New Work Organisationsentwicklung

Female Only: Mehr als ein Zimmer für sich allein

Überall in Deutschland haben sich in den vergangenen Monaten und Jahren Orte gebildet, wo Frauen unter sich arbeiten und sich vernetzen. Ist das nötig? Und was können Unternehmen und Führungskräfte davon lernen?

Sie nennen es den "womb": Das Büro der Female-Only-Agentur goalgirls in Berlin Mitte Foto: goalgirls
Sie nennen es den "womb": Das Büro der Female-Only-Agentur goalgirls in Berlin Mitte Foto: goalgirls

Ein Betonklotz in Berlin Mitte. Der rosa Schriftzug, der auf die goalgirls aufmerksam machen soll, ist vor der grau-braunen Fassade von Weitem fast nicht zu sehen. Vor der Tür steht eine junge Frau mit Zeichenköcher unterm Arm. Drinnen sitzen in einem langgezogenen Raum Frauen über ihre Laptops gebeugt. In der Mitte, gleich gegenüber der Eingangstür, steht ein Sofa, daneben hängt auf roter Pappe eine rosarote Vulva aus Stoff. „Das ist ein Überbleibsel von einem unserer letzten Events“, erklärt Kaddie Rothe. Die 26-Jährige ist – gemeinsam mit ihrer Schwester Helena – die Gründerin der goalgirls, einer Kreativagentur, die ganz bewusst komplett aus Frauen besteht.

Kaddie Rothe möchte mit der co-creagency das Konzept
Kaddie Rothe möchte mit der co-creagency das Konzept "Agentur" auf den Kopf stellen. Foto: goalgirls

„Als meine Schwester und ich vor zwei Jahren gegründet haben, haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, wie Frauen gründen und wie man Frauen unterstützen kann“, sagt Kaddie Rothe über die Entstehung der goalgirls. „Wir haben unsere Erfahrungen in einem Blog namens goalgirls dokumentiert. Als wir gemerkt haben, dass unsere Projekte irgendwie anders waren und immer aktivistischer, merkten wir auch, dass wir selbst als Bewegung noch viel mehr empowern können. Also sind wir den Schritt gegangen, eine Female-Empowered-Agentur zu starten. Für mehr Gleichberechtigung in der Kreativindustrie.“ In einem weiteren Schritt ist daraus die co-creagency entstanden: Ein Netzwerk aus Freelancerinnen, die Zugang zu Projekten bekommen und das Büro in Berlin Mitte als Arbeitsplatz nutzen können.

Zu den Kunden der Agentur zählen Unternehmen wie Armed Angels, Bumble, MyMuesli und Lunette. In den Kampagnen der goalgirls, die auf unterschiedlichen Kanälen und oft mit Aktionen gestartet werden, wird für Vielfalt, Gleichberechtigung und das jeweilige Produkt geworben. Mit der co-creagency wollen die goalgirls beweisen, dass sie es mit ihren erdachten Slogans ernst meinen. „Wir wollen nicht nur mit disruptiven Kampagnen werben und Bewegungen mit Brands beginnen, sondern auch als Agentur selbst ein Beispiel sein“, sagt Kaddie Rothe. Die co-creagency soll das Konzept „Agentur“ auf den Kopf stellen. Der Female-Only-Ansatz ist ein Teil davon.

Female-Empowerment ist bis heute mehr Wunsch als Wirklichkeit

Mit dem Gedanken und Wunsch, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen und sich somit ein Netzwerk ergibt, sind die goalgirls nicht allein. Vielmehr reihen sie sich ein in eine ganze Bandbreite von Initiativen, Veranstaltungen und Netzwerken, die sich exklusiv an Frauen richten, mit Hashtags wie #FemaleEmpowerment oder #FemaleLeadership versehen werden – und die damit natürlich auch Geld verdienen wollen. Female Only, so scheint es, ist Trend.

Wenn Katja von der Bey diese Einschätzung hört, lächelt sie freundlich. Die Geschäftsführerin Deutschlands größter Frauengenossenschaft, der WeiberWirtschaft, kann in diesem Jahr auf deren dreißigjähriges Bestehen zurückblicken. Die Förderung und Vernetzung von Frauen ist seit mehreren Jahrzehnten ihr Tagesgeschäft. „Ja, tatsächlich ist die öffentliche Aufmerksamkeit eine größere geworden“, sagt sie und ergänzt: „Das wurde schließlich auch Zeit.“

Ist Geschäftsführerin und eine der Vorstandsfrauen der Genossenschaft WeiberWirtschaft: Katja von der Bey.  Foto: Anke Großklaß
Ist Geschäftsführerin und eine der Vorstandsfrauen der Genossenschaft WeiberWirtschaft: Katja von der Bey. Foto: Anke Großklaß

Denn vom „Hype“ rund um Female Leadership ist in der anzuggrauen Realität noch nicht viel zu spüren. Das belegen unter anderem die Statistiken der Allbright-Stiftung: Noch immer sind mehr als 90 Prozent der Vorstandsmitglieder in Deutschland Männer. 103 von 160 Unternehmen, die in DAX, MDAX und SDAX notiert sind, hatten am 1. September 2019 keine einzige Frau im Vorstand.

Und in den Start-ups sieht es nicht besser aus: Der Bundesverband Deutscher Start-ups zählt in den eigenen Reihen laut eigener Angabe 15,7 Prozent Gründerinnen. Als LinkedIn vor zwei Monaten eine Liste mit den 25 gefragtesten Start-ups in Deutschland veröffentlichte, fiel schnell auf, dass lediglich eines davon von einer Frau gegründet wurde. In einem Ranking des Wirtschaftmagazins Forbes, das die 100 innovativsten Führungskräfte Amerikas aufzählt, findet sich tatsächlich nur eine Frau. Laut dem Global Gender Gap Report 2018 des Weltwirtschaftsforums wird es noch 202 Jahre dauern, bis Frauen im Arbeitskontext Männern gleichgestellt sind. Die Aufzählung dieser Statistiken ließe sich seitenweise fortsetzen. Können Frauennetzwerke und Orte, die exklusiv für Frauen sind, daran etwas ändern?

Female-Only-Spaces: Viel mehr als Räume und gute Rahmenbedingungen

„Zumindest für den Erstkontakt scheint so ein Ort, gerade was die Vernetzung mit anderen angeht, sehr hilfreich zu sein“, sagt Katja von der Bey. Das Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrum, das die Genossenschaft in Berlin seit dem Beginn der 90er-Jahre in einem ehemaligen Gewerbehof aufgebaut hat, gibt Unternehmerinnen und solchen, die es werden wollen, einen Raum. „WeiberWirtschaft – Standort für Chefinnen“, ist der Claim, den sich die Genossenschaft dafür gegeben hat. „Der Standort bietet seit der Eröffnung 1996 auf insgesamt 7.100 qm Nutzfläche Büros, Ladengeschäfte, Praxisräume, Werkstätten und Künstlerinnenateliers für mehr als 60 Unternehmen in Frauenhand. Zur hausinternen Infrastruktur gehören eine Kindertagesstätte, Konferenzräume und zwei Gastronomiebetriebe. Über 300 frauengeführte Unternehmen gingen seither hier an den Start“, heißt es dazu in der Infobroschüre.

Das Allerwichtigste ist die Unterstützung für die Seele.
Katja von der Bey

In einem Teil des Gebäudes ist seit 2006 außerdem die Gründerinnenzentrale beheimatet, die Gründerinnen berät. Wer mit diesem Wissen durch die beiden Innenhöfe des Zentrums geht oder durch eines der Geschäfte schlendert, die in dem Gebäudekomplex zu finden sind, bekommt ein gutes Gefühl für die Gemeinschaft, die an so einem Ort entstehen kann.

„Viele Gründerinnen sagen mir auch, dass die Rahmenbedingungen hier, wie etwa die Miethöhe oder die Kita sehr förderlich sind“, sagt Geschäftsführerin Katja von der Bey, „aber das Allerwichtigste ist die Unterstützung für die Seele. Dieses Gefühl, dass es da eine riesige Genossenschaft mit ungefähr 2000 Mitgliedern gibt, die alle wollen, dass man es als Gründerin schafft.“

Hier arbeiten Gründerinnen: Die WeiberWirtschaft Foto: Florian Bolk
Hier arbeiten Gründerinnen: Die Gebäude der WeiberWirtschaft in Berlin  Foto: Florian Bolk

Auch die goalgirls wollen mit der co-creagency zu einer beachtlichen Zahl an Freelancerinnen wachsen. Interessierte Frauen können sich bei der Agentur bewerben und nach einem Auswahlprozess Teil des Konzepts werden. „Momentan sind 120 Girls im Space angenommen“, sagt Kaddie Rothe. Im Vergleich zum ursprünglichen goalgirls-Team, das aus acht weißen Frauen bestand, sei die Agentur nun auf Vielfältigkeit ausgelegt. „Hier arbeiten Frauen aus der ganzen Welt. Wir sprechen Englisch miteinander.“

Momentan arbeiten die Gründerinnen daran, das Agenturkonzept nach einem holakratischen Prinzip aufzubauen. „Jede, die hier Teil der co-creagency ist, hat auch eine bestimmte Verantwortung, Teil des Businessmodels zu sein“, sagt Kaddie Rothe. Diese Verantwortung gelte auch für die Kunden: „Das Commitment der Brands sollte genauso hoch sein, wie das unserer Agentur. Wir bringen alle Mädels, die Lust haben, mit einer bestimmten Marke zu arbeiten und die sich auch damit identifizieren können, zusammen, und gemeinsam wird dann an den Pitches gearbeitet.“ Steht ein Konzept fest, übernimmt ein „Leadgirl“ die Verantwortung dafür und arbeitet gemeinsam in und mit einem Kreis von Expertinnen daran. Für Kaddie Rothe macht besonders diese Form der Organisation den Unterschied zu anderen Agenturen aus: „Das Wettbewerbsverhalten, das es in vielen Agenturen gibt, wird hier durch Kollaboration ersetzt.“

Jetzt ist unsere Zeit zu sagen, Ja, ich nehme die Chance wahr, weil ich eine Frau bin.
Kaddie Rothe

Den von ihr und ihrer Schwester geschaffenen Fakt, dass ausschließlich Frauen in der co-creagency arbeiten, sieht sie ganz pragmatisch: „Es braucht mehr weibliche Leader. Dafür müssen wir uns gegenseitig unterstützen und uns auch gegenseitig die Jobs geben. Deshalb haben wir eine Monokultur geschaffen. Wir wollen schauen, wie Frauen Karriere machen, wenn sie untereinander sind.“ Das größere Ziel sei es aber, ein Gleichgewicht in der Kreativindustrie zu schaffen. Dort arbeiteten zwar viele Frauen, wenn es aber um die Absegnungen von Projekten gehe, seien es oft wieder Männer, die die Entscheidungsmacht über das Budget hätten.  „Female Empowerment ist nichts anderes als das Male Empowerment, das wir die letzten Jahrhunderte schon hatten“, sagt Kaddie Rothe. „Wie viele Männer haben in den letzten Jahrzehnten Jobs und Unterstützungen bekommen, nur weil sie ein Mann sind. Jetzt ist unsere Zeit zu sagen, Ja, ich nehme die Chance wahr, weil ich eine Frau bin und ich liefere dann auch ab.“

Das können Unternehmen von Gründerinnen und Frauengemeinschaften lernen

Eine Monokultur kann aber nicht die einzige Antwort auf den Mangel an weiblichen Führungskräften und Gründerinnen sein. Was können Unternehmen von den Female Only Spaces lernen? „Viele Frauen gründen nach einer Familienpause“, erzählt Katja von der Bey. „Oft steckt dahinter auch die berechtigte Angst, dass die Frau nach so einer Pause nicht wieder adäquat in den Job zurückkommen kann und keine Gestaltungsmöglichkeiten hat, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft. Viele Frauen berichten, dass sie sich selbstständig gemacht haben, weil sie in dem Unternehmen, in dem sie waren, keine Aufstiegschancen für sich gesehen haben.“ Es scheint in vielen Unternehmen immer noch an der Art und Weise zu liegen, wie Arbeit gedacht und organisiert wird, die den Frauen Spielräume und somit Karrierechancen nimmt. „Die ganze Karrierekultur, die wir in Deutschland haben, spielt den Männern schon sehr zu“, sagt Kaddie Rothe. „Bei uns in der co-creagency gibt es nicht dieses Denken, dass die Person, die am längsten im Büro sitzt, den besten Job macht. Es gibt auch keinen Weg, aufzusteigen. Es gibt nur die Möglichkeit, noch coolere Projekte anzugehen.“

In der co-creageny können die Freelancerinnen an ihren Projekten arbeiten. Foto: goalgirls
In der co-creageny können die Freelancerinnen an ihren Projekten arbeiten. Foto: goalgirls

Die Theorie, dass Frauen Dinge ängstlicher anpacken und sich deshalb Chancen verbauen, sieht Katja von der Bey kritisch: „Frauen sind nicht risikoscheuer als Männer. Sie reagieren eigentlich nur angemessen auf die Rahmenbedingungen, die bei ihnen eben anders sind als bei Männern.“ Genau an diesen Rahmenbedingungen möchte die WeiberWirtschaft etwas ändern. So müsste beispielsweise die Wirtschaftsförderung von GründerInnen überdacht werden. Denn von den Förderprogrammen profitierten überdurchschnittlich oft Männer, weil die Programme besonders die MINT-Start-ups ins Visier nehmen. „Dabei sind nicht nur die MINT-Branchen Wachstumsbranchen, sondern auch wissensintensive Dienstleistungen, die Kreativwirtschaft oder die Gesundheitswirtschaft. Da sind viele Frauen unterwegs.“

Frauen gründeten außerdem anders als Männer, sagt Katja von der Bey. „Sie empfinden eine größere soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Das hängt mit ihrer Erziehung zusammen. Und die tragen sie mit ins Unternehmertum.“ Studien, etwa die des Risikokapitalunternehmens FirstRound Capital oder der Boston Consulting Group haben herausgefunden, dass Unternehmen, die von Frauen gegründet werden, einen höheren Return on Investment haben – und das, obwohl sie weniger Kapital von Investoren erhalten.  Nachhaltigkeit, soziale und gesellschaftliche Verantwortung seien für Gründerinnen oft wichtige Faktoren.  Die WeiberWirtschaft selbst ist ein gutes Beispiel dafür. „Vor 25 Jahren haben wir mit diesem Gebäudekomplex die erste ökologische Gewerbesanierung in Berlin umgesetzt“, berichtet Katja von der Bey, „damals haben viele von den spinnerten Weibern mit Öko-Tick geredet. Heute sind sie neidisch.“
Auch für Kaddie Rothe sind Werte ein entscheidender Faktor ihrer Arbeit. „Wir müssen uns nicht an der Arbeit und der Kultur der großen Agenturen, Start-ups oder Unternehmen orientieren. Jetzt ist es genau an der Zeit, dass Dinge hinterfragt und umgeschmissen werden.“