Business Transformation New Work

„Wir brauchen den kritischen Zweifel“

Wir messen Leistung immer noch als Output. Sagt Wolf Lotter. Doch in der Wissensgesellschaft zähle die Qualität der Ergebnisse, nicht die Quantität. Wir müssten uns darüber verständigen, was Leistung sei in einer Welt, in der es aufs Nachdenken ankomme, nicht aufs schiere Tun.

Die Ära der Leistung fängt gerade erst an

Herr Lotter, in Ihrem neuen Buch unternehmen Sie eine Neudefinition von Leistung und fordern „Strengt Euch an!“. Warum müssen wir jetzt wieder über Leistung sprechen?

Wir müssen genau jetzt über Leistung sprechen, weil die Ära der Leistung jetzt erst beginnt. Wir stehen am Beginn des Zeitalters der geistigen Arbeit, der Wissensarbeit. Das sind die meisten Menschen nicht gewöhnt, auch wenn sie eine akademische, fast intellektuelle Ausbildung haben. Leistung durch Nachdenken und nicht durch Routinearbeit ist unserer Kultur und unserem Gesellschaftsleben zutiefst fremd. Viele Menschen laufen mit, sind fleißig – das ist ja die wörtliche Übersetzung des lateinischen „industria“ ins Deutsche. Wir sind eine Fleißgesellschaft voller toller Menschen, die wahnsinnig angestrengt, fast schon mit ADHS-Symptomen, herumspringen. Aber wir haben nicht gelernt, mit Nachdenken, mit Konzentration auf neues Wissen hin etwas zu leisten und uns zu bemühen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Wir unternehmen keine echte Transformation, sondern simulieren Veränderung.

Ich verstehe Sie so: Wir sind fixiert auf den Output und ignorieren den Outcome. Wieso gelingt uns die Neuorientierung nicht?

Das ist eine Kulturfrage. Wir schaffen den Wandel von der Quantitäts- zur Qualitätsgesellschaft nicht. Wir diskutieren diese Frage seit rund 60 Jahren, aber tun sehr wenig dafür. Der Grund dafür liegt darin, dass wir im Alltag sehr viele Technologien nutzen, die auf Quantität, auf Output ausgelegt sind. Die Konsumgesellschaft ist ja nicht umsonst der Begriff, der unsere Wirklichkeit beschreibt. Wir konsumieren, wir wiederholen bei diesem Konsum, aber wir ändern kaum die Richtung – oder nur scheinbar. Wir konsumieren vielleicht mehr von anderem, aber wir investieren wenig Zeit und Mühe in die Auswahl dessen, was uns angeboten wird, in die Qualität.

Für mich ist eine entscheidende Frage in der Diskussion über die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, was es bedeutet, dass wir an den alten Riten festhalten. Die ganze Organisationswelt ist immer noch fest im Griff dieser Idee, dass man nur etwas anfangen muss und dann läuft das Rädchen. Und wenn man dann ordentlich mitmacht, ist alles gut. Dieser Glaube bestimmt unser Leben. Es geht dann eher um Begrifflichkeiten, zum Beispiel gilt der Verbrennungsmotor mittlerweile als schlecht, E-Mobilität dagegen als gut. Doch wenn wir genau hinsehen, ist der qualitative Unterschied fürs Klima marginal. Nur tun wir so, als ob wir etwas ganz Tolles geschaffen hätten, auf das wir unsere ganze Energie richten. Das ist absurd. Und ist immer noch dem alten Denken verhaftet, dass ein bisschen Umlackieren schon ausreichen würde. Wir unternehmen keine echte Transformation, sondern simulieren Veränderung.

Nachdenken über Lösungsalternativen

Ein Schlüsselbegriff bei Ihnen scheint mir „Besser machen“ zu sein. Eben nicht umlackieren, sondern anders machen. Und zwar aus einem inneren Antrieb heraus. Woraus entspringt denn dieses Bedürfnis, Dinge besser zu machen?

Das ist genauso wie bei Kaizen, um ehrlich zu sein. Wenn ich Menschen sage, sie sollten bei dem, was sie tagtäglich tun, darauf achten, was sie besser machen können – weil unvernünftig sei, was sie gerade tun –, dann animiere ich sie, genauer hinzusehen. Dieses Animieren kann mit harten Ansagen geschehen oder sanft, in jedem Fall aber kommen Lösungsalternativen zustande, wenn man Menschen zum Selbstdenken anregt. Das ist ein alter Hut, das ist nicht neu, sondern es ist eigentlich eine anthropologische Konstante, dass wir versuchen, das, was wir haben, stetig zu verbessern. Verbessern im Sinne von „in eine neue Qualität überführen“. Lösungsalternativen sind immer besser, weil sie sich genauer an das anpassen, was gerade ist. Ich sage nicht, dass anders besser ist in jedem Fall. Sondern ich sage, dass das Nachdenken darüber, ob das Andere besser ist, die bessere Idee ist.

Leistung durch Nachdenken und nicht durch Routinearbeit ist unserer Kultur und unserem Gesellschaftsleben zutiefst fremd.

Nachdenken ist Arbeit. Aber wie misst man Denkarbeit?

Wir sind nach wie vor auf die Stückzahl fixiert, auf den Output, von dem Sie gesprochen haben. Egal, ob diese Stückzahl sinnvoll ist. Die Kennzahl Stückzahl kann völlig ins Leere gehen und nur Geld kosten, aber wir fragen nicht, was uns das Ganze eigentlich bringt. Wir reden gerne davon, dass wir uns mehr in Richtung Ergebnisorientierung entwickeln, aber wenn diese Ergebnisse auch nur in Zahlen und messbaren Fakten bestehen, haben wir nichts verändert.

Kritisch zweifeln

Dann bleibt es bei Output-Messung, die in die Irre führt. Dann zähle ich die schieren Kundenkontakte. Oder, bei Verlagen sehr beliebt, die Zahl der positiven oder negativen Leserbriefe. Das schließt aber alle aus, die sich nicht melden und vielleicht ganz zufrieden sind. Oder die sich nicht melden und völlig unzufrieden sind. Das heißt, mit der Zählung von Leserbriefen ist nichts gewonnen. Die Herausforderung liegt darin, völlig neue Dialogformen zu entwickeln, um in eine qualitative Diskussion mit der Leserschaft zu kommen. Dazu komme ich aber nur, wenn ich nachdenke, wenn ich kritisch zweifle, wie Bert Brecht es uns anempfohlen hat.

Aber irgendwann müssen wir „die Dinge auf die Straße bringen“, wie es so schön heißt. Wenn ich fünf Tage die Woche nachdenke, und nichts Praktisches zuwege bringe, hat das Unternehmen, das mich bezahlt, auch wenig von mir …

Interessant: Sie definieren „etwas Praktisches tun“ damit, dass man irgendeinen Handgriff gemacht hat. Es gibt das schöne Wort „begreifen“. Wenn ich geistig etwas erfasse, dann sage ich, dass ich es begreife. Das kommt in unserer Kultur daher, dass ich zum Beispiel diesen Stift hier ganz fest in der Hand halte. Weil ich mich ans Physische klammere. Was mache ich aber in einer Welt, in der es um Innovationen geht, um persönliche Problemlösungen – wie es heute schon überall der Fall ist, weil nur so in einer saturierten Welt die Dinge am Laufen bleiben – was mache ich also in dieser Welt, wenn die Dinge nicht begriffen sind? Es geht um das Denken und nicht darum, dass ein Mensch fünf Tage in der Woche je acht Stunden im Büro an seinem Schreibtisch sitzt und dort brav seine Formulare ausfüllt. Und dann auch noch alle 15 Minuten gemessen wird, wie viele Formulare der Mensch ausgefüllt hat.

Die ganzen gewohnten Gehhilfen wie festgelegte Arbeitszeiten, Präsenz im Büro, Arbeitszeiterfassung helfen in einer Welt, in der es um Lösungsalternativen geht, nicht weiter.

Das neue „auf die Straße bringen“ ist vielmehr die Lösungskapazität, die im Denken liegt. Damit aber verändert sich alles. Die ganzen gewohnten Gehhilfen wie festgelegte Arbeitszeiten, Präsenz im Büro, Arbeitszeiterfassung helfen in einer Welt, in der es um Lösungsalternativen geht, nicht weiter. Die entscheidende Frage ist die nach den Resultaten. Und hier wird es interessant, denn dann kommt die Frage auf, wie wirksam etwas ist. Wirksamkeit heißt hier: Ich überlege, wohin ich will, und frage, wer mich wie dabei unterstützt, dorthin zu gelangen – für die Kunden, fürs Produkt, für die Dienstleistung.

Die Frage nach dem Warum und Wozu 

Sie schreiben von der Selbstverpflichtung des einzelnen Menschen, sich anzustrengen. Aber gibt es weiterhin auch exogene Pflicht zur Leistung? Gilt das Tauschgeschäft Arbeit gegen Geld weiterhin?

Das hängt davon ab, wie selbstbestimmt Sie heute bereits sind in dem, was sie tun. Wurden Sie eingestellt, um das zu tun, was Ihnen ein anderer bis ins Detail vorschreibt (alte Arbeit) oder sind Sie verantwortlich für die Lösung eines bestimmten Problemfeldes (neue Arbeit)? Diese neue Arbeitswelt ist der Ort, wo die eigenverantwortliche Selbstverpflichtung zur Leistung und die Pflicht zur Leistung, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt, verschmelzen.

Strengt Euch an!
"Strengt Euch an! Warum sich Leistung wieder lohnen muss" ist das neueste Buch des Journalisten und Autors Wolf Lotter. Lotter ist Gründungsmitglied und langjähriger Leitessayist von brand eins.
Mehr zum Buch von Wolf Lotter

Es geht dabei nicht um entweder Selbstverwirklichung oder Pflichterfüllung. Selbstverwirklichung bedeutet ja nicht, dass ich nur etwas für mich selbst tue – das ist eines der größten Missverständnisse überhaupt. Selbstverwirklichung bedeutet im Gegenteil, dass ich das, was ich am besten kann, so tue, dass es auch anderen nützt. So kommen diese scheinbar getrennten Welten wieder zusammen, wenn viel Können, Selbstbestimmung und Selbststeuerung auf Anforderungen treffen, die andere an mich stellen.

Das beantwortet die Frage nach dem Purpose.

Die Purpose-Debatte ist so, wie sie in Deutschland geführt wird, lächerlich. Wenn ich nicht weiß, warum ich bei A oder B oder C arbeite und das tue, was ich tue, aber erwarte, dass in einem gemeinschaftlichen Prozess Sinn und Zweck nachgeliefert werden, damit mein Sinn-Defizit kompensiert wird, habe ich ein echtes Problem. Menschen, die das von Organisationen erwarten, rufe ich zu „Reißt Euch zusammen!“. Selbständigkeit und selbstbestimmte Arbeit – das Ziel von New Work – sind kein Wohlfühlprogramm, sondern bedeuten, dass jeder und jede sich extrem anstrengen muss, die eigene Kontur zu schärfen, klarzumachen, was man kann, eben dies anderen anzubieten und diese anderen auch glücklich zu machen. Damit man selbst glücklich ist.

Die Purpose-Debatte ist so, wie sie in Deutschland geführt wird, lächerlich.

Das beantwortet die Frage nach Sinn und Zweck des eigenen Tuns. Dieses Warten darauf, dass andere einem die Frage nach dem Warum und Wozu beantworten, ist schlimmstes Konsumverhalten. Dabei sind viele dieser sinnsuchenden Menschen Kritiker der Konsumgesellschaft, gleichzeitig sind sie die heftigsten Vertreter der Konsumgesellschaft, die auch noch Sinn und Zweck konsumieren möchten. Absurd.

Ich lese Ihr Buch als einen Appell an Selbstverantwortung und Selbstbestimmung, daran, einen Unterschied zu machen. Ist Leistung, so verstanden, Teil dessen, was menschliche Würde ausmacht?

Auf jeden Fall. Wir haben das nur vergessen. Vor 150 Jahren hätte das niemand bezweifelt, außer vielleicht im Hochadel. Die Arbeiterbewegung war geradezu getragen von der Vision, dass Arbeiter mithilfe ihrer Arbeit menschliche Würde erringen. Dass sie dank ihrer Leistung, dank ihrer Bildungsanstrengungen aufsteigen können. Dass sie ein Recht auf anerkannte Leistung haben. Das ist sogar die zentrale Vision aller Emanzipationsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts und auch noch des 20. Jahrhunderts. Und kaum sind diese Forderungen für viele erfüllt, ist es plötzlich in Vergessenheit geraten und wir reden über absurde Dinge wie Purpose.

Selbständigkeit und selbstbestimmte Arbeit sind kein Wohlfühlprogramm, sondern bedeuten, dass man sich extrem anstrengen muss, klarzumachen, was man kann, eben dies anderen anzubieten und diese anderen glücklich zu machen. Damit man selbst glücklich ist.

Natürlich geht es darum zu sagen „Ich kann etwas. Ich bin jemand.“ Menschen definieren sich auch über ihre Tätigkeit. Die entscheidende Frage ist: Ist das, was ein Mensch tut, etwas, worauf er – und jetzt kommt ein ganz wichtiges Wort – stolz sein kann. Denn nur dann ist er auch selbstbewusst und selbstbestimmt. Alles andere ist nur geliehen.