Organisationsentwicklung

Von Arbeitsfreud und Arbeitsleid

Analyse Darf Arbeit eigentlich Freude machen, obwohl sie Arbeit heißt? Und wieviel Leid darf sie verursachen? Handelt der Mensch ausschließlich selbstsüchtig? Und was sehen oder blenden wir aus, wenn wir so über uns denken? Eine Reflexion über Menschen- und Wirtschaftsbilder.

Foto: Antonio Gabola, Unsplash
Foto: Antonio Gabola, Unsplash

Ist die Katze aus dem Haus ...

Während meiner Promotion an einem Lehrstuhl für Controlling habe ich mich eine Weile intensiv mit der sogenannten Prinzipal-Agent-Theorie (PAT) auseinandergesetzt, einem der einflussreichsten Denkgebäude der letzten 40 Jahre in der Betriebswirtschaftslehre. Die PAT befasst sich, grob zusammengefasst, mit betriebswirtschaftlichen Problemen, die auftreten, wenn in hierarchisch strukturierten Systemen Menschen für andere Personen Arbeit verrichten. Klassisches Beispiel: Ein Geschäftsführer leitet im Auftrag der Eigentümer ein Unternehmen.

Oft geht es im Kern um diese Frage: Was machen die Mitarbeiter, wenn der Chef nicht im Haus ist?

Ein zentrales Axiom, das in vielen betriebswirtschaftlichen Theorien gilt, sieht vor, dass beide Parteien ausschließlich danach streben, ihren eigenen Nutzen zu maximieren. Der Prinzipal (Auftraggeber) möchte folglich möglichst wenig für den Dienst des Agenten (Auftragnehmer) bezahlen. Dieser wiederum ist bemüht, seinen Einsatz zu minimieren und/oder seine finanzielle Kompensation in die Höhe zu treiben. Ferner geht man von einer Informationsasymmetrie aus, weil der Prinzipal den Auftragnehmer in der Regel nicht durchgehend kontrollieren kann. Im Grunde geht es also um einen Klassiker des Büroalltags: Was machen die Mitarbeiter, wenn der Chef nicht im Haus ist?

Besser arbeiten

Nico Rose und Bernd Slaghuis geben in ihrem Buch Impulse für eine menschlichere Arbeitswelt und zeigen, was Management, Führungskräfte und Mitarbeiter:innen dazu beitragen können.

Das Buch steht auf der Longlist des getAbstract International Book Award 2021.  

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Vom Arbeitsleid

Das Ganze wirkt in seiner Reinform auf mich etwas weltfremd, so wie viele Ansätze in der BWL, die versuchen, exakte Berechnungen über menschliches Verhalten anzustellen. Ein zentrales Konzept in der PAT ist das sogenannte „Arbeitsleid“, das dem Agenten durch die Ausübung der betreffenden Tätigkeit entsteht. Es wird demnach implizit davon ausgegangen, dass die Arbeit dem Agenten keine Freude bereite, diesen körperlich oder seelisch in Mitleidenschaft ziehe. Als Ausgleich versuche jener naturgemäß, sein Leid zu minimieren oder auf der anderen Seite der Gleichung die Kompensation zu erhöhen. Somit sei er bestrebt, das Ausmaß seines Arbeitsleids übersteigert darzustellen, um mehr Kompensation vom Prinzipal verlangen zu können.

In der Prinzipal-Agent-Theorie gehört die Idee, dass Prinzipal und Agent genau das Gleiche wollen könnten, zum Beispiel durch ihre gemeinsame Arbeit die Welt zu einem besseren Ort zu machen, quasi ins Reich des Undenkbaren.

Dieser wiederum investiere Ressourcen, um den vorhandenen Informationsrückstand auszugleichen (zum Beispiel Überwachung) oder anderweitig steuernd einzugreifen (zum Beispiel Zielvereinbarungen). Interessanterweise ist in der PAT so etwas wie Arbeitsfreude oder auch nur -willigkeit im Grunde nicht vorgesehen. Auch andere urmenschliche Eigenschaften, zum Beispiel unsere angeborene Neigung zu altruistischem Verhalten, werden kaum berücksichtigt. Die Idee, dass Prinzipal und Agent genau das Gleiche wollen könnten, zum Beispiel durch ihre gemeinsame Arbeit die Welt zu einem besseren Ort zu machen, gehört quasi ins Reich des Undenkbaren.

Nico Rose, Bernd Slaghuis: Besser arbeiten. 66 Impulse für eine menschlichere Arbeitswelt und mehr Freude im Beruf.
Nico Rose, Bernd Slaghuis: Besser arbeiten. 66 Impulse für eine menschlichere Arbeitswelt und mehr Freude im Beruf.

Nun ist es normal, weil notwendig, dass Theorien, nicht nur in der BWL, Vorannahmen treffen oder Rahmenbedingungen ausblenden, um Komplexität zu reduzieren. Allerdings wird damit auch eine "bestimmte Brille" aufgesetzt, die gemäß ihrer Färbung einige Beobachtungen ermöglicht, andere dafür ausschließt. Die Welt der PAT ist ein Ort der Nullsummenspiele: Wenn der eine mehr bekommt, hat der andere weniger – und umgekehrt. Wird der Mensch schlechterdings als selbstbezogen und erbsenzählerisch gezeichnet, dann ist es allerdings schwierig, über jene Momente zu sprechen, in denen er es nicht ist. Noch schwieriger wird die Annahme, dass alles auch grundlegend anders sein könnte.

Die wissenschaftliche Teildisziplin, der ich mich zugehörig fühle, nennt sich Positive Organizational Scholarship (POS). Diese nimmt eine grundlegend andere Perspektive ein. Sie ist eine Welt:

- der Nicht-Nullsummenspiele und der Kooperation;

- in der Mitarbeiter und Führungskräfte, bei allem gebotenen Eigennutzen, das Beste für ihre Organisation und deren Mitglieder anstreben;

- in der wir nach der Verwirklichung unseres Potenzials streben – wie auch nach der Vergegenwärtigung eines attraktiven, den Eigennutz transzendierenden Sinnhorizonts.

Positives Organisieren

Das primäre Ziel der traditionellen BWL ist betriebswirtschaftliche Exzellenz, nicht menschliche Exzellenz. Die POS strebt ebenfalls danach, Unternehmen erfolgreich zu machen, weil nur nachhaltiger Ertrag das Überleben einer Organisation sichert. Sie strebt allerdings gleichermaßen danach, das Leben in Organisationen durch eine „spezifische Linse“ zu betrachten, eine Perspektive der menschlichen Exzellenz.

- Die POS macht sich bewusst auf die Suche nach unseren Stärken – nicht unseren Defiziten.

- Sie strebt nach Fülle und dem Ausbau dessen, was an und in einer Organisation bereits vorbildlich ist.

- Sie bemüht sich zu verstehen, was an und in Organisationen lebensspendend, optimistisch und sinnstiftend ist.

Der Ausdruck „lebensspendend“ findet sich sehr häufig in der Sprache der POS, insbesondere in den Schriften von Professor Kim Cameron von der University of Michigan. Ausgangspunkt für diese Formulierung ist der aus der Biologie bekannte heliotrope Effekt, wonach Organismen eine angeborene Tendenz haben, sich auf lebensspendende Umwelteinflüsse zuzubewegen, so wie Pflanzen in Richtung des Sonnenlichts wachsen bzw. ihre Blätter entsprechend ausrichten.

Dies wäre ein humanistisches Leistungsparadigma: Leistung ist – mathematisch ausgedrückt  – Arbeit mal Wohlbefinden geteilt durch Zeit (Arbeit x Wohlbefinden/Zeit).

Cameron überträgt dieses Prinzip metaphorisch auf das Leben in Organisationen und postuliert, dass sich Menschen hier ebenfalls nach Kräften in Richtung der lebensspendenden Inseln innerhalb des Netzwerkes bewegen, sich also – eine Wahlmöglichkeit vorausgesetzt – z.B. zu Vorgesetzten hingezogen fühlen, die besonders respektvoll und wertschätzend agieren.

Heiße Leistung vs. kalte Leistung

Michaela Brohm-Badry, Professorin an der Universität Trier, eine der profiliertesten Vertreterinnen der Positiven Psychologie im deutschsprachigen Raum, hat in diesem Zusammenhang den Begriff der kalten Leistung von dem der heißen Leistung abgegrenzt. Kalte Leistung bezeichnet, was wir im Alltagsverständnis physikalisch unter Leistung verstehen: die in einer bestimmten Zeiteinheit verrichtete Arbeit. Dieses Leistungsverständnis ist kalt, weil es zu einer zunehmenden Verdichtung von Arbeitszeit und von auf Wettbewerb ausgerichteten Leistungsstrukturen führt. Es bleibt kein Raum für tiefe, menschengerechte Entwicklung, denn die maximale Leistung wird bei maximalem Output unter minimalem Zeiteinsatz erreicht. Unter diesen Bedingungen bleibt keine Zeit für das Nachdenken über die Konsequenzen des eigenen Handelns, für Reflexion.

Brohm-Badry kommt diesbezüglich zu dem Schluss, dass wir einen neuen Leistungsbegriff brauchen: heiße Leistung, die das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden der Menschen einbezieht. Dies wäre ein humanistisches Leistungsparadigma: Leistung ist dann  – mathematisch ausgedrückt  – Arbeit mal Wohlbefinden geteilt durch Zeit (Arbeit x Wohlbefinden/Zeit). Die multiplikative Funktion zwischen Arbeit und Wohlbefinden ist bewusst gewählt in dem Sinn, dass Arbeit, die langfristig nicht auch Wohlbefinden erzeugt, am Ende des Tages wertlos ist, weil die assoziierten Kosten (finanziell wie auch psychologisch) ihren Nutzwert übersteigen.

Diese implizierten Kosten sind keineswegs nur theoretisch zu verstehen. Der einflussreiche Management-Forscher Jeffrey Pfeffer (Stanford) kommt auf Basis umfangreicher Untersuchungen zu der Schlussfolgerung, dass schlechte Arbeitsbedingungen bei genauer Betrachtung die fünfthäufigste Todesursache in den USA sind. Gute Arbeit ist in vielfacher Hinsicht ein Segen. Schlechte Arbeit kann töten. Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinarbeiten, dass die erste Kategorie jene ist, die sich langfristig und möglichst überall durchsetzt.