Business Transformation Organisationsentwicklung

Transformation beginnt vor der Krise

Kommentar Transformationen sind das neue Schwarz. Alle reden davon. Viele glauben, sie tun es, denn sie verändern etwas. Aber sind Transformationen der neue Change? Nicht ganz, meint Karin Lausch.

Foto: Mike Kononov / unsplash.com
Foto: Mike Kononov / unsplash.com

Dauernde Neuerfindung

Während Changeprozesse lediglich eine beliebige Veränderung beschreiben, die einen Anfang und ein Ende einplanen, erfindet sich ein Unternehmen, dass sich transformiert, quasi laufend neu. Es hinterfragt das bestehende Geschäftsmodell, den Sinn und Zweck seiner Unternehmung und grundlegende Prozesse und Kernelemente des Geschäfts. Nicht selten formt sich daraus eine ganz neue Unternehmensidentität. Transformationen sind somit viel größer und viel riskanter als gängige Veränderungsprozesse, daher wäre es gut, wenn sie funktionieren würden. Leider ist das oft nicht der Fall. Wir erwarten viel, tun aber wenig.

Angst macht geduldig

Während wir uns in (lean) Changeprozessen einfach selbstbestimmt und eigeninitiativ auf den Weg machen und dann schon sehen, wo er hinführt, entstehen echte Transformationsvorhaben meist lediglich durch externe Ereignisse, Krisen und Disruptionen und damit immer unter hohem Druck und in einem sehr dynamischen Umfeld. Vorher passiert wenig. Als hätte es niemand kommen sehen. Warum warten wir immer erst ab, bis es nicht mehr anders geht? Sehen wir die Notwendigkeit vorher wirklich nicht, oder brauchen wir den Druck und die drohende Gefahr, um die ganz große Hürde zu meistern? Können wir ohne Überlebensangst und externen Zwang nicht transformieren?

Vor allem die ganz großen Veränderungen erschüttern uns bis ins Mark, denn wir stürzen uns ins Ungewisse. So ist es mit Transformationen und deshalb gehen wir nicht freiwillig los.

Veränderungen machen uns Angst. Wir werden nicht umsonst Gewohnheitstiere genannt. Der Mensch ist ein Wunderwerk, kann er sich doch an alle Zustände gewöhnen und geduldig mit ihnen arrangieren. Vor allem die ganz großen Veränderungen erschüttern uns bis ins Mark, denn wir stürzen uns ins Ungewisse. So ist es mit Transformationen und deshalb gehen wir nicht freiwillig los. Wir wollen gerne schon vorher wissen, welcher Zustand uns am Ende des Weges erwartet. Aber wir müssen uns jetzt vor allem daran gewöhnen, dass wir den Zustand noch nicht kennen und dass der Weg auch kein Ende hat.

Erfolgsfaktoren für gelingende Transformationsprozesse

Damit Transformationen erfolgreich sind, braucht es weit mehr als eine Krise. Viele der eigentlichen Erfolgsfaktoren müssen bereits vorher im Unternehmen vorhanden sein. Einige brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Wir können also nicht bis zur Krise warten, sondern sollten uns unser Unternehmen genau ansehen. Folgende Faktoren erweisen sich als besonders relevant:

Veränderungskompetenz

Transformationsprozesse sind andauernde Transitionen. Ein Ende gibt es nicht und auch keine Stabilität nach definierten Meilensteinen. Unternehmen sollten aufhören, ihren Mitarbeitenden Sicherheit und Stabilität zu suggerieren und ihnen stattdessen ermöglichen, Kompetenzen für den Umgang mit stetigem Wandel aufzubauen sowie Ängste davor abzubauen.

Vermittlung des WHY

Wichtiger denn je ist das WHY. Warum begeben wir uns auf diesen Weg? Wo wollen wir hin? Die meisten Transformationsvorhaben scheitern immer noch daran, dass die Vision nicht klar ist. Entweder ist sich das Management nicht einig und transportiert diese Spaltung in die Organisation oder es gelingt nicht, die Vision so zu teilen, dass sie auch allen anderen klar wird. Transformationsprozesse sind anstrengend und existenziell. Umso wichtiger ist es, eine Sehnsucht für das zu entfachen, wofür man diese Anstrengung auf sich nehmen sollte.

Transformationsprozesse sind anstrengend und existenziell. Umso wichtiger ist es, eine Sehnsucht für das zu entfachen, wofür man diese Anstrengung auf sich nehmen sollte.

Internes Know-How

Die Zeiten, in denen Transformationen lediglich von externen Beratungen gemanaged worden sind, sind vorbei. Unternehmen brauchen auch interne Kompetenzen und ein ausgeprägtes Bewusstsein für komplexe Vorhaben und deren Konsequenzen. Ein verantwortungsbewusstes Management, crossfunktionale Transformationsteams und ein modernes People- and Organizational Development sorgen dafür, dass die Transformation aus dem Unternehmen selbst heraus passiert und nicht von außen aufgesetzt wird.

Die richtige Kultur

Toxische Unternehmenskulturen verhindern Wandel. Gelingende Transformationsprozesse setzen voraus, dass experimentiert werden darf und muss, denn der Weg ist nicht klar und vorgezeichnet, sondern entwickelt sich oft inkrementell. Da wo experimentiert wird, müssen aber auch Fehler passieren dürfen. Es braucht eine Kultur des Vertrauens und gefestigte Beziehungen. Zum einen, damit Mitarbeitende in den Wandel einbezogen und beteiligt werden, zum anderen, damit sie auch bereit sind, sich darauf einzulassen.

Da wo experimentiert wird, müssen aber auch Fehler passieren dürfen. Es braucht eine Kultur des Vertrauens und gefestigte Beziehungen.

Diversität

Organisationen, die sich transformieren, brauchen einen frischen Blick und konstruktive Reibung. Beides entsteht nicht, wenn immer die gleichen Menschen am Hebel sind. Leider passiert das immer noch viel zu oft. Diversität in jeder Hinsicht ist ein entscheidender Erfolgsfaktor dafür, neue Wege einzuschlagen. Unternehmen tun gut daran, Muster zu durchbrechen und Gewohnheiten zu hinterfragen. Wen stellen wir eigentlich ein? Welche Kompetenzen benötigen wir wirklich? Repräsentiert unser Unternehmen alle Sichtweisen? Sind wir in der Lage, anders zu denken, oder drehen wir uns im Kreis?

Gerechtigkeit ist nicht Gleichheit.

Unternehmen sind soziale Systeme, daher spielen Gerechtigkeit und Gleichheit eine große Rolle. Leider wird beides oft gleichgesetzt. Gerechtigkeit ist nicht Gleichheit. Bedürfnisse von Mitarbeitenden sind aufgrund der Art der Arbeit, aufgrund von unterschiedlichen Standorten, Gegebenheiten und vielen anderen Faktoren unterschiedlich. Dennoch wollen Mitarbeitende oft gleich behandelt werden, zumindest wenn es um Themen geht, die als vorteilhaft empfunden werden. Passiert das nicht, ist der Schrei nach Ungerechtigkeit groß. Geht es um Nachteile, wollen alle sehr individuelle Prozesse. Unternehmen tun gut daran, Transformationen weder mit der Gießkanne zu gestalten noch zu versuchen, jeder Person gerecht zu werden und sich in Details zu verlieren.

Unternehmen tun gut daran, Transformationen weder mit der Gießkanne zu gestalten noch zu versuchen, jeder Person gerecht zu werden und sich in Details zu verlieren.

Strategische Umfeldanalyse

Wissen ist entscheidend, um rechtzeitig reagieren zu können. Unternehmen sollten laufend ihr Umfeld analysieren, um relevante Daten zu sammeln. So kann es frühzeitig gelingen, zu erkennen, wann es an der Zeit ist, sich auf den Weg zu machen. Wer das vor Eintritt der Krise schafft, hat mehr Zeit, mehr Ressourcen und weniger Angst. Transformationen, die nicht aus der Überforderung der Organisation, sondern aus Wissen und Freiheit zur Entscheidung entstehen, sind die erfolgreicheren.

Sinnvolle Strukturen ohne Machtkampf

Kundenzentrierte Produktentwicklung bedeutet nun mal nicht selten, dass bestimmte Einheiten im Unternehmen obsolet werden oder umstrukturiert werden müssen. Oft braucht es ganz neue Organisationsformen. Wo Macht noch ein Anreiz für Führung ist, wird das nichts: Während das Management damit beschäftigt ist, zu prüfen, wer jetzt das größte Stück vom Kuchen hat, geht die Transformation schon den Bach runter.

Oft braucht es ganz neue Organisationsformen. Wo Macht noch ein Anreiz für Führung ist, wird das nichts.