New Work Business Transformation

„Stillarbeit am liebsten zuhause“

Interview Hybridarbeit ist gekommen, um zu bleiben. Aus Büros werden Orte der Begegnung, der Zusammenarbeit und der Kommunikation, Excel-Tabellen etc. bearbeiten wir in Zukunft im Homeoffice oder sonstwo. Das ist das Ergebnis einer Studie von Shift Collective. Wir haben uns mit den Studienautoren über die Folgen unterhalten.

Das Büro der Zukunft: Mehr Kommunikation, weniger Schreibtisch? Foto: Nastuh Abootalebi, Unsplash
Das Büro der Zukunft: Mehr Kommunikation, weniger Schreibtisch? Foto: Nastuh Abootalebi, Unsplash

Ihr habt die Studie „Die Zukunft wird hybrid“ herausgebracht. Wie hybrid wird die Arbeitswelt denn wirklich? Und für wen?

Carsten Meier: Die Antwort lautet für alle (lacht). Im Ernst: Kaum jemand möchte zu hundert Prozent im Homeoffice sitzen, aber genauso wenige wollen wieder komplett zurück zur Präsenz im Büro. In unserer Studie sagen 65 Prozent der Teilnehmer:innen, ihnen schwebe ein Mittelweg vor, also zwei bis drei Tage in der Woche mobil arbeiten und den Rest im Büro. Wir nennen dies das Drei-plus-zwei-Modell. Also entweder zwei Tage im Homeoffice und drei Tage Office oder umgekehrt. Irgendwo da wird sich das einpendeln.

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Rouven Schirmer

Ist das die Sicht der Beschäftigten oder rechnen auch die Unternehmen mit drei plus zwei?

Rouven Schirmer: Wir haben sowohl quantitativ als auch qualitativ eine repräsentative Zahl von Führungskräften befragt und stellen fest, dass sich deren Einschätzungen weitgehend mit denen der Beschäftigten decken.

Und sollte das Ganze über eine Globalvereinbarung, eine unternehmensweite Vorgabe geregelt werden oder besser auf Teamebene?

Rouven Schirmer: Ich persönlich denke, auch aufgrund meiner Erfahrung, dass Vorgaben wahrscheinlich eher kontraproduktiv wären. Unsere Studie zeigt in jedem Fall, dass nahezu alle Befragten sich Hybridarbeit wünschen, weil diese ihnen völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Zum einen, was die Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit betrifft, zum anderen aber auch in Bezug auf die tatsächliche Arbeit. Viele haben in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass sie allein im Homeoffice besser Dinge abarbeiten können, konzentriert an einer Aufgabe sitzen können. Genauso aber haben die meisten erlebt, wie sehr ihnen das Büro als sozialer Raum fehlt. Es gibt eine Sehnsucht nach Gemeinschaft.

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Carsten Meier

Meine Empfehlung lautet deshalb, dass Unternehmen und die einzelnen Teams genau darauf schauen, welche Bedürfnisse und Bedarfe es gibt und wie diese am besten befriedigt werden. Wichtig ist, nicht in Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen, sondern auf die vielen Grautöne dazwischen zu achten. Viele Teams arbeiten in einem Umfeld, in dem viel und regelmäßiger Austausch erfolgsentscheidend ist, und andere, in denen Alleinarbeit überwiegt. Die sollte man nicht alle über einen Kamm scheren. Jedes Team muss jetzt herausfinden, was nach der Pandemie das Beste für es ist.

Dropbox zum Beispiel hat angekündigt, dass auch in Zukunft Remote Work Standard sein wird – sie nennen es Virtual First. Das Büro sei nur noch für tatsächliche Teamarbeit da. Ist das eine radikale Ausnahmeposition oder streben auch andere solche Modelle an? Was haltet Ihr von solchen Ansätzen?

Carsten Meier: Unsere Daten zeichnen ein ziemlich klares Bild. 63 Prozent der Befragten sagen, dass sie „Stillarbeit“ am liebsten zuhause – oder zumindest nicht im Büro – machen, weil sie sich außerhalb des Büros besser konzentrieren und fokussieren können. Gleichzeitig erklären 76 Prozent, dass für den Austausch mit Kolleg:innen und für wirklich kreative Arbeit gerne ins Büro gehen. Ein Virtual First-Ansatz geht daher durchaus auf diese Bedürfnisse ein.

Hybridarbeit wird kommen. Das sagen Führungskräfte und Beschäftigte übereinstimmend.
Rouven Schrimer, Shift Collective

Rouven Schirmer: Wichtig ist immer zu verstehen, was hinter entsprechenden Ansagen steckt. Zunächst ist es gut und hilfreich, dass auch mit solchen radikalen Ansätzen eine Diskussion in Gang kommt. Aber wir sollten immer genau hinschauen, ob es dabei wirklich darum geht, die Bedürfnisse der Beschäftigten so gut es geht zu befriedigen, oder ob der Wunsch dahintersteht, Bürokosten zu sparen oder ähnliches. Es gibt sehr diverse Sichtweisen auf das Thema Hybridarbeit und Arbeitswelt, die man berücksichtigen muss. Deshalb halte ich von einer steilen Vorgabe wenig, sondern wünsche mir, dass die Arbeitswelt von morgen in einem partizipativen, co-kreativen Prozess erarbeitet wird, über den ein individueller Ansatz gefunden wird.

Wenn Alleinarbeit zuhause stattfindet, im Büro die Teamarbeit – ist das das Ende des klassischen Schreibtischarbeitsplatzes?

Carsten Meier: Als wir die Studie gestartet haben, habe ich ehrlicherweise erwartet, dass eine Botschaft lauten würde „Das Büro ist tot“. Mit den Studienergebnissen vor Augen können wir das aber nicht sagen. Was wir belegen können, ist, dass sich die Rolle des Büros komplett verändern wird. Es wird sich zu einem kreativen Ort weiterentwickeln, an dem Räume für unterschiedliche Arbeitsmodi gestaltet werden. Es wird Räume für kreative Zusammenarbeit geben, Räume für wirklich hybride Meetings und auch Rückzugräume für konzentrierte Alleinarbeit. Der typische Schreibtisch, wie man ihn bislang kennt, wird es im Büro der Zukunft wahrscheinlich nicht mehr sehr häufig geben., und wenn, dann als sogenanntes Hot Desk, das man sich für eine bestimmte Zeit mieten kann, wenn man es braucht.

Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir Identität, Unternehmenskultur und Zusammenhalt ins Digitale übertragen. Das ist die Aufgabe der kommenden Jahre.
Carsten Meier, Shift Collective

Rouven Schirmer: Das kann ich nur unterstreichen. Das Büro wird insgesamt viel multifunktionaler und es muss auch multifunktionaler werden. Dieser Veränderungsprozess wird sehr spannend, aber im Kern ist es nichts radikal Neues. Wir beobachten ja schon seit Jahren, dass Unternehmen komplett neue Bürogestaltungen vornehmen. Die Pandemie beschleunigt diesen Umbau aber enorm. Denn sehr viele Menschen haben in den vergangenen Monaten erlebt, dass sie auch anders arbeiten können, als sie es bislang gewohnt waren, und dass dieses Arbeiten gut funktioniert, effektiv und effizient ist.

Shift Collective
Shift Collective ist ein Bund innovativer Beratungen und Agenturen für eine neue Wirtschafts- und Arbeitswelt. Für ihre Studie wurden 20 Top HR-Executives befragt, die Ergebnisse in einer Umfrage mit über 530 Teilnehmer:innen vertieft und mit den 30 Top-Studien und Forschungsergebnissen gebündelt. Entstanden sind dabei 10 Thesen zur hybriden Arbeitswelt.
Zum Shift Collective gehören: CO:X, Dark Horse Innovation, Ignore Gravity, ForChiefs, FutureStory, Intraprenör, Resourceful Humans, Summer&Co, TheDive, The New Normal.
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Deswegen wandelt sich etwas: Diese „neuen“ Büros sind nicht mehr nur ein Angebot der Unternehmen, sondern werden zu Anforderungen der Mitarbeiter:innen an ihren Arbeitgeber. Allerdings wären Unternehmen schlecht beraten, wenn sie jetzt alles wegschmissen, was sie aufgebaut haben. In Transformationsprozessen geht es auch immer darum, das, was sich bewährt hat, zu bewahren. Wir sehen ja, dass viele Beschäftigte aufschreien, wenn auf einmal eine strikte Hot Desk- oder Flex Desk Policy herrscht und ihnen gefühlt ihr Arbeitsplatz weggenommen wird.

Ich finde es interessant, dass auf einmal bis in höchste Führungsgremien hinein alle betonen, wie wichtig die Kaffeemaschine sei, weil dort die informellen Gespräche stattfinden würden, die Innovation und Neues überhaupt erst ermöglichen. Man hat den Eindruck, die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hänge an der Existenz einer Kaffeemaschine.

Carsten Meier: Wir sehen heute sehr deutlich, dass das Büro schon immer mehr war als ein reiner Arbeitsort. Es hat immer auch eine identitäts- und kulturstiftende Rolle für Unternehmen gespielt. Das Büro vermittelt allen Mitarbeitenden, besonders aber neuen Mitarbeiter:innen, bestimmte Grundhaltungen: So wollen wir miteinander umgehen, so wollen wir uns unterhalten, diese Ziele wollen wir erreichen. Das macht die Identität eines Unternehmens aus. Und natürlich schaffen die Menschen auf diese Weise Orte, an denen Kreativität freigesetzt wird und Innovationen entstehen. Das geht in einem von Mobilarbeit bestimmten Umfeld ein bisschen verloren. Zumindest besteht diese Gefahr. Wir haben von Interviewpartner:innen gehört, dass die Mitarbeiterbindung signifikant abgenommen hat im digitalen Raum. Dass die Bindung ans Unternehmen sinkt. Das ist nachvollziehbar, denn ob ich remote für das eine Versicherungsunternehmen arbeite oder für ein anderes, ist auf den ersten Blick egal, wenn ich morgens zuhause meinen Laptop aufklappe und einen Zoom Call nach dem anderen mache.

Deswegen gibt es viele Stimmen, die sagen, zumindest einige Tage in der Woche sollten alle zurück ins Büro kommen, um direkte soziale Kontakte in den Teams und darüber hinaus möglich zu machen. Das ist in meinen Augen aber ein Trugschluss. Wir müssten viel mehr darüber nachdenken, wie wir Identität, Kultur, das Informelle und Kreativität ins Digitale übertragen können. Wie kann das gehen, wie sieht das aus? Das sind entscheidende Fragen, die wir beantworten müssen. Diese Aufgaben wollen wir gemeinsam lösen.