muss man das einfach ein paar Dutzend Mal gemacht haben.“

Eine Stunde haben wir allein durch ein neues Mindset gespart.

Entscheidend findet der Abenteurer vor allem die eigene Einstellung zur Arbeitszeit: „Eine Stunde haben wir allein durch ein neues Mindset gespart. Irgendwie mussten wir es schaffen, mit weniger Arbeitszeit klarzukommen – und wir haben das geschafft“, so Fabian Dittrich. Doch wer angestellt sei und sowieso bis 17 Uhr arbeiten müsse, habe keine intrinsische Motivation, fokussierter und mit mehr Disziplin zu arbeiten. Könne man jedoch nach getaner Arbeit seine Freizeit genießen, sei das etwas anderes. „Wir wussten, wenn wir unsere Aufgaben abgearbeitet haben, können wir an unserer Doku weiter drehen oder in den Wasserfall springen.“ Das hält der „Arbeitsverdichtungskünstler“ auch für einen der Erfolgsfaktoren in Unternehmen. „Wenn mein Chef sagt, ich muss nur noch 5 Stunden arbeiten für das gleiche Gehalt, dann will ich ihn natürlich davon überzeugen, dass das eine gute Idee ist.“

Wie sich die Motivation der Mitarbeiter in einem digitalen Arbeitsumfeld aufrechterhalten oder gar steigern lässt, beschäftigt indes viele. „Unternehmen stellen aktuell fest, dass ihre Zielvereinbarungskisten irgendwie nicht mehr so gut funktionieren wie früher. Manche wählen eine kollektivere Form der Vergütung und versuchen es mit agilen Projektmanagement-Ansätzen – verschiedene Modelle, die auf Zusammenarbeit und Erfolg ausgelegt sind, an dem alle partizipieren“, analysiert Prof. Dr. Armutat. Weitgehend unbeantwortet bleibe allerdings noch die Frage, wie dies alles mit der Arbeitszeit korrespondiere. Initiativen wie die von Lasse Rheingans sind laut dem Forscher aus Bielefeld auch ein Versuch, sich diesem Thema zu nähern.

Wie bei jedem Experiment gilt demnach auch hier: Der Ausgang ist offen. Doch die Erfolgschancen der mutigen Vorreiter für Arbeitszeitverkürzung waren nie so gut wie heute.