New Work Selbstorganisation

Warum Start-ups keine Betriebsräte brauchen – aber neue Formen der Mitbestimmung

Kommentar Start-ups nur noch mit Betriebsrat und Tarifbindung? Diese Forderung der SPD Berlin geht Hermann Arnold zu weit. Sie führe am Problem vorbei. Mitbestimmung sei wichtig, keine Frage, aber: Wir brauchten eine große gesellschaftliche Debatte, wie diese Mitbestimmung aussehen soll.

Mitbestimmung und Start-ups: Neues Denken ist gefragt.  Foto von Dylan Nolte by Unsplash
Mitbestimmung und Start-ups: Neues Denken ist gefragt. Foto von Dylan Nolte by Unsplash

Start-ups nur noch mit Tarifvertrag?

Staatliche Förderung für Start-ups soll zukünftig davon abhängen, ob sie einen Betriebsrat haben und nach Tarif bezahlen. Mit dieser Forderung – die so auch im Koalitionsvertrag der Berliner Landesregierung steht – ließ die Berliner SPD Mitte Januar 2020 von sich hören. SZ-Redakteurin Lea Hampel unterstützte in ihrem Kommentar „Erst mit Betriebsrat wird die neue Arbeitswelt wirklich schön“ dieses Vorhaben. Ich bin anderer Meinung, denn ich bin überzeugt: In der Zukunft brauchen wir neue Formen der Mitbestimmung – wir können nicht die Herausforderungen von heute mit den Mitteln von gestern lösen.

Das Reisebüro ist nicht mehr zeitgemäß

Die Digitalisierung hat unsere Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle revolutioniert. Dies lässt sich gut am Beispiel eines Reisebüros veranschaulichen: Wollten wir früher eine Reise buchen, brauchten wir dafür die Hilfe von ausgebildeten Spezialisten. Flüge oder Züge mussten die Mitarbeiter im Reisebüro für uns buchen, das konnten wir in der Regel nicht selbst übernehmen. Heute sind wir unsere eigenen Reisefachleute – die Digitalisierung hat die Zwischenschicht des Fachexperten disruptiert. Diese mussten sich neu erfinden oder wurden überflüssig.

In der Zukunft brauchen wir neue Formen der Mitbestimmung – wir können nicht die Herausforderungen von heute mit den Mitteln von gestern lösen.
Hermann Arnold

Und genauso ist es auch in der neuen Arbeitswelt: So selbstbestimmt, zeitlich und örtlich flexibel, wie wir Reisen buchen, wird in den meisten Start-ups auch gearbeitet. Und so wie wir den Mitarbeiter aus dem Reisebüro nicht mehr für unsere Flugbuchung benötigen, brauchen wir heute auch direktere und schnellere Formen der Mitbestimmung als in der Vergangenheit..

Mitbestimmung ist entscheidend – aber bitte richtig

Lea Hampel argumentiert, dass gerade die intrinsisch motivierten Mitarbeiter in Start-ups Schutz vor Selbstausbeutung benötigen, zumal die oft gepriesene Wohlfühlkultur am Arbeitsplatz häufig verschleiere, dass es auch in einem Start-up ums Geld verdienen gehe – und der Gewinn des einen nun mal höher sei, je geringer das Gehalt des anderen ausfalle.

Mitarbeiter führen Unternehmen. Wir beziehen unsere Mitarbeiter in alle relevanten Entscheidungen direkt ein, von der Strategie bis hin zur Einstellung oder Entlassung von Kollegen.
Hermann Arnold

Ob das bei Start-ups wirklich stimmt, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Doch die Forderung nach Betriebsräten in Start-ups ist die falsche Schlussfolgerung. Denn jede Zwischenschicht macht eine Organisation starrer und verlangsamt Entscheidungen und Prozesse. Gerade für ein Start-up, dessen großer Vorteil gegenüber den etablierten Unternehmen im Markt seine Schnelligkeit und Flexibilität ist, kann dies zum entscheidenden K.o.-Kriterium werden. Dass gute Arbeitgeber von Betriebsräten „nichts zu befürchten hätten“ wie Lea Hampel schreibt, ist deswegen nicht automatisch so.

Wie dann neue Mitbestimmung?

Für neue, direkte Formen der Mitbestimmung gibt es bereits einige Experimente und bewährte Beispiele. Bei Haufe-umantis – auch wir waren ein Start-up – machten wir von Anfang an sehr gute Erfahrungen mit dem einfachen Motto: Mitarbeiter führen Unternehmen. Wir beziehen unsere Mitarbeiter in alle relevanten Entscheidungen direkt ein, von der Strategie bis hin zur Einstellung oder Entlassung von Kollegen. Das ist nicht immer einfach, bedeutet aber bessere, weil fundiertere Entscheidungen und starkes Commitment der Mitarbeiter.

Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion: Wie wollen wir zukünftig arbeiten und Mitbestimmung organisieren?
Hermann Arnold

Frederic Laloux, Autor von „Reinventing Organizations“, geht noch einen Schritt weiter: Er geht davon aus, dass sich in modernen Organisationen formelle Hierarchien zugunsten von natürlichen auflösen. Die Mitarbeiter machen unter sich aus, wer für welche Themen verantwortlich ist und verteilen auf diese Weise Führung (und dann wahrscheinlich auch Interessensvertretung – Vermutung des Autors) auf mehrere Schultern.

Regeln für neue Formen der Mitbestimmung

Lea Hampe weist zu Recht daraufhin, dass Start-ups sich kontinuierlich verändern, weswegen informell getroffene Vereinbarungen zwischen Management und Mitarbeitern schnell hinfällig werden können. Das ist richtig, weswegen ich auch der Meinung bin, dass Vereinbarungen formell getroffen werden sollten – aber ebenso formell wieder verändert und weiterentwickelt werden müssen. Doch ist dies wahrscheinlich ohne formellen Betriebsrat über eine breite Beteiligungs- und Mitbestimmungskultur besser möglich.

In diesem Sinne plädiere ich für mutige Experimente, in denen Unternehmensführung und Mitarbeiter gemeinsam neue, zeitgemäße Formen der Partizipation entwickeln. Gleichzeitig brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion: Wie wollen wir zukünftig arbeiten und Mitbestimmung organisieren?

Nachtrag

Mittlerweile hat sich auf Linkedin eine interessante Diskussion rund um diesen Beitrag entwickelt. Hier noch mein Beitrag dazu:

Vielen Dank für Deinen Beitrag Patrick und für Ihren, Frau Elisabeth Schulze Jaegle. Er macht mich auf die zugespitzte Unschärfe meines Beitrags aufmerksam. Mein Beitrag hat zwei Seiten.

1. Soll es verpflichtend Betriebsräte in Startups geben? Ich finde nicht. Heißt das, dass es keine Betriebsräte geben soll, insbesondere innovative, die experimentieren mit neuen Formen der institutionellen Mitbestimmung? Absolut nicht!

Das kommt im Beitrag wohl zu wenig heraus.

2. Muss sich institutionelle Mitbestimmung weiterentwickeln und neu erfinden? Ja, genauso wie Reisebüros. Die gibt es ja auch weiterhin. Ich kenne genügend Betriebsräte, die zu diesem Schlag gehören. Würde die Anzahl der Betriebsräte ohne gesetzliche Quote auf einer anderen, tieferen Anzahl landen - wie bei den Reisebüros? Wahrscheinlich schon, weil Mitarbeiter heute viele Dinge selbst besser in die Hand nehmen können, insbesondere wenn wir neue Formen der formellen Mitbestimmung finden.

Heißt das, es braucht keine Betriebsräte mehr? Definitiv nicht!