New Work Selbstorganisation

Fair is foul and foul is fair

New Work sei zum Containerbegriff verkommen, zum Geschenkpapier, in das viele Unternehmen ihre Changeprozesse einwickeln, meint Carsten C. Schermuly. Was Fake New Work in Organisationen anrichtet, beschreibt er in seinem neuen Buch. Ein Vorabdruck.

Foto: Denys Nevozhai auf unsplash.com
Foto: Denys Nevozhai auf unsplash.com

Ein bisschen viel New Work

Kürzlich fuhr ich in einem Bremerhavener Hotel mit einem Personaler im Aufzug. Wir kamen gerade von einer Tagung mit dem Titel „New Work – Unternehmen im Wandel“. Als wir in den Aufzug stiegen, bemerkte der Kollege auf einem in den Spiegel eingelassenen Bildschirm Werbung für die Hotelbar. „Krass“, sagte der Kollege vollkommen ernsthaft, „hier heißt sogar die Bar ›New Work‹“. Ich schaute auf den Bildschirm, doch da war die Werbung schon auf das Restaurant umgesprungen. Gespannte Stille im Aufzug, während ich mich fragte, ob das Hotel oder der Kollege verrückt geworden waren. (…) Dann endlich, kurz vor dem Ausstieg, der erlösende Cut zur Werbung für die Hotelbar: „NEW YORK BAR – Cocktails und Drinks mit Bremerhavens bestem Blick auf den Hafen.“ Das Hotel war kerngesund. Für den armen Personaler war es in letzter Zeit einfach ein bisschen zu viel New Work gewesen.

New Work Dystopia
Dies ist ein gekürzter Vorabdruck aus dem Buch "New Work Dystopia" von Carsten C. Schermuly. Es erscheint am 11. April 2023 bei Haufe.
Mehr über "New Work Dystopia"

Seit über 15 Jahren beschäftige ich mich wissenschaftlich und praktisch mit den Themen „New Work“ und „Empowerment“. Ich habe zu diesen Themen habilitiert und viele Unternehmen dabei begleitet, New Work und Empowerment in ihren Unternehmen zu implementieren. In den 2000ern war das Thema „New Work“ ein Nischenthema. Es gab eine engagierte Szene, die sich mit den Gedanken von Frithjof Bergmann beschäftigte, aber sie war klein. Forschung wurde kaum betrieben. Doch die Welt wurde immer volatiler, komplexer und unvorhersehbarer. 2016 fasste ich meine Forschung erstmals praxisnah in meinem Buch „New Work – Gute Arbeit gestalten: Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern“ zusammen. Das Interesse an New Work stieg und Beratungen entdeckten das Thema als Goldgrube. Doch niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ein Virus, das 500-mal kleiner als ein Haar ist, den Begriff „New Work“ in den Google-Rankings und den Gehirnen von Personaler:innen so präsent machen könnte. Im November 2022 schaffte es der Begriff dann auf die Titelseite der Apothekenumschau und auf die Homepage der Tagesschau. New Work war im Mainstream angekommen.

New Work ist Mainstream. Wirklich?

Die Popularität des Begriffs nahm durch die Pandemie zu, doch gleichzeitig kam es zu einer Verschiebung, die ich zunächst ungläubig beobachtete. Zeitungen wie die FAZ luden zu Konferenzen ein, die behaupteten, dass New Work nun im Alltag der Deutschen angekommen sei, denn diese könnten von zu Hause aus arbeiten. Die Bitkom titelte in einer Pressemitteilung: „New Work: Die Hälfte der Deutschen arbeitet im Homeoffice“ . Das Magazin Möbelkultur schrieb: „Home und Office verschmelzen, New Work und Lifestyletrends wachsen weiter zusammen“. Immer mehr Architekt:innen waren bei LinkedIn auf einmal New-Work-Expert:innen. Jährlich erheben wir in unserem Institute for New Work and Coaching zusammen mit dem Personalmagazin, dem Bundesverband der Personalmanager und HRpepper Management Consultants Daten für das New-Work-Barometer. Schon 2021 verstanden fast zwei Drittel der Unternehmensvertreter:innen unter „New Work“ Homeoffice. Frithjof Bergmann, der Begründer des Begriffs „New Work“, starb am 23. Mai 2021 im Alter von 90 Jahren. Er hat das hoffentlich nicht mehr registriert. Doch es kam noch schlimmer.

Schon 2021 verstanden fast zwei Drittel der Unternehmensvertreter:innen unter „New Work“ Homeoffice. Frithjof Bergmann, der Begründer des Begriffs „New Work“, starb am 23. Mai 2021 im Alter von 90 Jahren. Er hat das hoffentlich nicht mehr registriert.
Carsten C. Schermuly

Der Begriff „New Work“ wurde mit steigender Popularität zum „Buzzword“. Ich spreche hier gern auch von einem Containerbegriff. Container haben die Eigenheit, dass jede:r hineinwerfen und herausholen darf, was er oder sie möchte. Genau das geschieht heute beim Thema „New Work“. Verhandelt der Betriebsrat mit der Geschäftsführung über eine Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit, dann wird das „New Work“ genannt. Möchte ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin Open-Space-Büros einführen, um Mietfläche zu sparen, dann nennt er oder sie das „New Work“. Will eine Trainerin Achtsamkeitskurse oder eine Unternehmensberatung agile Projektarbeit an ihre Kund:innen verkaufen, dann ist das auch New Work. Dadurch wird New Work zunehmend mikropolitisch instrumentalisiert.

New Work: Erst Buzzword, dann Container

New Work ist dann das, was den eigenen Interessen nützt. Solche Container haben die Eigenschaft, dass sie nach einiger Zeit zu riechen beginnen. Dann hält man lieber Abstand. Auch der Begriff „New Work“ scheint erste unangenehme Aromen zu entwickeln.
An dieser Stelle erfahren Sie deshalb, was ich unter „New Work“ verstehe. Mein Verständnis ist abgeleitet aus den Gedanken von Bergmann und ich kombiniere sie mit dem psychologischen Empowermentansatz von Gretchen Spreitzer. Ich verstehe „New Work“ als Praktiken in Organisationen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern.

Carsten C. Schermuly, New Work Dystopia. Erscheint am 11. April
Carsten C. Schermuly, New Work Dystopia. Erscheint am 11. April

Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Wahrnehmungen der Arbeitsrolle zusammen: Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss. Menschen mit hohem Bedeutsamkeitserleben spüren Sinn in ihren täglichen Tätigkeiten. Zwischen den eigenen Werten und den Werten, die für die Arbeit notwendig sind, besteht Übereinstimmung. „Kompetenz“ bezieht sich auf das Erleben von Selbstwirksamkeit bei der Arbeit. Menschen trauen sich die Fähigkeiten zu, die für ihre Arbeitstätigkeiten notwendig sind. „Selbstbestimmung“ bedeutet, dass empowerte Menschen das Gefühl haben, mitentscheiden zu können, wie, wann und wo sie arbeiten. „Einfluss“ bezieht sich auf das Machterleben während der Arbeit. Menschen mit hohem Einflusserleben sind überzeugt davon, dass sie etwas in ihrem Arbeitsumfeld bewirken können.

New Work heißt psychologisches Empowerment

Psychologisches Empowerment hat viele positive Konsequenzen für Arbeitgeber und Mitarbeitende, die in zahlreichen Studien belegt werden konnten. So steigen z. B. die Leistung und das Innovationsverhalten der Mitarbeitenden. Fluktuationsabsichten, Stress, Burn-out und Depressionsneigung sinken und gleichzeitig wachsen die Arbeitszufriedenheit, das Flow-Erleben , die Bindung an das Unternehmen sowie die Attraktivität des Arbeitgebers . Sogar der Renteneinstieg wird erst für einen späteren Zeitpunkt geplant, wenn Menschen sich psychologisch empowert fühlen. In Abbildung 2 sehen Sie, wie wir in unserem Institute for New Work and Coaching die Felder „New Work“ und „Empowerment“ erforschen und auf welcher Grundlage wir mit Unternehmen zusammenarbeiten.

Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Wahrnehmungen der Arbeitsrolle zusammen: Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss.
Carsten C. Schermuly

New-Work-Praktiken führen nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen wie z. B. mehr Innovationsverhalten oder weniger Stress. Sie werden psychologisch interpretiert und nur, wenn sie das psychologische Empowerment stimulieren, kommt es zu positiven Konsequenzen. Doch New-Work-Praktiken stimulieren nicht immer das Empowermenterleben. (…)
Organisationsfaktoren wie z. B. die Organisationskultur verstärken oder vermindern die Wirkung. Wir konnten beispielsweise in unseren Untersuchungen zeigen, dass eine Kultur für psychologisches Empowerment hilft, dass sich Maßnahmen positiv auswirken. Doch auch Persönlichkeitsfaktoren haben laut unserer Forschung einen Einfluss. Zum Beispiel scheinen manche New-Work-Praktiken vor allem Menschen zu gefallen, die eine hohe Ausprägung von „Sensation Seeking“ besitzen. Sensation Seeker sind Menschen, die viel Abwechslung und Stimulation in ihrem Leben benötigen und denen schnell langweilig wird.

Von der Utopie New Work zur Banalität

Auf der Basis dieses Modells und der Forschung in unserem Institut habe ich 2022 „New Work Utopia“ veröffentlicht. Das Buch sollte eine Zukunftsvision einer Organisation in einer besseren Arbeitswelt sein. Eine Utopie ist ein Möglichkeitsraum und ein Gedankenexperiment, das einen Zustand beschreibt, der den gegenwärtigen Verhältnissen positiv widerspricht. Ich habe das fiktive Unternehmen Stärkande skizziert und dessen langen Weg zu New Work beschrieben. Die Stärkander:innen haben das Ziel, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

„New Work“ wird immer mehr zum Synonym für gescheiterte organisationale Transformationen.
Carsten C. Schermuly

In der Utopie beschreibe ich, wie eine radikal alternative Zusammenarbeit aussehen könnte, und versuche damit, Mut und Neugierde für eine bessere Zukunft zu schaffen, denn die Utopie ist „eng mit der Hoffnung auf ein besseres Leben sowie mit dem Streben nach einem solchen verknüpft“ . Seit der Veröffentlichung des Buches erreicht mich eine Vielzahl von Mails und es haben sich spannende Gespräche ergeben. Einige Unternehmen haben schon Schritte von Stärkande bewältigt und setzen Axiome und Maßnahmen der Stärkander:innen um. Die Fiktion wird Realität und das erfreut mich sehr.

Doch mit der Popularität und Banalisierung von „New Work“ scheint der nächste Schritt in der Evolution des Begriffs erreicht worden zu sein. „New Work“ wird immer mehr zum Synonym für gescheiterte organisationale Transformationen. Viele Unternehmen sind von New Work enttäuscht, da selbst die Einführung von Homeoffice zu größeren organisationalen Herausforderungen geführt hat, als dies erwartet und den Kolleg:innen versprochen wurde. Bei einigen Mitarbeiter:innen scheint New Work vermehrt Verzweiflung auszulösen, denn nicht wenige Unternehmen setzen Praktiken unter dem Label „New Work“ um, die weniger der Steigerung des Empowermentlebens, sondern eher der Maximierung des Profits dienen.

Der Begriff „New Work“ wird instrumentalisiert, um einen Changeprozess attraktiver und weniger bedrohlich klingen zu lassen. New Work wird zum Schleifchen oder zum Geschenkpapier. Sie werden in diesem Buch erkennen, dass viele New-Work-Maßnahmen, je nach Haltung des Unternehmens und der Inhaber:innen, für oder aber auch gegen die Mitarbeitenden eingesetzt werden können. Bei New Work gilt, was die Hexen dem tragischen Helden im Macbeth am Anfang des Stücks zurufen: „Fair is foul, and foul is fair.“

Der Begriff „New Work“ wird instrumentalisiert, um einen Changeprozess attraktiver und weniger bedrohlich klingen zu lassen.
Carsten C. Schermuly

Mit dem vorliegenden Buch möchte ich deswegen dem Scheitern von New Work einen Raum, ein Gesicht und einen Namen geben. Das fiktive Unternehmen, das ich dieses Mal beschreibe, heißt „Kaltenburg“. Kaltenburg trivialisiert und instrumentalisiert den Begriff „New Work“. Ohne Ziel und trotz fehlender kultureller und personeller Voraussetzungen wird New Work seelenlos „missbraucht“, um das Unternehmen profitabler zu machen. Dabei werden bei der Einführung von New Work folgenschwere organisationspsychologische Fehler gemacht und die Mitarbeitenden mit New Work gequält. Für das, was Kaltenburg macht, gibt es bisher keinen Namen. Deswegen nenne ich in Anlehnung an das Wort „New Work“ und in Reminiszenz an J. R. R. Tolkien Kaltenburg einen „New Ork“.

In der Welt von Tolkiens „Herr der Ringe“ sind Orks Geschöpfe der Dunkelheit. Sie scheuen das Licht, denn die Sonne verbrennt ihre Haut. Sie dienen Melkor und Sauron und kämpfen gegen die freien Völker von Mittelerde. Tolkien vermutet, dass die Orks ihren Ursprung in Züchtungen von gequälten Elben genommen haben. Etwas Gutes wie die Elben wird in etwas Verdorbenes verwandelt. Ähnliches geschieht heute beim Thema „New Work“.

Tolkien beschreibt auch die Kultur der Orks: Ihre Gesellschaft ist streng hierarchisch aufgebaut und die Orks folgen blind einem Fürsten oder Häuptling, solange er stark ist. Der Fürst oder Häuptling hat sich durch besondere Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit in seine Position gebracht. Mehr und mehr Mitarbeiter:innen assoziieren mit „New Work“ nicht mehr die Hoffnung auf gute Arbeit, sondern die Angst vor dem nächsten Changeprozess. Um das zu verdeutlichen, habe ich den New Ork Kaltenburg erfunden und das Genre der Dystopie gewählt. (…)

Die Dystopie ist nicht die Gegnerin der Utopie. Sie ist der Utopie ähnlich und wird stattdessen „utopia’s evil twin“ genannt . Die Dystopie zeigt einen fiktiven, unerwünschten Möglichkeitsraum auf. Sie zeichnet, nein überzeichnet einen negativen Gesellschaftsentwurf, sodass es zu einem bestürzenden Zustand kommt. Ähnlich sind sich Dystopie und Utopie darin, dass mit ihnen Missstände in der Gegenwart aufgezeigt werden sollen: „Demzufolge übt die Dystopie eine radikale Negativkritik an bestehenden Gesellschaftsverhältnissen und leistet gerade durch diesen Ansatz einen wesentlichen Beitrag für extensive Überlegungen zur imaginären Neuordnung der Gesellschaft.“

„Dys“ steht im Griechischen für „schlecht“ und „Topos“ für „Ort“. Die Dystopie ist ein schlechter Ort. Ich beschreibe in meinem Buch einen schlechten Ort für New Work. Dieser schlechte Ort für New Work ist das fiktive Unternehmen Kaltenburg, das seinen Hauptsitz in der südwestdeutschen Stadt Pirmasens hat. Ich stamme aus Rheinland-Pfalz und habe mir deswegen diese Ortswahl erlaubt. Kaltenburg könnte aber auch in Osnabrück, Passau oder Berlin zu finden sein. Unternehmen wie Kaltenburg gibt es überall.