Business Transformation Agilität

Agilität braucht Flügel - Vom Doing Agile zum Being Agile

Interview „Agilität am falschen Platz kann großen Schaden anrichten“, sagt René Kräling, Senior Consultant bei Campana & Schott und Mitinitiator der Studie Future Organization Report 2019. „Das Doing Agile muss zum Fliegen kommen“ – und das funktioniere nur über das richtige Mindset.

Das Doing Agile muss zum Fliegen kommen.  Foto: Adobe Systems Inc.
Das Doing Agile muss zum Fliegen kommen. Foto: Adobe Systems Inc.

Der Unterschied zwischen Doing Agile und Being Agile 

Herr Kräling, wo ist Ihnen Agilität am falschen Platz in Unternehmen begegnet, die sich im Transformationsprozess befanden? 

Ich habe bei vielen Unternehmen erlebt, wie völlig kontrollierbare Projekte, bei denen der Outcome und der Weg dorthin völlig klar waren, plötzlich agil umstrukturiert worden sind. Das hat die MitarbeiterInnen extrem verwirrt und die Projekte sind völlig aus den Fugen geraten. Es gibt Abteilungen oder auch Branchen, wo weniger Potenzial für agile Vorgehensweisen und Denkweisen besteht. Beispielsweise überall dort, wo alles extrem streng reguliert oder stark prozessabhängig ist.   

Wieso schmeißen Unternehmen denn plötzlich alles um? 

Organisationen sind teilweise stark im Doing Agile. Diese Beobachtung fanden wir in den Studienergebnissen bestätigt. Sie können agile Methoden und Tools anwenden, aber es kommt nicht zum Fliegen. Ihnen fehlt das Being Agile. Hier geht es um Mindset und Unternehmenskultur. Dazu muss die Organisation mit allen Mitarbeitenden gemeinsam eine intelligente Selbstverständlichkeit entwickeln, um jeden Tag intuitiv und individuell entscheiden zu können, welches Vorgehen in der aktuellen Situation den meisten Mehrwert generiert. Unternehmen und Mitarbeitende müssen jederzeit kundenorientiert, mehrwertorientiert und priorisiert denken und handeln. Das ist für mich der Inbegriff von agilem Mindset.  

Selbst in Bereichen wo die Anwendung agiler Methoden keinen Mehrwert bringt, kann es sinnvoll sein, ein agiles Mindset zu etablieren.

Die Studie, an der Sie mitgearbeitet haben, nennt „unternehmensweites Bewusstsein für Veränderung“ als Erfolgsfaktor für agile Organisationen. Jetzt sagen Sie, dass Agilität in manchen Bereichen Schaden anrichten. Das ist widersprüchlich.

Wir müssen zwischen tatsächlich agiler Arbeitsweise und dem agilen Mindset unterscheiden. Wir sagen nicht, dass agile Methoden einfach auf alle Unternehmensbereiche ausgerollt werden sollen, sondern nur dort, wo sie auch tatsächlich Mehrwert bringen und Sinn stiften. Aber selbst in Bereichen wo die Anwendung agiler Methoden keinen Mehrwert bringt, kann es sinnvoll sein, ein agiles Mindset zu etablieren. Costumer Centricity beispielsweise gehört meiner Meinung nach in alle Bereiche des Unternehmens. Egal ob der jeweilige Kunde unternehmensinterner oder -externer Natur ist. 

Agile Methoden einfach nur zu implementieren ist überhaupt nicht nachhaltig. 

Mit unternehmensweitem Bewusstsein für die Veränderung meinen wir eigentlich zwei Dinge. Zum einen geht es dabei darum, klar zu machen, was sich konkret verändern wird. Wie die gemeinsame Vision aussieht, warum die Veränderung notwendig ist, und was die MitarbeiterInnen davon haben. Dass sich etwas tut und etwas verändert, bekommen die Mitarbeitenden in der Regel schnell über den Flurfunk mit. Das kann Ängste schüren und dazu führen, dass sich Widerstände bilden, bevor man überhaupt mit der Transformation angefangen hat. Es ist extrem wichtig, dass das Management dauerhaft und transparent über den Transformationsprozess informiert. Dies fördert die Motivation und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Mitarbeitenden nicht abgehängt werden. 

„Es braucht das richtige Mindset, um das Doing Agile zum Fliegen zu bringen“, sagt René Kräling.
„Es braucht das richtige Mindset, um das Doing Agile zum Fliegen zu bringen“, sagt René Kräling.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, den MitarbeiterInnen Aha-Erlebnisse zu ermöglichen, damit sie für sich den Wert der agilen Arbeitsweise erkennen. Die allein fachliche Schulung zu agilen Werten, Prinzipien, Tools und Methoden reicht nicht aus. Wenn man es nicht schafft, den MitarbeiterInnen ein positives Erlebnis zu geben, werden sie es niemals aus eigener Überzeugung tragen. Da sind wir wieder beim Mindset. Es braucht das richtige Mindset, um das Doing zum Fliegen zu bringen.   

Welches Mindset brauchen Mitarbeitende in einem agilen Unternehmen? 

Aus meiner persönlichen Sicht ist das richtige agile Mindset ganz allgemein, dass jeder einzelne Mitarbeitende und auch die Gesamtheit des Unternehmens intuitiv in jeder Entscheidung und in jedem Verhalten im Sinne der agilen Werte und Prinzipien handelt. Es geht darum, die agilen Werte zu verinnerlichen, genau zu verstehen, wer sind die Kunden, was brauchen und was schätzen diese. Es geht darum, alle Aktivitäten am Kunden auszurichten. Hierauf aufbauend sollte das Ziel sein, das Ganze in einer hochperformanten Art und Weise zu machen. Im Idealfall arbeiten alle MitarbeiterInnen hochmotiviert und transparent in Netzwerken, verstehen die Unternehmensziele und die Menschen, mit denen sie gemeinsam an Projekten arbeiten - und jeder möchte dabei die beste Performance abliefern.   

Die Rolle der Führungskräfte 

Die Studie warnt davor, hierarchische Strukturen zu früh aufzulösen. Warum? 

Der grundlegendste Wandel in der agilen Transformation findet auf der Managementebene statt. Die hierarchischen Unternehmensstrukturen, die wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben, dienten in erster Linie der disziplinarischen Führung. Sie dienten aber auch dazu, den MitarbeiterInnen eine Heimat zu geben. Wenn man diese Strukturen einfach auflöst, kann es passieren, dass die Menschen nicht mehr wissen, wo sie in der Organisation stehen. Das erzeugt Unsicherheiten und kann sich negativ auf die Performance auswirken. Nur weil Hierarchiestufen aufgelöst werden bedeutet das nicht, dass alle sofort wendiger und agiler sind.  

Die hierarchischen Unternehmensstrukturen dienten aber auch dazu, den MitarbeiterInnen eine Heimat zu geben. Wenn man ihnen dies einfach nimmt, kann das zu Unsicherheiten führen. 

Wir empfehlen daher, den Menschen im Transformationsprozess nicht auch noch ihre Heimat zu nehmen. Agilität bedeutet, die disziplinarische von der fachlichen Führung zu trennen. Es ist sinnvoll, eine Art paralleles oder duales Betriebssystem aufzubauen. In diesem Konstrukt wird sich Führung grundlegend wandeln. 

Erfolgsfaktoren für die agile Transformation
Die Studie Future Organization Report 2019 zeigt, an welcher Stelle Unternehmen im agilen Transformationsprozess stecken bleiben und was die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind.
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In Ihrer Studie ist auch die Rede von „Servant and Empowering Leadership“. Was meinen Sie damit? 

Der klassischen Führungskraft wurden in der Vergangenheit die zu erreichenden Ziele vorgegeben, welche von dieser in konkrete Handlungen übersetzt und dann an die MitarbeiterInnen weiterdelegiert wurden. Die Führungskraft in einer agilen Organisation hat eher die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die MitarbeiterInnen in der Lage sind, auf der höchsten Performancestufe zu arbeiten. Die Führungskraft von morgen ist empathisch. Sie versteht ihre MitarbeiterInnen. Sie versteht es sie zu motivieren, zu befähigen und zu ermutigen, Dinge auszuprobieren. Sie dient ihrem Team und tut alles dafür, dass es die beste Performance liefern kann. Bei manchen löst das ein Gefühl von Machtverlust aus und die Angst, überflüssig zu werden. Das ist ein großer Irrglaube. Es wird nur eine andere Art der Führung erforderlich. Agil bedeutet nicht, dass wir alle Leitplanken über Bord werfen und jeder machen kann was er will! Die Strategie wird weiterhin vom Top-Management vorgegeben – das steuert weiterhin den Tanker. Aber die Teilergebnisse überlässt man den Experten. Von den Führungskräften ist konkret gefordert, dass sie den wertschöpfenden Entitäten zu optimaler Performance verhelfen. 

Wie kann der Transformationsprozess leichter gelingen? 

Wenn man die genannten Erfolgsfaktoren einhält, dann ist es deutlich leichter und erfolgreicher die agile Transformation durchzuführen. Und ich glaube, durch intelligente Nadelstiche kann man das Ganze deutlich einfacher gestalten. Eigentlich braucht es immer nur eine gewisse kritische Masse im Unternehmen, die in diese Richtung denkt und handelt, dann kippt das Ganze irgendwann von ganz alleine. Wenn man beispielsweise dezentral einzelne Pflänzchen aufkeimen lässt, diese dann in einem Netzwerk zusammenführt und ihnen einen Nährboden in der Organisation gewährt, dann wächst das von ganz alleine und potenziert sich.