Führen im Sturmtief: Neues Management und alte Tugenden

Kommentar Firmen suchen neue Formen der Führung. Aber nicht alles war falsch, wie wir geführt haben. Betrachtungen eines Managers, der unter Druck und Ergebniszwang sich manches Experiment nicht leisten kann.

Kompetenz und Wert des Chefs auf der Brücke erweisen sich im Sturm, im Nebel und bei hoher See.
Kompetenz und Wert des Chefs auf der Brücke erweisen sich im Sturm, im Nebel und bei hoher See.

Als Mensch, der das Meer liebt, und als Taucher, der dessen Tücken kennt, misstraue ich Schönwetterkapitänen. Kompetenz und Wert des Chefs auf der Brücke erweisen sich im Sturm, im Nebel und bei hoher See. Ähnlich ergeht es mir als Interimsmanager, der meist dann geholt wird, wenn die Lage verfahren ist und der in kurzer Zeit eine Wende zum Besseren erreichen muss. Als Feelgood-Manager gelingt mir das nicht.

Dennoch bin ich offen für die neuen Ansprüche an Führung und die Kritik an überkommenen Haltungen und Praktiken im Management. Ich unterwerfe sie nur täglich und in wechselnden Konstellationen dem Praxistest. Und Folgendes habe ich daraus gelernt: Vieles, was unter dem Stichwort „New Work, New Management“ gesagt wird, ist richtig. Vieles, was getan wird, ist falsch und schädlich.

Drei richtige Ansatzpunkte von New Work

Doch nacheinander. Was will New Management, was will New Work? Aus meiner Sicht drei Dinge:

  • Mehr Verantwortung, Partizipation und Gestaltung an der Basis (weil Manager nicht alles wissen und können)
  • Mehr Flexibilität (wie es die viel beschworene volatile, unsichere, komplexe und ambigue VUKA-Welt von uns fordert)
  • Mehr Kundenorientierung (wie es uns neue, oft digitale, höchst kundenzentrierte Geschäftsmodelle vormachen)

Drei falsche Verhaltensweisen von New Work

All das ist richtig und wichtig. Was aber tut New Management? Nicht wenige der öffentlichkeitswirksamen Vertreter dieser Spezies

  • schwadronieren
  • delegieren
  • dilletieren

Und hier liegt das Problem. Denn diese drei Punkte kann ich mir nicht leisten. Nicht als Interimsmanager, und übrigens auch nicht als Taucher, wo ich Erfahrungen mache, die mir in meinem Managerdasein sehr helfen. Denn klar kommunizieren, unter Druck und Ungewissheit entscheiden, Verantwortung übernehmen sowie auf das Wesentliche fokussieren, sichern hier das Überleben.

Dramatisieren, Wegducken und Rumprobieren

Daher ein kurzer Blick aufs Schwadronieren. Die Dramatisierung einer Weiterentwicklung unserer Geschäfte, Unternehmen und der Gesellschaft mit Blähbegriffen wie Disruption, Transformation et cetera ist falsch und hilft niemandem. Die Verpackung von Selbstverständlichem in Trendbegriffe wie Purpose, Schwarmintelligenz und ähnliches zeugt von Marketinggespür, aber mehr auch nicht.

Verantwortung delegieren, aber den Kurs bestimmen und Macht bunkern, geht nicht.

Nun zum Delegieren. Die Appelle von neuen Managern an Selbstorganisation und Beteiligung der Mannschaft bleiben so lange hohl, wie diese das Steuerrad in den Händen halten und dafür auch bezahlt werden. Verantwortung delegieren, aber den Kurs bestimmen und Macht bunkern, geht nicht.

Und das Dilettieren? „Einfach mal machen“ ist der Slogan all jener, die nicht wissen, wie es geht und ob es funktioniert (so genannte Dilettanten). Der Spruch hat in Garagen, wo ausprobiert und gebastelt wird, sicher seine Berechtigung. Aber Unternehmen – und schon gar nicht die unter Druck – sind keine Experimentierlabors. Hier haben Kunden, Mitarbeiter, Investoren und die Gesellschaft ein Anrecht darauf, dass mit Verstand, Erfahrung und Wissen gehandelt und gemanagt wird.

Populäre New-Management-Forderungen mit Substanz

Was also hat Substanz von den Forderungen und Verheißungen auch in meiner Interimswelt, wo Druck und Ergebniszwang herrschen? Es sind im Wesentlichen drei Aspekte:

  • Menschenfokus: Unbedingt. Der Mensch ist der Schlüssel – wenn man ihn nicht stilisiert, sondern nimmt, wie er ist: Mal fähig, mal unfähig, mal motiviert, mal nicht, mal willens, mal nicht. Fördern und freisetzen bleibt das Geschäft des Managers, Wahrhaftigkeit und Werte einfordern ebenso. Und das beginnt schon damit, dass man sich selbst keinen Trugbildern hingibt und Werte plakatiert, die den Zeitgeist, aber nicht den Unternehmenszweck bedienen.
  • Agilität: Ja, aber nicht als Lifestyle-Phänomen. Ruhe und Unruhe, Routinen und ihre Störungen, kennzeichnen zukunftsfeste Unternehmen. In denen wird gleichzeitig Bestehendes effizient erledigt und Neues kann ans Licht kommen. Reibung vitalisiert, was uns das Kniegelenk und sein Schmelz schon lehrt. Stillstand tötet, weshalb es Defibrillatoren für unser Herz gibt. Agilität ist daher ein Merkmal anpassungsfähiger Menschen und Organisationen. Unter Druck ist sie von noch größerem Wert. Wenn man davon aber nichts spürt, sondern nur hört, dann wird offensichtlich schwadroniert.
  • Kundenorientierung: Unbedingt und zu jeder Zeit! Aber wird die nicht in unzähligen Powerpoints und Workshops beschworen, statt sie Aug in Aug mit dieser Spezies, in Angeboten und Services unter Beweis zu stellen? Endlose Debatten und Experimente rund um Arbeitsformen, Räumlichkeiten und Kulturfragen lenken mehr vom Kunden ab, als dass sie ihn ins Zentrum unseres Tuns und Denkens rückten. Das aber ist gerade in der Krise das A und O.

Drei New-Management-Buzzwords mit fataler Wirkung

Darum hier noch meine Top-3 der New-Management-Begriffe, die in meinem Managementalltag nicht zu gebrauchen sind.

  • Selbstentfaltung: Sicher, das ist ein Primärbedürfnis des Menschen (Maslow lässt grüßen). Es ist aber keine Richtschnur für Führung und Zusammenarbeit in Unternehmen unter Druck. Hier geht es um Gemeinschaft, Anstrengungsbereitschaft und optimale Kooperation. Ja eigentlich ums Überleben.
  • Augenhöhe: Wir alle sind Menschen und in dieser Hinsicht miteinander auf Augenhöhe. Aber Menschen sind nicht gleich und müssen nicht gleich behandelt werden. Es braucht Menschen, die führen können und wollen, und es braucht Menschen, die folgen wollen und dabei ihr Bestes geben. Wenn die Zeit knapp und der Druck groß ist, umso mehr.
  • Revolution / Rebellion: Dahinter steckt meist nicht mehr als die oben genannte Aufplusterung in Prozessen, die sich wandeln und wandeln müssen. Wir sollten die Worte für jene Helden aufsparen, die gegen Unrecht und Unterdrückung aufstehen. Das aber ist in unseren Unternehmen in der Regel nicht nötig und nicht der Fall.

Darum: Lasst uns anders und wirkungsvoller managen. Aber lasst uns darüber nicht die Tugenden vergessen, die uns immer schon stark gemacht haben: Leistungsorientierung, Gemeinsinn, Professionalität, Überlebenswille. Vertrauen in sich und andere wächst in Prüfungen. Was an neuen Managementideen sich darin bewährt, ist mir willkommen. Alles andere überlasse ich den Schönwetterkapitänen auf der Unternehmensbrücke und den Konferenzbühnen.