Business Transformation New Work

Wirtschaft hacken

In der New-Work-Szene ist er bekannt wie ein bunter Hund: Uwe Lübbermann von Premium, einem Kollektiv, das Getränke produziert und dabei die Welt verbessern möchte. Nun hat er ein Buch geschrieben, um noch mehr Mitstreitende zu gewinnen: „Wirtschaft hacken“.

Alle Menschen sind gleichwürdig

In seinem Elternhaus war Geld knapp. Seine Mutter war alleinerziehend und ernährte die Familie von Sozialhilfe. Handlanger auf dem Bau, Barkeeper, Gabelstaplerfahrer, Werbekaufmann und Universitätsdozent – Uwe Lübbermann hat verschiedenste berufliche Stationen durchlaufen. Schon früh reifte in ihm die Überzeugung, dass weder die hierarchische Ordnung, die er erstmals in der Schule als diskriminierend erlebte, noch deren Umkehrung, wie er sie am Bau wahrnahm, wo Beschäftigte auf die herabsahen, die sich die Hände nicht schmutzig machen möchten, das Richtige sei. Eine Arbeitswelt, in der alle Menschen „gleichwürdig“ sind und die das Beste aus zwei Welten, aus konventioneller und alternativer Wirtschaft, verbindet – das ist seither sein Ziel.

Wirtschaft hacken. Von einem ganz normalen Unternehmer, der fast alles anders macht
Von Uwe Lübbermann
Büchner Verlag, Mai 2021, 142 Seiten, 18,00 Euro (Print), 13,99 Euro (ePDF)
Zum Buch 

In seinem Buch „Wirtschaft hacken“ fasst Uwe Lübbermann seine Vorstellungen zusammen, lässt Professoren und Mitarbeitende seiner Firma Premium zu Wort kommen, die er 2001 mit Gleichgesinnten nebenberuflich gründete – eine Gründung im Schongang, ohne Wachstumsdruck. Denn noch acht Jahre verantwortete der Autor an der Universität Lüneburg die Kommunikation eines Innovationsinkubators und bezog so weiterhin ein Uni-Gehalt.

Der Markenkern: Weltverbesserung zum Trinken und Mitmachen

Premium ist ein Kollektiv, das das koffeinstarke Getränk Premium-Cola produziert und vertreibt. Doch das eigentliche Produkt ist ein anderes: Weltverbesserung ausprobieren. Vertrauen, Transparenz, offene Kalkulation, Einheitslohn, keine Umsatzziele und nahezu keine Verträge – auch die 175 Kollektivistinnen und Kollektivisten haben keinen Arbeitsvertrag. Partnerinnen und Partner erhalten einen Antimengenrabatt: Wer nur wenig Ware abnehmen kann, bezahlt weniger. Denn so erhalten nicht die Großhändler, die sowieso schon viel Umsatz machen, auch noch im Einkauf einen Vorteil – auch die Kleinen bekommen eine Chance. Um dennoch Frachten zusammenzulegen und damit dem ökologischen Anspruch gerecht zu werden, setzt das Kollektiv auf Absprachen und Entscheidungen im Konsensverfahren. Das Erstaunliche: In den 19 Jahren des Bestehens hatte Premium noch keinen einzigen Rechtsstreit.

Doch Gründer Lübbermann, der auch an verschiedenen Hochschulen und Universitäten über seine Art des Wirtschaftens berichtet und Unternehmen berät – zu seinen Kunden gehörten schon die Vereinigten Arabischen Emirate, Sparkassen und die Deutsche Bahn –, verschweigt die Schattenseiten seines Ansatzes nicht: Ständige Diskussionen, unliebsame Arbeiten, die liegenbleiben, viel unbezahlte Arbeit und Verantwortung für den Inhaber, der nicht mehr verdient als andere und auch seine Beraterhonorare in den Unternehmenstopf einzahlt. Nicht alle Beteiligten finden den Einheitslohn eine gute Idee. Eine Mitarbeiterin, die BWL studiert und später ins Arbeitsleben eingestiegen ist als andere, bekommt trotzdem nicht mehr Gehalt. Sie bleibt, weil es ihr das Arbeitsumfeld wert ist. An seiner Steuerberaterin hat sich Uwe Lübbermann allerdings die Zähne ausgebissen: Sie verlangt den Marktpreis und denkt bisher gar nicht an Einheitslohn – der Premium-Inhaber musste ihr sogar versprechen, das Thema nicht mehr aufs Tapet zu bringen, damit sie weiterhin für die Firma arbeitet. 

Premium-Krisenstrategie: Kleinmachen und großmachen

Lübbermann muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Premium sei kein echtes Kollektiv. Letztlich gehört es einer Person: ihm selbst. Er kontert, dass einer im Notfall die Reißleine ziehen muss, wenn ein Entscheidungsvakuum entsteht, das die Unternehmung gefährden würde. Das sei die Ausnahme: Der Autor berichtet von drei Fällen in 19 Jahren, in denen sich die Kollektivis nicht einigen konnten.

Führung heißt bei Premium: Verantwortung übernehmen, Leute nicht dem Streit der Meinungen überlassen, sondern Vorschläge einbringen und andere davon überzeugen. Dass das gerade in der Krisensituation nicht immer leicht war, gibt Lübbermann unumwunden zu: Angesichts der Ausnahmesituation sei er anfangs versucht gewesen, die Demokratie in dem Kollektiv vorübergehend auszusetzen und bei allen radikal den Rotstift anzusetzen. Doch es kam anders. Sein Unternehmen umschiffte die Corona-Krise mit der Strategie „Kleinmachen, großmachen“: Kollektivmitglieder, die es sich leisten konnten, schränkten ihre Rollen ein oder strichen sie ganz und verzichteten somit auf Gehalt, um andere, die es dringender brauchten, weiterzubezahlen. Ebenso sah es bei den Lieferanten aus:  Wer konnte, forderte Zahlungen nicht gleich ein, um anderen auszuhelfen.

Kompetenzvorsprung durch Verantwortung

Der Premium-Geschäftsführer hatte anfangs keine Ahnung von Produktion, Getränkehandel, Logistik oder Abrechnung. Erst mit zunehmender Erfahrung erkennt er Zusammenhänge und kann die Folgen von Handlungen besser beurteilen. Er nennt ein Beispiel: Hätte die Firma wegen Unstimmigkeiten den Abfüller gewechselt, wären in der Coronasituation weitere Unsicherheiten hinzugekommen – so stellte er sich gegen die Mehrheit der Kollektivmitglieder, die sich von dem Partner trennen wollten. Sachverstand kann man nicht weitergeben wie eine Taschenlampe, schließt Lübbermann daraus.

Wer welche Aufgaben übernimmt, hängt von den jeweiligen Kenntnissen ab – und diese ergeben sich wiederum vor allem bei der Arbeit. „Learning by doing“ – das ist für Lübbermann der Weg zum Kompetenzerwerb. Manche Mitarbeitende bei Premium tun das, was sie gelernt oder studiert haben. Andere machen das, was sie tun möchten und lernen, indem sie es tun. So arbeitet beispielsweise eine gelernte Grafikerin in der Buchhaltung. Um in neue Tätigkeiten hineinzuwachsen, brauche es nur wie in diesem Einzelfall eine formale Weiterbildung.

Das große Ganze

Nicht alle Beteiligten treibt dabei der Ehrgeiz. Auch das Thema Geld steht nicht im Vordergrund. Als die Firma einmal entscheiden konnte, ob sie mehr Kunden annehmen sollte, entschieden sich die Kollektivmitglieder dagegen, obwohl das mehr für alle bedeutet hätte. Nur das verdienen wollen, was man zum Leben braucht – das ist für den Autor ein erstrebenswertes Ziel. Schon erste Fabrikarbeiter hätten aufgehört zu arbeiten, wenn sie genug zum Leben hatten. Die Folge: Die Fabrikbesitzer senkten die Löhne, um Produktionsanalagen rund um die Uhr betreiben zu können. „Die moderne Arbeit ist das Produkt eines künstlich hierbeigeführten Mangels“, meint der Autor.

Lübbermann ist Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens und des Maximalbesitzes. Nicht nur bei Premium, sondern auch als Betreiber eines Wohnungsbauprojektes, will er zeigen, dass Wirtschaft sozial sein kann. Regelmäßig diskutiert er das Betriebssystem von Premium mit Studierenden der HTW Berlin, die sich in einem Anreizexperiment, in dem es um Klausur-Punkte für sie geht, für das „Team Uwe“ oder das „Team Jan“ (Marsalek von Wirecard) entscheiden müssen. Hier wie dort möchte der Unternehmer Menschen dazu anregen, die Mechanismen unserer Wirtschaft mit neuen Augen zu betrachten. Das Buch „Wirtschaft hacken“ beschreibt Veränderungsmöglichkeiten, die inspirieren sollen und zum Nachbauen gedacht sind. Für die einen ist Uwe Lübbermann ein Kommunist, für die anderen ein Hoffnungsträger, der Mut für eine neue Form der Wirtschaft macht. Man mag mit ihm nicht immer einer Meinung sein, aber eines ist sicher: Es lohnt sich, sich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen.