Organisationsentwicklung Talent Management

„Transformation regelt sich von ganz alleine“

Interview In der Factory Berlin arbeiten Start-ups, Talente und Unternehmenslabs unter einem Dach. Co-Working-Space möchte Geschäftsführer Nico Gramenz den Campus allerdings nicht nennen.

 „Wir sind eben ein klassisches Start-up, das sich weiterentwickelt“, sagt Nico Gramenz über die Veränderungen bei der Factory Berlin.
„Wir sind eben ein klassisches Start-up, das sich weiterentwickelt“, sagt Nico Gramenz über die Veränderungen bei der Factory Berlin.

Ein Campus mit Zugang zu modernen Büroräumen, Events und einer Community, die aus Unternehmen wie Google for Start-ups, N26 und Audi besteht. Ist das eine passende Beschreibung für die Factory Berlin?

Die Factory Berlin ist sicherlich mehr als das. Was in dieser Aufzählung zum Beispiel nicht vorkommt, ist die CODE Hochschule, die an unserem Standort beim Görlitzer Park beheimatet ist und unsere Zusammenarbeit mit anderen Universitäten. Die Factory Berlin ist ein Innovation Hub. Dazu zählt auch, dass wir uns mit dem Lernen von morgen beschäftigen und neue Lernsituationen schaffen.

Du leitest seit Anfang 2019 die Factory Berlin, was hat sich seitdem getan – außer einer Erhöhung der Mietpreise?

Die Preise haben sich schon im vergangenen Jahr erhöht und sind immer noch sehr moderat. Davon abgesehen: Die Factory Community ist in den vergangenen Monaten deutlich größer geworden. Im September 2018 waren etwa 2800 Menschen Teil des Netzwerks, heute sind es mehr als 3500. Wir haben die Öffnungszeiten auf 24/7 umgestellt. Im Mai haben wir den Creative Code gelauncht, der Kunst und Wirtschaft zusammenbringen soll. Außerdem haben wir sehr viel Arbeit in das Thema Vernetzung gesteckt.

Unser tatsächliches Know-how ist nicht Real Estate. Was wir können ist Vernetzung.

Du hast einmal gesagt: „Co-Working ist tot.“

Co-Working im Sinne von: Wir stellen Räume zur Verfügung, schieben Schreibtische zusammen und nehmen an, dass die Menschen sich deshalb vernetzen. Dass sich dieser Wunsch nicht erfüllt, haben wir immer wieder bei unseren Events festgestellt: Dort fand eine viel intensivere Vernetzung statt als in den Büroräumen.

Trotzdem unterhalten du und dein Team zwei ziemlich große Gebäude in Berlin. Ihr plant außerdem zu expandieren.

Wir sind eben ein klassisches Start-up, das sich weiterentwickelt. Die ursprüngliche Idee war Co-Working. Zu den 75 Menschen, die momentan zum Factory-Team zählen, gehören auch Leute, die sich um die Gebäude, Türen, Lampen, Zugänge etc. kümmern. Aber unser tatsächliches Know-how ist nicht Real Estate. Was wir können und was wir auch in neue Projekte miteinbringen wollen, ist Community Management, Match Making, Vernetzung.

Wie macht ihr das?

Uns geht es darum, ein Ökosystem aufzubauen. Aus der Gruppe heraus wird Wert geschaffen. Alle, die Teil der Factory Berlin sein wollen, müssen bereit sein, etwas zu geben, ohne dabei den Return on Invest zu kennen. Uns ist sehr wichtig, dass die Community gut kuratiert ist, daher nehmen wir nur circa ein Viertel der BewerberInnen an. 80 Prozent der Anmeldungen, die wir erhalten, sind Individuen: Talente, ExpertInnen, BeraterInnen. Menschen, die auf der Suche nach Unterstützung sind. Sie alle durchlaufen einen Interviewprozess. Wir wollen herausfinden, was die Person geben kann und was sie braucht. Die Community Manager bilden die Jury und sie wissen, mit wem sie die Leute zusammenbringen könnten.

Was ist mit den restlichen 20 Prozent?

Die Start-ups und Corporates werden ebenfalls interviewt. Sie bekommen Community Manager an die Hand, die sie mit den richtigen Leuten zusammenbringen. Wir bieten ihnen hier einen großen Talentpool. Der Factory-Effekt besteht darin, dass wir genau wissen, wer was sucht und wer was geben kann.

Das Netzwerken folgt gewissen Mustern, die wir digital abbilden wollen.

Lässt sich dieses Netzwerken skalieren?

Das, was wir bieten können, lebt von den Menschen, von unserem heterogenen Team. Das Netzwerken folgt aber gewissen Mustern, die wir digital abbilden wollen. Was passiert denn beispielsweise bei einem Event: Leute sprechen miteinander. Manches Gespräch besteht im Wesentlichen darin, Fragen zu beantworten, die vielleicht auch jemand anders hätte beantworten können. Aber aus manchen Gesprächen ergibt sich tatsächlich eine ganz neue Chance fürs Business. Diese Filterfunktion können wir auch über soziale Netzwerke, Analysen, mit Big Data, mit Kuration als Service, eben über eine Softwarelösung hinbekommen. Wir arbeiten gerade an digitalen Lösungen für unsere Community.

Die großen Unternehmen, die ihre Labs in der Factory Berlin aufschlagen, sind auch auf der Suche nach dem Patentrezept für gute Vernetzungen, aus denen dann Innovationen hervorgehen. Du selbst kamst zu der Factory über Siemens. Was können Corporates von Orten wie diesem lernen?

Bei Siemens gab es eine starke Top-Down-Digitalisierungsstrategie und die Leute in den entsprechenden Projekten haben das gepusht. Trotzdem bildeten sie ja nur einen Teil der Menschen ab, die bei Siemens arbeiten. Am Ende muss aber die ganze Unternehmenskultur transformiert werden und das dauert. Die Transformation von Kultur funktioniert in der Factory so gut, weil alle offen sind und bereit sind, ihre Erfahrungen und Probleme mit den anderen zu teilen. Diese Offenheit ist wiederum der entscheidende Faktor, um überhaupt hier rein zu dürfen. Wenn wir den Eindruck gewinnen, dass Leute nur hierherkommen, um Ideen abzufangen, lassen wir sie nicht rein. Die Transformation der Kultur wird auch in den Unternehmen selbst gelingen. Momentan herrschen da draußen noch industrielle Set-ups. In wenigen Jahren werden die Millenials aber 75 Prozent der Arbeitskräfte ausmachen. Diese Generation lässt sich nicht einfach irgendwelche Aufgaben geben. Die wollen Verantwortung übernehmen, entdecken und sich vernetzen. Die Transformation regelt sich dann von ganz alleine.

Die Millenials können und wollen doch nicht zwangsläufig etwas an den vorherrschenden Strukturen ändern?

Es gibt Unternehmen, die jeglichen Freigeist im Keim ersticken, klar. Aber die müssen sich nicht wundern, wenn sie irgendwann nicht mehr erfolgreich sind. Diese Bereitschaft zur Veränderung nimmt zu. Es gibt schon einzelne Circles oder Bereiche in einigen Unternehmen, in denen Leute sich nicht ständig gegenseitig bestätigen, sondern es völlig in Ordnung finden, wenn andere ihr Weltbild hinterfragen. Das Entscheidende ist aber, mutige Schritte für einen langen Zeitraum zu gehen – und zwar gegen die hierarchischen Zielerwartungen, die sonst im Unternehmen vorherrschen.

Ich will kein Ingolstadt in Berlin haben.

Sind die Unternehmen, die in die Factory Berlin kommen, so mutig?

Der Durchhaltewillen ist sehr unterschiedlich, ebenso wie die Erwartungen der Unternehmen. Nicht alle Firmen in der Factory sind auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. Manche nutzen das Netzwerk, um Talente oder ExpertInnen zu finden, wieder andere wollen sich vielleicht ein Start-up ins Boot holen. Wichtig ist dabei, dass diese Zusammenarbeit von der Factory Crew moderiert wird, sonst stehen sich die Beteiligten gegenüber wie zwei fremde Welten. Ein gutes Beispiel für Durchhaltewillen hat Audi mit seinem Lab hier bewiesen. Das Entrepreneurship-Programm hat es Mitarbeitern ermöglicht, mehrere Monate im Lab zu arbeiten. Da lief anfangs auch nicht alles glatt; Leute sind nach ihrer Zeit im Lab nicht ins Unternehmen zurückgekehrt und manche Vorhaben scheiterten. Mittlerweile gibt es aber einige erfolgreiche Spin-offs, Unternehmen, die aus Projekten entstanden sind, und vor allem Menschen, die sich eine Wissensgrundlage aufgebaut haben. Über die Dauer entstand so auch ein positiver Spirit in Ingolstadt.

Braucht es dafür ein Lab in Berlin? Hätte Audi sich Berlin nicht auch nach Ingolstadt holen können?

Wollen wir das denn? Also ich will kein Berlin in Ingolstadt haben. Ich will auch kein Ingolstadt in Berlin haben. Die Factory Berlin lebt von einem maximal diversen Umfeld, von der Bereitschaft, alles immer wieder zu hinterfragen. Deshalb legen wir einen so großen Wert auf die Kuration, auf den Interviewprozess, auf die 80 Prozent Talente. Gibt es so viele Talente in Ingolstadt? Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Unternehmen intern genauso stark auf ihre Auswahl achten würden. Sie könnten sich zum Beispiel fragen, wie divers sie eigentlich sind. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass sich die Innovationskultur automatisch regelt: Wie sie sich dann regelt, das haben wir und die Unternehmen mit der richtigen Kuration in der Hand.