Digitalisierung Organisationsentwicklung

Künstliche Paradiese der Arbeitswelt

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag? Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: Homeoffice.

Homeoffice ist gut und richtig, aber keine Lösung für alles. Und führt auch nicht ins Paradies.
Homeoffice ist gut und richtig, aber keine Lösung für alles. Und führt auch nicht ins Paradies.

Glorifiziertes Homeoffice

Corona hat einiges durcheinandergebracht – offensichtlich auch den Verstand der Menschheit. In meinen 53 Jahren habe ich es noch nie erlebt, dass Menschen so blindlings irgendwelchen Heilslehren und Welterklärungsansätzen folgen. Mag es nun irgendein Verschwörungsgeschwurbel vom Weltfinanzjudentum sein, die Mär vom Kinderblut saufenden Superreichen oder die eher harmlos anmutende Prophezeiung, der Arbeitsplatz werde ein besserer Ort, wenn wir ihn in die Wohnstätte unserer Mitarbeiter verlegen.

Corona hat einiges durcheinandergebracht – offensichtlich auch den Verstand der Menschheit.

Doch halten wir kurz inne: Was hat das Ganze hier in meiner New Management-Kolumne verloren? Sehr viel! Denn an der Glorifizierung des Homeoffice lässt sich schön zeigen, wie Trends und Moden sich in die Gehirne von Entscheidern der Wirtschaft fressen. Da steht das Narrativ vom produktiven Heimarbeitsplatz anderen Erzählungen, wie beispielsweise der vom motivierenden „Purpose“ oder jener von der kreativitätsförderlichen „Quality Time“, in nichts nach.

Für und Wider Heimarbeit

Halten wir also kurz fest, worum es bei der Überlegung, ob wir nicht alle besser im Homeoffice arbeiten sollten, wirklich geht. Da ist erst einmal die Tatsache, dass es dazu während der Corona-Isolation kaum Alternativen gab. Und dann sind da noch Argumente für und dagegen, die gute Manager wie immer abwägen sollten.

Für den Ausbau der Heimarbeit sprechen zum Beispiel Dinge wie:

  • Wir können dort in Ruhe arbeiten
  • Wir sparen Zeit und reduzieren den CO2-Austoß beim Pendeln
  • Wir reduzieren Raum- und Heizkosten in unseren Unternehmen
  • Und noch einiges mehr.

Gegen den Ausbau der Heimarbeit sprechen Dinge wie:

  • Wir können dort nicht in Ruhe arbeiten, weil Kinder, Ehepartner, Nachbarn uns dauernd stören
  • Wir verlieren Zusammenhalt und Orientierung, weil wir so allein vor uns hinarbeiten
  • Wir sitzen als Unternehmen auf ungenutzten Büroflächen und setzen uns Verordnungs- und Versicherungsrisiken aus, weil alle ihre Arbeit nun in ihrer heimischen Küche verrichten
  • Und noch einiges mehr.

Nein, das Homeoffice ist nicht die einzig wahre Lösung. Und das heimische Büro ist auch nicht der herbeiphilosophierte Weg aus der Lohnknechtschaft des arbeitenden Wissens-Proletariats.

Homeoffice: Sozial geht anders

Ich persönlich bin gerne im Homeoffice, insbesondere dann, wenn ich in Ruhe arbeiten möchte (die Kinder sind aus dem Haus, meine Nachbarn sind verreist, meine Gattin hat volles Verständnis). Und ja, manche meiner Tätigkeiten bedürfen nicht der physischen Anwesenheit am Arbeitsplatz.

Nein, das Homeoffice ist nicht die einzig wahre Lösung. Und das heimische Büro ist auch nicht der herbeiphilosophierte Weg aus der Lohnknechtschaft des arbeitenden Wissens-Proletariats.

Aber auch ich bin – wie die Menschen im allgemeinen - ein soziales Wesen. Ich will nicht allein sein, ich brauche menschliche Gemeinschaft. Und viele Menschen, auf die ich in meinen Managementeinsätzen treffe, sagen, genau deshalb immer wieder gern zur Arbeit zu gehen.

Homeoffice ist die Ausnahme, nicht die Regel

Deshalb erlaube ich mir hier den Blick der Führungskraft und betone: Das Homeoffice ist eine gut gemeinte, manchmal sinnvolle Ausnahme. Die Regel sollte es nicht werden. Wir brauchen den Austausch von Mensch zu Mensch im Alltag. Wir brauchen die intensiven Meetings von Angesicht zu Angesicht, wo wir unbeschadet von instabilen Internetverbindungen, undeutlicher Tonübertragung und unscharfen Bewegtbildern uns die Meinung sagen, uns in die Seite knuffen und nach Lösungen suchen.

Auch wenn ich das hier so vehement vertrete, distanziere ich mich doch zugleich von jenen Manager-Kollegen, die am Thema Homeoffice vor allem bewegt, dass ihre Mitarbeiter nicht im Büro und damit ihrer Kontrolle entzogen sind. Darum geht es hier wirklich nicht.

Wann und wie nützt Homeoffice dem Unternehmen?

Bei der Diskussion um das Homeoffice darf es nur um eines gehen: Nämlich um die Frage, was gut für die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter und zugleich gut für das Unternehmen ist. Die Heilspropheten und Welterklärer, die das Hohelied auf die Heimarbeit singen, haben derzeit nur das erste im Blick. Und selbst das nur unvollständig.

Ich distanziere mich von jenen Manager-Kollegen, die am Thema Homeoffice vor allem bewegt, dass ihre Mitarbeiter nicht im Büro und damit ihrer Kontrolle entzogen sind. Darum geht es hier wirklich nicht.

Schlimmer aber, diese Propheten erschaffen so künstliche Paradiese der Arbeitswelt, wie sie dem französischen Dichter Charles Baudelaire auch unter intensivstem Drogenkonsum nicht in den Sinn gekommen wären. Höchste Zeit für nüchtern denkende Manager dagegenzuhalten. Auch im Interesse ihrer Mitarbeiter.