Organisationsentwicklung The Next Normal

„Virtuelles Arbeiten wird zur Effizienzmaschine“

Reza Moussavian, SVP HR Development, Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom, beschreibt, wie die Krise die Purpose-Suche an ihr Ziel bringt, welche Sorge ihm das Homeoffice bereitet und warum man zukünftig frei bleibende Büroflächen nicht einfach ersatzlos streichen sollte.

"Die Corona-Krise ist Herausforderung wie auch Chance", meint Reza Moussavian, Deutsche Telekom.
"Die Corona-Krise ist Herausforderung wie auch Chance", meint Reza Moussavian, Deutsche Telekom.

Herausforderung und Chance

Mit Blick auf die Krise: Wie geht es der Deutschen Telekom? Was sind die organisationalen Folgen dieser Zeit?

Wir sind im Vergleich zu vielen anderen Organisation in einer den Umständen entsprechend stabilen Situation. Wir haben Ausfälle, das Geschäft läuft im Ganzen trotz der Krise weiter – das zeigt sich auch in unserem Jahresausblick. Wir erleben, dass der Erhalt und das Anbieten von Infrastruktur wie Strom, Wasser, Nahverkehr oder eben Telekommunikation essenziell ist, gerade in Zeiten wie diesen. Mit Blick auf die organisationalen Folgen könnte man also sagen: Die Corona-Krise ist Herausforderung wie auch Chance.

Wir stehen vor spannenden Fragen, etwa: Kriegen wir die MitarbeiterInnen eigentlich zurück ins Office? Sollten wir das überhaupt?
Reza Moussavian, SVP HR Development, Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom 

Was wäre denn zum Beispiel eine dieser Chancen?

Unsere Umstellung aufs Homeoffice hat extrem gut funktioniert. Bei den Befragungen unserer Mitarbeitenden erreichen die Zufriedenheitswerte gerade Allzeithochs. Dadurch entstehen zum Beispiel die interessanten Fragen: Kriegen wir die MitarbeiterInnen eigentlich zurück ins Office? Sollten wir das überhaupt? Wie Funktion und Nutzung nehmen zukünftig Bürogebäude und -räume ein? Mein Credo zu New Work oder Next Normal war und ist immer Produktivität, heisst Effizienzen heben sowie Effektivität steigern.

Aber ich kann nicht einseitig an einer Stelle einsparen und dann hoffen, dass alles andere irgendwie funktioniert. Angenommen, wir könnten Arbeitsflächen anders nutzen und einsparen, was passiert dann? Dann muss ich im gleichen Zuge in eine bessere Ausstattung und Ausbildung der Mitarbeitenden investieren. Wenn wir bewahren wollen, was wir als produktives Homeoffice und funktionierende digitale Kommunikation erlebt haben, müssen wir uns also immer auch fragen, was wir den Mitarbeitenden an die Hand geben sollten.

Wie gehen die Führungskräfte damit um, dass ihre Mitarbeitenden nun im Homeoffice arbeiten?

In unserem Vorstand und im Topmanagement stand man dem Home Office differenziert gegenüber. Einerseits Ausdruck einer modernen und digitalen Arbeitswelt, andererseits die Sorge vor einem Leistungsabfall. Jetzt zeigt sich, dass virtuelles Arbeiten zu einer Verdichtung von Arbeit führt. Weil diese Umrüstzeiten, Wegezeiten und der Kaffee zwischendurch wegfallen, habe ich eigentlich mehr Arbeit als vorher. Ich kann ohne Puffer formelle Meetings aneinander reihen. Virtuelles Arbeiten wird zur Effizienzmaschine. Das hat Auswirkungen auf unsere Arbeitsformen, die Zusammenarbeit, die organisatorische Dynamik und am Ende auch auf den Workload. Ich selber habe deutlich erlebt, dass die informellen Gespräche, Lunch/Coffee-Dates, der Austausch im Open Space, im Flur oder der Küche runtergefallen sind. Das sind aber die „Schmiermittel“ einer Organisation, ohne die es langfristig keinen Zusammenhalt gibt.

Angenommen, wir könnten 50 Prozent Arbeitsfläche einsparen, was passiert dann? Dann muss ich im gleichen Zuge in eine bessere Ausstattung und Ausbildung der Mitarbeitenden investieren.
Reza Moussavian, SVP HR Development, Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom 

Wie verhindert man, dass diese Verdichtung zu einer Überforderung führt?

Kurzfristig müssen wir über neue Zeremonien und Rituale sicherstellen, dass Pausenzeiten und informeller Austausch auch im virtuellen Raum zur Normalität werden. Eine Idee sind zum Beispiel Virtual-Coffee-Runden, in denen man sich gemeinsam als Team eine Pause nimmt. Solche Momente der Achtsamkeit sind wichtiger denn je. Wenn wir diese nicht schaffen und wirklich ernst nehmen, kippen uns die Leute irgendwann um.

Was passiert, wenn virtuelles Arbeiten und Präsenzarbeit zusammenfallen?

Welche weiteren Herausforderungen verbindest du mit dem Homeoffice?

Aktuell machen wir die Erfahrung, dass Meetings und Veranstaltungen, die rein virtuell laufen, wunderbar funktionieren. Mittelfristig muss man sich dann aber über die Situationen der Zusammenarbeit Gedanken machen, in denen virtuelles Arbeiten und Präsenzarbeit zusammenfallen. Wenn in hybriden Konferenzen einige Leute an einem Standort zusammensitzen und andere nur virtuell teilnehmen, erzeugt das schnell eine Art eine Zwei-Klassengesellschaft. Es hängt auch von der Art des Meetings ab, ob Entscheidungsmeeting, Planungsmeeting, Brainstorming, Co-Creation. Grundsätzlich glaube ich (auch schon vor der Krise), es geht alles digital. Dafür braucht man aber die entsprechenden methodischen Kenntnisse und Tools.

Studie "The Next Normal"
Dieses Interview ist Teil von „The Next Normal“ – einer qualitativen Studie zur Zukunft von Organisationen, für die rund 100 Führungskräfte interviewt wurden. „The Next Normal“ ist eine Kooperation von Metaplan und Haufe. Bei Interesse an der Studie wenden Sie sich bitte an thorsten.schaar@
haufe.com

Manche Organisationen erleben durch die Krise eine Art Zusammenrücken unter den Mitarbeitenden. Du hast eingangs beschrieben, dass Ihr in einer sehr komfortablen Situation seid. Erlebt Ihr dennoch Veränderungen im Umgang miteinander?

Das ist eine interessante Frage. Wir haben uns Anfang des Jahres selbst einen Purpose gegeben: „We won’t stop until everyone is connected“, wir geben uns erst zufrieden, wenn jeder verbunden ist. Durch die Krise, in der nun wirklich jeder darauf angewiesen war, Netz zu haben, um mit der Welt verbunden zu sein, hat dieser Purpose natürlich eine ganz eigene Bedeutung bekommen. Jetzt kommt er wirklich zum Leben. Die Vorstellung ist: Wir verbinden die Menschen. Wir verbinden ein ganzes Land, ganze Gesellschaften. Wir ermöglichen den Menschen, trotz Physical Distancing füreinander da zu sein. Das hat intern eine Menge bewegt.

In der Krise ist der Druck auch auf Führungskräfte enorm gestiegen.
Reza Moussavian, SVP HR Development, Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom 


Zum Beispiel?

Für alle Fragen rund um Workplaces, Workstations und Home Office mussten wir als HR noch viel enger untereinander, aber auch z.B. mit der IT zusammenrücken als vor der Krise. Durch all das, was wir dadurch gemeinsam bewegt haben – und was dabei an neuen Verbindungen entstanden ist – sind wir auch über Abteilungsgrenzen hinweg zu einem ganz neuen Wir-Gefühl gekommen.

Ein ganz neues Wir-Gefühl

Was ist eine persönliche Lernerfahrung aus dieser Krise?

Ich glaube in der Krise ist der Druck auch auf Führungskräfte nochmals gestiegen. Die Palette an Aufgaben ist breiter geworden: Den Einzelnen und das Team fördern und fordern, kritischem Feedback nicht aus dem Weg gehen, dem Team Halt geben in der Krise, Themen weiterentwickeln, Positionen reflektieren und sich fragen: Welche Bedeutung hat eigentlich mein Thema für und in der Organisation? Hat es sich durch die Krise verändert? Wenn ja, wie gehen wir das zukünftig an? Da kommt ein Menge auf uns zu. Ich habe für mich festgestellt, ich brauche neue Impulse und Coaching, ich komme sonst nicht weiter mit meinen Themen rund um Personal- und Organisationsentwicklung. Die Erkenntnisse über soziale und organisationale Dynamik finde ich regelrecht faszinierend und wichtiger denn je. Der Schlüssel zur Digitalisierung der Arbeitswelt liegt in der systemischen Organisationsentwicklung.