Organisationsentwicklung

Ist Social Business die nächste Stufe der Transformation?

Im Interview traf Stephan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist der Haufe Gruppe, Hans Reitz, CEO der Wiesbadener Kreativagentur circ. Im Talk sprachen die beiden über Kreativität und Ideenfindung aber auch über Rebellentum, die Idee des Social Business und nicht zuletzt über den Papst.

Digitale Transformation durch Social Business
Digitale Transformation durch Social Business

Hans Reitz, heute Gründer der Agentur circ, wurde Mitte der 60er Jahre als viertes von sieben Kindern in einem kleinen Ort im Landkreis Kehlheim geboren. Seine Mutter sorgte „mit einem Wirtshaus direkt neben der katholischen Kirche“, so Reitz, für die neunköpfige Familie und prägte bereits früh sein Verständnis für Unternehmertum. Den älteren Brüdern meist körperlich unterlegen, lernte er von klein auf, andere Wege zu finden, um sich durchzusetzen. Ein bereits damals bewährtes Mittel: Auflehnung.

Ich möchte nicht nur Widerstand leisten, sondern auch an neuen, besseren Lösungen arbeiten.
Hans Reitz, circ

Auch heute sei Renitenz, so Reitz, wichtiger denn je. Man müsse einfach gegen Dinge rebellieren, die wider den gesunden Menschenverstand sind. Wogegen er sich jedoch ausspricht, ist Widerstand nur der Auflehnung wegen. Ihm geht es vielmehr darum, Lösungen zu finden.

Reitz, der Partisan: „Wir waren lösungsorientierte Widerstandskämpfer“

Als Kind, erzählt der mehrfache Gründer, musste er trotz der unmittelbaren Nähe zur Donau oft kilometerweit mit dem Fahrrad fahren, um baden zu können. Ansässige Chemieunternehmen hatten das Flussgebiet jenseits des Donaudurchbruchs durch Abflüsse zu stark in Mitleidenschaft gezogen. Bereits damals konnte Reitz das nicht nachvollziehen und entwickelte eine Leidenschaft für Nachhaltigkeit. Und auch damals ging er mit lösungsorientiertem Widerstand gegen Missstände vor.

Wir haben 1984 Einkaufspatrouillen organisiert, die den Leuten in Läden gezeigt haben, welche Produkte sie auch direkt beim Bauern kaufen können – bis wir überall Hausverbot hatten.
Hans Reitz, circ

Reitz, der Gründer: Unternehmertum bedeutet Freiheit

Ohne Widerstand und Rebellentum keine Unternehmerschaft – denn nur durch Auflehnung, so Reitz, haben sich die Menschen eines der größten Privilegien geschaffen: die Gewerbefreiheit. Sie war der Grundstein dessen, was wir heute als Unternehmertum bezeichnen. Und Selbstbestimmung ist es auch, was Unternehmerschaft heute nach wie vor prägt. Einst nutzten Rebellen wie Bosch, die Siemens-Brüder, Schott oder Zeiss ihre neue (Entscheidungs-)Freiheit – heute haben Unternehmer und Mitarbeiter die Möglichkeit, eigene Wege zu gehen und selbstbestimmt neue Ideen zu verfolgen:

Unternehmerschaft im großen Sinne bedeutet ja, das Geistes- und Rechtsleben zu bewahren. Dafür existieren wir, dafür machen wir Unternehmerschaft. Um diesen Freiheitsgedanken zu bewahren.
Hans Reitz, circ

Reitz, der Rebell: Mut als Kernkompetenz im Wandel

Jene Freiheit geht einher mit der Bereitschaft, mutig Verantwortung zu übernehmen. Das vermisst Reitz gerade in großen Organisationen häufig und stellt fest: Die Frage „Warum existieren wir – und haben wir als Unternehmen auf dem aktuellen Markt auch weiterhin eine Berechtigung?“ stellen sich nur wenige größere Unternehmen. Er fordert deshalb, eine wichtige Lektion der digitalen Transformation zu beachten: Unternehmen müssen den Mut haben, sich kritisch zu hinterfragen und zu erkennen, wann es Zeit ist, bestehende Konzepte und Strategien zu begraben. Denn auch das ist nachhaltiges Unternehmertum.

Reitz, der nachhaltige Unternehmer: „Ich bin ein Menschenfreund“

Nachhaltigkeit manifestiert sich für Reitz heute in Social Business. Als Familienmensch ist das für ihn eine Selbstverständlichkeit:

Wenn mehr übrig bleibt als das, was ich für meine Familie und für mich brauche, dann reinvestiere ich dieses Geld wieder dafür, dass es meinem Umfeld besser geht.
Hans Reitz, circ

Seine Erziehung hat Reitz zu einem Menschenfreund gemacht. Deshalb schätzt er sich glücklich, dass ihm der Vater des Social Business-Konzepts als Mentor zur Seite steht: Nobelpreisträger Prof. Muhammad Yunus. Dessen sieben Grundsätze verdeutlichen das Prinzip eines sozialen Unternehmertums:

  1. Unternehmensziel ist die Verminderung oder Beseitigung von Armut und/oder anderer gesellschaftlicher Probleme.
  2. Unternehmensführung sollte finanziell und ökologisch nachhaltig sein.
  3. Investoren setzen Investitionen und ihr Engagement ein, um sich auf ein soziales Ziel zu konzentrieren - nicht auf Gewinn.
  4. Gewinn bleibt im Unternehmen und wird für das innere Wachstum verwendet.
  5. Ökologische Nachhaltigkeit als Prämisse von Unternehmen.
  6. Mitarbeiter werden gemäß des Marktniveaus bezahlt, arbeiten aber unter besseren Arbeitsbedingungen als allgemein vorherrschend.
  7. Do it with Joy!

Den siebten Grundsatz hat ursprünglich Reitz entwickelt, denn für ihn ist Freude die Grundlage jeglicher Social Business Aktivitäten. Diese Sicht teilt auch Yunus, weshalb er dieses siebte Prinzip ergänzte.

Werden diese Prämissen befolgt, haben Social Businesses das Potenzial für eine neue Stufe der Transformation: Von der Industrie 4.0 zur fünften industriellen Revolution: Dem nachhaltigen und sozialen Unternehmen. Reitz ist überzeugt: Um das zu ermöglichen, müssen wir die Dinge anpacken und einfach machen! Darüber sprach Reitz kürzlich bei einem Besuch in Rom auch mit dem Papst: Mit der Fürsorge für alle notleidenden Menschen ließen sich auch Probleme wie Krieg, Hunger oder Atomwaffen lösen. Dass sich etwas ändern muss und wird, daran glaubt Reitz. Seine Kinder baden heute immerhin ganz selbstverständlich in der Donau, meint der circ-Gründer und zitiert Maria Teresa, Großherzogin von Luxemburg:

Die Idealisten verändern die Welt – daran glaube ich auch.
Hans Reitz, circ

Dieser Beitrag ist erstmals erschienen auf dem Haufe-Blog „Mitarbeiter führen Unternehmen“.