New Work Organisationsentwicklung

„New Work bedeutet, sich mental auszuwildern“

Interview Markus Väth hat eine New-Work-Charta verfasst. Warum er den Begriff an seinen philosophischen Wurzeln anpacken will, erzählt er im Interview.

„Der erste Schritt, hin zu mehr Freiheit, ist oft der schwierigste“, sagt Markus Väth.
„Der erste Schritt, hin zu mehr Freiheit, ist oft der schwierigste“, sagt Markus Väth.

Markus, glaubst du, du bist einer der wenigen Berater, der das Buch „Neue Arbeit, Neue Kultur“ von Frithjof Bergmann wirklich gelesen hat?

Markus Väth: Ich stelle zumindest immer wieder fest, dass überraschend wenig Leute, die sich mit New Work beschäftigen, das Buch gelesen haben oder Bergmann kennen - ob das jetzt Berater sind oder nicht. Neulich habe ich bei einem Kongress in einem Saal vor 200 bis 300 Leuten - HR-Fachpublikum - gefragt, wer den Ausdruck „Arbeit, die man wirklich wirklich will“ kennt, da gingen drei Hände in die Höhe. Für mich gehören die Ideen Bergmanns und New Work aber zusammen.

Du hast dich in einem Blogbeitrag sogar als Bergmannianer bezeichnet.

Ich bin kein Bergmann-Jünger. Wenn ich sage, ich bin Bergmannianer, will ich damit intellektuelles Gewicht in eine Waagschale werfen. Denn ich sehe, dass die andere Waagschale schon sehr voll ist mit Beiträgen von Organisationsentwicklern und Leuten, die sehr wirtschaftlich über New Work nachdenken. Ich gehe das Thema eher philosophisch und psychologisch an, das möchte ich damit ausdrücken.

New Work in Unternehmen ist die Verwirklichung von fünf Prinzipien: Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung.

Es scheint, New Work kann alles und nichts sein, wie siehst du das?

Der Begriff unterliegt einer gewissen Beliebigkeit. Es wird einfach alles hineingelegt. Deshalb habe ich die New-Work-Charta verfasst, mit der ich den Begriff ganz einfach definiere. New Work in Unternehmen ist die Verwirklichung von fünf Prinzipien: Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung.

Ist das nicht auch einer von vielen Versuchen, den New-Work-Begriff nach dem eigenen Belieben zu interpretieren?

Klar kann man mir vorwerfen, dass ich jetzt auch einer von denen bin, der versucht, New Work zu erklären. Für diesen Versuch habe ich zwei Rechtfertigungen: Erstens führe ich das New-Work-Konzept zurück zum menschlichen Ursprung. Die Charta geht ganz strikt vom Menschen aus. Zweitens ist der Dreh und Angelpunt der Charta die Freiheit – womit wir wieder bei Bergmann wären, denn auch er hat die Freiheit in den Mittelpunkt gestellt. Ich führe das Konzept zurück zum philosophischen Ursprung.

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Das Interview

Ich sage nicht, dass alles andere, was unter dem Schlagwort New Work geschieht, schlecht ist. Ich begrüße diese Initiativen, aber was die Unternehmen brauchen, ist ein System, an das sie andocken können, das fundiert ist, das Inhalt hat und das sie sofort verstehen. Unter Sinn und Selbstverantwortung kann man sich mehr vorstellen als unter solchen technokratischen Begriffen wie „lean leadership“.

Die New-Work-Charta umfasst fünf Prinzipien, zu denen jeweils verschiedene Erläuterungen folgen. Bauen die Prinzipien aufeinander auf?

Die Prinzipien bauen aufeinander auf und greifen ineinander über. Aber mit der Freiheit fängt alles an. Bevor sie irgendetwas anderes machen, sollten Unternehmen schauen, wie sie Freiheitsgrade erhöhen und Experimentierräume und Angstfreiheit schaffen können. Erst danach kann der Faktor Selbstverantwortung angegangen werden. Und erst, wenn dort schon Dinge ins Rollen gebracht wurden, sollte über den Sinn gesprochen werden. Wie kann man mit Menschen über Purpose sprechen, die noch nicht einmal gelernt haben, eigenständig nach links und rechts zu schauen?

Wenn Menschen den New-Work-Weg gehen möchten, persönlich und im Unternehmen, müssen sie sich mit ihrer Freiheit auseinandersetzen.

Welches Prinzip der Charta findet deiner Meinung nach noch zu wenig Beachtung im New-Work-Diskurs?

Die Freiheit. Über Sinn und Selbstverantwortung in Form von Agilität wird viel gesprochen – auch über soziale Verantwortung, Entwicklung und Lernen. Wenn Menschen den New-Work-Weg gehen möchten, persönlich und im Unternehmen, müssen sie sich mit ihrer Freiheit auseinandersetzen. Das ist nicht einfach. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich erst einmal an mehr Freiheiten im Unternehmen gewöhnen müssen. Das ist, wie wenn man sich mental auswildert. Dieser erste Schritt, hin zu mehr Freiheit, ist deshalb auch oft der schwierigste - weil er eben ein anderes Denken erfordert.

Gibt es ein Unternehmen, das bereits komplett auf den fünf Prinzipien der Charta fußt?

Wir sollten aufhören, New Work im Unternehmen benchmarken zu wollen. Was würde es denn bedeuten, wenn ein Unternehmen zu hundert Prozent New Work wäre? Die menschliche Entwicklung, das Erwachsensein, gibt man auch nicht in Prozent an.

Bezeichnet sich selbst als Bergmannianer: Markus Väth
Bezeichnet sich selbst als Bergmannianer: Markus Väth

Ich glaube allerdings, dass es kleineren Unternehmen leichter fällt, New-Work-Prinzipien zu etablieren als großen Konzernen. Aus dem einfachen Grund, weil die Leute, die in den Konzernen das Geld haben, in der Regel nicht diejenigen sind, die die Entscheidungen treffen. Die Distanz zwischen Geld und Verantwortung hemmt die Effektivität von New-Work-Umsetzungen. Ein Mittelständler kann Entscheidungen ganz anders treffen. Konzerne starten schon einzelne Aktionen und die finde ich auch gut. Aber ein New-Work-Konzern halte ich für unmöglich. Deswegen habe ich auf der Charta auch keine Firmen unterschreiben lassen. Für mich ist das ein Netzwerk von Menschen.

Führt so eine Entwicklung, wie sie in der New-Work-Charta beschrieben ist, überhaupt zu einer Veränderung, die Unternehmen wirklich wirklich wollen, um mal im Bild zu bleiben?

Manche Unternehmen wollen diesen Wandel sicher auch nicht. Es muss nicht jeder New Work machen. Ein Unternehmen ist eine Organisation, die einem Zweck unterliegt. Und wenn sich genügend Menschen in der Welt befinden, die in dieses Unternehmen gehen und dort arbeiten wollen, dann ist das für mich völlig in Ordnung. Die Charta ist das Angebot eines Denkmodelles, mit dem man arbeiten kann. Es ist ein Gesprächseinstieg – und dann fängt der Weg erst an.

New Work ist definitiv ein Thema für die Politik.

Bergmann schreibt in „Neue Arbeit, Neue Kultur“: „Ohne eine andere Wirtschaftsform kann das, was wir mit dem Wirklich-wirklich-Wollen meinen, nicht verstanden werden.“ Ist die Charta also zu brav? Muss New Work heute gesellschaftskritischer und politischer werden, um nicht beliebig zu sein?

Bergmann wollte den Kapitalismus nie abschaffen, er wollte ihn modifizieren. Ich sehe den Aspekt der neuen Wirtschaftsform kritisch. Er hat das damals in den 80er-Jahren in einer Zeit verfasst, die vom Börsencrash und dem Wolf of Wallstreet geprägt war. New Work ist definitiv ein Thema für die Politik. Aber ich habe festgestellt, dass man in der Politik mit ruhigen klugen Argumenten weiterkommt. Ich habe schon 2016 in meinem Buch „Arbeit - die schönste Nebensache der Welt“ geschrieben: Wir brauchen einen New-Work-Deal, der uns auf die Zukunft der Arbeit vorbereitet. Meine Kolleginnen und Kollegen von humanfy und ich, versuchen gerade, die Charta in politische Konzepte für Parteien umzuwandeln. Wir sprechen mit verschiedenen Parteien darüber, wie das, was in der Charta steht, Teil eines politischen Programms werden könnte.

Was muss noch passieren, damit New Work nicht zu beliebig wird?

Im Moment sehe ich die Gefahr, dass New Work gekapert wird von dem Dogma des quantitativen Wachstums. Ein Unternehmen muss natürlich Umsatz und Gewinn machen, sonst wäre es kein Unternehmen. Aber das, was da gerade stattfindet, ist ein emotionaler Kapitalismus. Man beutet die Gefühle, den Arbeitswillen und die Sinnsuche der Menschen aus, um sie auf eine betriebswirtschaftliche Art noch mehr auszupressen. Das ist nicht der Sinn von New Work. Hier zeigt sich für mich wieder sehr deutlich: Wir haben zunächst einmal ein Wissensproblem und kein Umsetzungsproblem. Es gibt erschreckend wenig Wissen über New Work, selbst unter Fachleuten. Das möchte ich ändern, denn ich glaube, New Work hat auf viele Megatrends unserer Zeit eine Antwort.

 

Zur Person:

Markus Väth ist einer der profiliertesten New Worker im deutschsprachigen Raum und seit mehr als zwölf Jahren in den Themen New Work, Management und Führung tätig. Er ist Initiator der New-Work-Charta, hat mehrere Bücher zu New Work und Management verfasst und ist Co-Founder von humanfy, eines Think Tanks zur Zukunft der Arbeit.