Digitalisierung Organisationsentwicklung

„Für Alleinarbeit stehen unsere Büros nicht mehr zur Verfügung“

Interview Dropbox setzt weltweit auf Remote Work – auch nach der Pandemie. Büros werden zu Co-Working Spaces, in denen die Teams zusammenkommen, um sich auszutauschen und neue Projekte zu starten, nicht, um die tägliche Arbeit zu erledigen. Was das Unternehmen sich vom „Virtual First“-Ansatz verspricht, erklärt Andrea Trapp, Director of Business EMEA bei Dropbox.

„Warum jeden Tag ins Büro fahren, um sich dann von den anderen abzuschotten?“, fragt Andrea Trapp, Dirctor of Business EMEA bei Dropbox.
„Warum jeden Tag ins Büro fahren, um sich dann von den anderen abzuschotten?“, fragt Andrea Trapp, Dirctor of Business EMEA bei Dropbox.

Das Ende des klassischen Büros

Frau Trapp, Dropbox hat erklärt, in Zukunft als „Virtual First Company“ zu agieren. Was heißt das?

Seit Beginn der Pandemie arbeiten wir alle remote, also nicht mehr aus einem unserer Büros heraus, sondern dem Homeoffice. Das wird bei Dropbox auch noch bis mindestens Juni 2021 beibehalten werden. Unsere neue „Virtual First“-Strategie geht aber weit über die Arbeit im Homeoffice hinaus. Sie hat auch nur bedingt etwas mit den aktuellen Ereignissen zu tun, denn unsere Mitarbeitenden sind schon viel länger und regelmäßiger remote tätig. Seit jeher wird bei Dropbox Standort-übergreifend international eng zusammengearbeitet, und durch die Corona-bedingten Bedingungen konnten wir unseren Erfahrungsschatz zu Remote-Arbeit weiter ausbauen. Insgesamt war es für uns nur noch ein relativ kleiner Schritt, die virtuelle Zusammenarbeit an erste Stelle zu setzen. Kurz gefasst bedeutet “Virtual First”, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur täglichen Arbeit nicht mehr ins Büro kommen müssen. Für sogenannte Alleinarbeit steht das Büro grundsätzlich gar nicht mehr zur Verfügung.

Virtual First bedeutet: Für sogenannte Alleinarbeit steht das Büro grundsätzlich gar nicht mehr zur Verfügung.

Ein radikaler Schritt …

Das kommt auf die Sichtweise an. Wir denken, dass vermeintlich weniger radikale, weil hybride Modelle, bei denen einige im Büro arbeiten und der Rest an anderen Orten, viel weniger inklusiv sind und eher zu Ungleichgewichten bei der Leistung oder den Karriereverläufen führen. Das wollen wir verhindern. Zusammen mit all den Erfahrungen, die wir in diesem knappen Jahr strikter Remote-Arbeit gesammelt haben, gibt es für uns gar kein Zurück zur Präsenzkultur mehr. So wählten wir den Weg zur generellen Remote-Arbeit.

Hybrid-Modelle: Exklusiv und ungerecht?

Das bedeutet, es gibt überhaupt keine Dropbox-Büros mehr, in denen die Menschen arbeiten können?

Die Menschen arbeiten prinzipiell ortsunabhängig von zuhause oder einem anderen Arbeitsort aus. Sobald es aber wieder möglich ist und wir die Pandemie in den Griff bekommen haben, werden wir sogenannte Dropbox Studios zur Verfügung stellen, in denen dann Teamarbeit, kreative Zusammenarbeit und auch Kundentermine möglich sein werden. Wer in ein solches Büro geht, wird dort keine Arbeitsplätze im klassischen Sinn vorfinden, denn diese Studios werden keine Schreibtische für individuelle Einzelarbeit mehr bieten.

Was versprechen Sie sich davon?

Wir sehen darin deutliche Vorteile: Zum einen ermöglicht Remote Work den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Freiheiten, mehr Flexibilität in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit. Natürlich erfordert das ein stetiges Lernen – die Mitarbeitenden müssen zum Teil ihr Zeitmanagement und die eigenständige Strukturierung ihrer Arbeit verbessern. Doch wir begleiten und unterstützen sie dabei mit zahlreichen Programmen. Wir nutzen die Chance, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alle unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen – manche haben Kinder, andere sind Singles etc. – die Flexibilität und die Zeit für das, was wir Deep Work nennen, zu geben; sich besser organisieren zu können als in einer klassischen Präsenzkultur. Deep Work meint Blöcke, in denen man Themen zu Ende denken kann, ohne Unterbrechungen und Ablenkungen.

Wir sind sicher, dass unsere Mitarbeitenden sich in Remote Work besser organisieren können als in der klassischen Präsenzkultur. Und produktiver werden.

Diese Blöcke muss man sich schaffen, aber das geht unserer Erfahrung nach in Remote-Arbeit besser als im Büro. Parallel dazu haben wir die sogenannten Collaboration Hours eingeführt, Zeiträume, in denen die Teams sich besprechen, Video Calls und Kundentermine abhalten und gemeinsam an Themen arbeiten. Das heißt, wir haben bestimmte Zeiten für Teamarbeiten, und abseits davon kann man sich auf seine Einzelarbeit konzentrieren, ohne Störungen von außen.

Mehr Fokus dank Remote Work

Es ist also eine vorgegebene Flexibilität?

Nein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben natürlich die Möglichkeit, eigene Zeit- und Tagespläne für sich zu erstellen, die zu ihren anderen Aufgaben, etwa Kinderbetreuung, passen. Ob das individuelle Zeitpläne sind oder Team-Zeitpläne, überlassen wir den Teams selbst – ebenso wie die Kommunikation darüber. Ich will das an einem Beispiel greifbar machen: Im ersten Lockdown mussten viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuhause das Homeschooling übernehmen. Das bedeutet eine große Belastung, vor allem wenn beide Eltern von zuhause aus arbeiten. Dropbox ermöglichte den Mitarbeitenden, sich abzusprechen. Beispielsweise bot eine Mitarbeiterin an, sich morgens um das Homeschooling zu kümmern und statt dessen ab Mittag bis in den Abend hinein zu arbeiten, also die Arbeit in die Zeitspanne zu legen, in der ihr Partner die Kinderbetreuung übernahm. Wenn man solche individuellen Organisationsgrundlagen frühzeitig kommuniziert, wissen alle Bescheid, können sie berücksichtigen und auf einer Verständigungs- und Verständnisbasis optimal zusammenarbeiten.

Es bleibt dabei, dass bestimmte Zielvorgaben erreicht werden müssen. Und dafür braucht es eine gewisse Struktur. Aber es geschieht eben flexibler und an den individuellen Bedürfnissen orientiert.

Ganz frei kann die Belegschaft aber nicht über ihre Arbeitszeit entscheiden …

Es bleibt dabei, dass bestimmte Zielvorgaben erreicht werden müssen. Und dafür braucht es eine gewisse Struktur. Aber es geschieht eben flexibler und an den individuellen Bedürfnissen orientiert. Der "Virtual First"-Ansatz bietet aber gerade in diesem Punkt in meinen Augen noch einen entscheidenden Vorteil: Das Pendeln fällt weg, und das spart Lebenszeit! Und gleichzeitig ermöglicht Remote Work, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus teuren Ballungszentren aufs Land ziehen können, wenn sie das möchten. Niemand muss in München oder Hamburg wohnen, nur weil dort unsere Büros in Deutschland sind.

Kommunikation und Transparenz

Das eröffnet Dropbox beim Recruiting neue Perspektiven.  

Richtig, wir können jetzt deutschlandweit und unsere Organisation weltweit völlig ortsunabhängig nach neuen Talenten suchen. Das vergrößert den Talentpool für uns enorm.

Remote Work gibt Menschen die Chance, aus teuren Ballungszentren aufs Land zu ziehen, wenn sie das möchten. Niemand muss in München oder Hamburg wohnen, nur weil dort unsere Büros in Deutschland sind.

Viele Unternehmen fürchten, dass mit Remote-Arbeit der Zusammenhalt in den Teams verloren geht und dass die Bindung der Menschen ans Unternehmen schwindet, wenn sie sich nicht mehr physisch begegnen. Können Sie diese Bedenken nachvollziehen?

Bei Dropbox ist sehr viel auf Zusammenarbeit ausgelegt, sie ist zentral für unsere Innovationskraft. Ich kann nur sagen, dass wir als Team sehr produktiv sind, seit wir – anfangs gezwungenermaßen – alle vollständig verteilt arbeiten. Das ist einer der Gründe dafür, dass wir uns für die Virtual First-Strategie entschieden haben.

Der Schlüssel zum Erfolg ist eine intensive Kommunikation. Das heißt zum einen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle Informationen erhalten, die sie brauchen. Zum anderen sind unterschiedliche virtuelle Meeting-Formate notwendig, in denen die Menschen über Ziele und Prioritäten sprechen, und wo klar wird, was das für die einzelnen Teams bedeutet. Geschieht das, fühlen sich alle weiterhin gut eingebunden. Nur zwei von zahlreichen solcher Formate, die die kreative Zusammenarbeit fördern, sind beispielsweise unsere jährliche Hack Week oder die Coffee Boxes. Die Hack Week bündelt die Kreativität von allen Dropbox-Angehörigen weltweit außerhalb der genuinen Arbeitsprojekte in einer geplanten Zusammenarbeit an Zukunftsthemen. Unsere Coffee Boxes sind organisierte Kaffeepausen, die das berühmte Gespräch an der Kaffeemaschine im Büro ersetzen. Wir fördern den Austausch der Mitarbeitenden untereinander entscheidend, denn er ist die Grundlage für unseren Erfolg. Nicht zuletzt durch einen vielfältigen Strauß an Maßnahmen, ist nach meinem Empfinden unser Gemeinschaftsgefühl nach wie vor stark ausgeprägt.

Der Schlüssel zum Erfolg ist eine intensive Kommunikation. Die Mitarbeitenden müssen alle Informationen erhalten, die sie brauchen. Zum anderen sind unterschiedliche virtuelle Meeting-Formate notwendig, in denen die Menschen über Ziele und Prioritäten sprechen.

Wofür brauchen sie dann noch die Dropbox Studios?

Vieles von dem, was wir heute machen, ist den Einschränkungen durch das Corona-Virus geschuldet. Wie schon erwähnt, ist bei Dropbox Arbeit von zuhause bis Juni 2021 obligatorisch. Aber das ist ja nicht der Normalzustand. Wir hoffen, dass wir, wenn das wieder sicher und gefahrlos möglich ist, zur Normalität zurückkehren. Nur dass unsere Normalität dann eben nicht bedeutet, dass Einzelarbeit im Büro stattfindet, sondern dass die Büros dazu da sind, um Kunden zu treffen, um als Team (auch physisch) zusammenzukommen und gemeinsam kreativ zu sein.

Eine Frage der Selbstorganisation

Was sagen denn Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu?

Wir befragen unsere Belegschaft regelmäßig und haben diese Befragung auch 2020 durchgeführt. 90 Prozent der Interviewten äußerten, dass sie remote genauso produktiv oder sogar besser arbeiten als im Büro und deshalb nicht mehr zu einer starren Fünf-Tage-Präsenzwoche zurückkehren möchten. Und das war, bevor wir die "Virtual First"-Strategie angekündigt haben. Das zeigt, wie unproduktiv ein Büro von vielen empfunden wird. Eine Studie, die wir gemeinsam mit The Economist durchgeführt haben, kommt übrigens zu dem Ergebnis, dass das Fehlen ständiger Ablenkungen im Büro der zweitwichtigste Grund für höhere Produktivität der Remote-Arbeit ist. Da ist es doch sinnvoller, zuhause konzentriert zu arbeiten, statt ins Büro zu pendeln, um sich dort dann von den Kolleginnen und Kollegen für Fokusarbeit abzuschotten.