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Die Zielpyramide bröckelt

Kommentar Jedes Wirtschaftssubjekt verfolgt mehrere Ziele. Damit diese verschiedenen Ziele sich nicht widersprechen, ist eine klare Zielordnung nötig. Doch was in der Theorie als Zielpyramide systematisiert ist, ist es in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht. Trotz aller Bekundungen fehlt die klare Ordnung der Ziele.

Foto: Thais Cordeiro von Pexels
Foto: Thais Cordeiro von Pexels

Eindeutige Zielsysteme sind Trugbilder

Das Management macht viele Sitzungen und Abstimmungen, um sich auf Ziele zu einigen. Trotzdem bleibt sehr häufig unklar, wie die Ziele zueinander stehen. Was läuft in dieselbe Richtung und was steht im Konflikt zueinander? Und vor allen Dingen, welche Prioritäten setzt man bei Zielkonflikten? Das Management betrügt sich selbst mit der Logik eindeutiger Zielsysteme, die es in der harten Welt der Wirtschaft gar nicht gibt. In der Realität verfolgen die meisten Menschen ihre eigenen Ziele.

Eine Heldenreise in die Zukunft
Was hindert uns auf dem Weg zur Exzellenz? Was fesselt uns an Paradigmen der Industriegesellschaft, die in einer komplexen und dynamischen Wissensökonomie nicht mehr passen? Und was lehrt uns ein Blick auf antike mythologische Helden? Diesen Fragen geht Dr. Guido Schmidt an dieser Stelle in Form eines Fortsetzungsromans nach.
Teil 12 Zu viele Regeln bedeuten Stillstand.

Der Streit der Könige

Die Mission der Griechen vor Troja war klar: Das Königreich des „Großherrschers“ Priamos musste fallen. Teilziele sollten den Weg zum Erfolg ebnen. Doch immer wieder brach im griechischen Lager ein Streit über diese Teilziele aus. Für Menelaos war das oberste Ziel, Helena zurückzuholen und Paris für deren Entführung zu bestrafen. Doch Menelaos hatte sich mit seinem Hass auf Paris isoliert, sein Ziel teilte niemand der anderen Könige. Das Lager des Agamemnon wollte den trojanischen König Priamos stürzen, die Partei des Achill Hector ausschalten. Ersteres bedeutete, die befestigte Stadt anzugreifen, Letzteres bedeutete, die Schlacht vor die Stadttore zu bringen. Welches Ziel sollten die Griechen nun verfolgen?

Das Management betrügt sich selbst mit der Logik eindeutiger Zielsysteme, die es in der harten Welt der Wirtschaft gar nicht gibt. In der Realität verfolgen die meisten Menschen ihre eigenen Ziele.

Zieldeduktion als Methode reicht nicht

In der wirtschaftlichen Theorie ist die Ordnung der Ziele ganz einfach. Wie eine Pyramide bauen die Ziele aufeinander auf, das wichtigste Ziel, auf der Grundlage von untergeordneten Zielen. Die Management-Methode zur Entwicklung der Zielpyramide ist die Deduktion. Man nimmt ein Ziel, z.B. den Umsatz und zerlegt ihn in seine Elemente, also Preis mal Menge. Damit ist es dann logisch, weil mathematisch abgeleitet, dass eine Umsatzsteigerung durch höhere Preise, größere Mengen, oder eine Kombination aus beidem erreicht werden kann. Solch deduktives Vorgehen ist immer logisch und immer richtig.

So schön die deduktive Vorgehensweise auch ist, sie löst das Problem der konkreten Festlegung auf Ziele überhaupt nicht. Die Deduktion funktioniert sowieso nur bei formalen wirtschaftlichen Zielen wie Umsatz, Gewinn und Effizienz. Aber die Theorie gibt keine Antworten darauf, ob die Menge oder der Preis erhöht werden sollen. Für Wirtschaftswissenschaftler und Verfechter des Scientific Management reicht anscheinend der logische Bezug.

Was macht Nebenziele zu Nebenzielen?

Die Theorie kennt noch einen zweiten Fall der Zielordnung. Auf gleicher Ebene werden die Ziele in Haupt- und Nebenziele unterschieden. Hier wird der konfliktäre Zusammenhang nicht verborgen, sondern kommt klar zum Ausdruck. Die Wissenschaft hat aber keine Methodik entwickelt, um bei Zielkonflikten eine Lösung zu finden. Selbst mathematische Modelle, bei denen Steigungswinkel an Zielfunktionen gemessen werden, sind zwar optisch schön anzusehen, aber am Ende willkürliche Festlegungen. Es bleibt vollkommen unklar, wie man zu der Festlegung der Hauptstoßrichtung kommt. Warum soll das eine Ziel Hauptziel sein und das andere Ziel zurückdrängen? Die vom Management so gern betonte logische Ordnung besteht bei Zielkonflikten definitionsgemäß nicht.

In einer komplexen Welt gibt es unendlich viele konfliktäre Ziele.

In einer komplexen Welt gibt es unendlich viele konfliktäre Ziele. Die Ordnung nach Haupt- und Nebenziel kreiert Gewinner und Verlierer und ist daher unangenehm und zeitaufwendig. Eigentlich hat keiner Lust auf diesen Streit. So kommt es denn, dass das Management das Ganze als formalen Akt abtut und dem Streit am liebsten aus dem Wege geht.

Die Verantwortung für Zielerreichung geht verloren

Da Zielentscheidungen mit unterschiedlichen Verantwortungen einhergehen, beginnen endlose Sitzungen und Diskussionen. Der Preis liegt im Marketing, die Verkaufsmenge beim Vertrieb, die Produktionsmenge in der Produktion und die Verfügbarkeit der Vorprodukte beim Einkauf. In diesem Spannungsfeld gibt es keine logischen Beziehungen mehr. Hier hat das Gegenteil von Logik, die Soziologik, seine Spielwiese.

Was schon im bei formalen wirtschaftlichen Zielen nicht funktioniert, wird bei allgemeinen Zusammenhängen nicht einfacher. Was ist sinnvoller und sollte an oberster Stelle stehen? Hat nun Agamemnon mit seinem Ziel, Priamos auszuschalten, recht, oder gar der junge Achill mit seinem Ziel, den größten Kämpfer der Trojaner, Hector, im direkten Kampf zu besiegen? Es gibt in diesen Fällen keinen logischen Zusammenhang von oben und unten. Hier kommt ganz unvermittelt die persönliche Einstellung ins Spiel. Bei unterschiedlichen Zielinhalten gibt es keine Wahrheit im Sinne von richtig oder falsch, nur Einschätzungen nach sinnvoll oder nicht, machbar oder nicht.

Gute Führung ist eine Führung, die nicht Umsatz, Wachstum oder andere formale Ansprüche in den Vordergrund stellt, sondern wichtige inhaltliche Aspekte.

Management ist handlungsorientiert. Am Ende muss eine Entscheidung stehen, also werden einige Entscheidungen zu den Zielen getroffen. Doch was dem Management so besonders wichtig ist, das vollkommen logische in sich geschlossene System, bleibt eine Fiktion. Es gibt dann Gewinner und Verlierer. Während die Gewinner mit stolz geschwellter Brust den Besprechungsraum verlassen, stehen die Verlierer mit gesenktem Haupte da.

Die ausschweifenden Diskussionen sind das Schlachtfeld des Managements und sie machen eine Sache sehr deutlich: Es gibt keine klaren Verantwortlungszuschreibungen. Bei der Vielzahl von Zielen und den unzähligen Verbindungen im Zielsystem kann keiner irgendjemand eine Zielverfehlung direkt ankreiden. Das Managementteam als Ganzes hat es irgendwie nicht geschafft. Der Boden für verdeckte Schuldzuweisungen, Politik im Unternehmen und ungehemmte Profilierungen ist bereitet. Das ist ein durchaus unwürdiges Spiel, da jeder Manager sich zwar aufblasen kann. Das tut er aber im Schatten der zielgerichteten Verantwortungslosigkeit.

Motivationsunterstützende Ziele müssen in sich wertvoll sein

Es ist einer der großen Irrtümer des Managements, dass Ziele für sich sprechen und aus sich heraus eine motivatorische Wirkung entfalten. Niemand ist an blutleeren formalen wirtschaftlichen Zielen wirklich interessiert. Es fehlt der Nutzen für den eigenen Verantwortungsbereich oder gar der persönliche Nutzen. Was bringt einem Menschen der Umsatzsprung, der Renditezuwachs und die Effizienzsteigerung – außer der Möglichkeit, sich selber zu profilieren? Nichts.

Wenn man aber von einem Ziel nicht überzeugt ist, wird man sich auch nicht zum Himmel strecken, um es zu erreichen. Es sei denn, der Erfolg wird mit einem anderen Thema verknüpft. Also z.B. Profilierungsmöglichkeiten oder Tantiemen. Ziele selbst können Motivation überhaupt nur unterstützen, wenn die Ziele an sich wertvoll sind. Deshalb ist es Aufgabe der guten Führung, die Sachlage zur verstehen und die Ziele mit sinnvollen Erfolgen zu verknüpfen. Eine Führung, die nicht Umsatz, Wachstum oder andere formale Ansprüche in den Vordergrund stellt, sondern wichtige inhaltliche Aspekte. Gute Führungskräfte gewinnen mit soziologischer Kompetenz und nicht mit Logik.