The Next Normal Innovation

„Sobald Skype ein bisschen ruckelt, werden wir alle nervös“

Ulrich Irnich, CIO bei Vodafone Deutschland, spricht über die neue Verantwortung der IT im Unternehmen, dass er Leute, die Klartext sprechen, sehr zu schätzen gelernt hat und wieso er jetzt in Videokonferenzen Liegestütze macht.

"Es gab vorher einige Abteilungen, die gesagt haben: Homeoffice gibt es bei uns nicht. Da hin werden wir nicht mehr zurückkehren." Ulrich Irnich, CIO Vodafone Deutschland
"Es gab vorher einige Abteilungen, die gesagt haben: Homeoffice gibt es bei uns nicht. Da hin werden wir nicht mehr zurückkehren." Ulrich Irnich, CIO Vodafone Deutschland

Wie alles begann

Der Beginn der Krise liegt nun schon lange zurück, kannst du dich noch erinnern, wie alles anfing?

Ja. Zu Beginn des Jahres haben wir die Lage bereits beobachtet. Als dann mit dem Ende der Karnevalszeit die Fälle in Heinsberg auftraten, haben wir eine Task Force eingesetzt. Am Anfang dachten wir noch: ‚Gut, wir holen die Unterlagen zur Schweinegrippe wieder raus, dann kriegen wir das schon gemanagt.“ Aber als es einen Mitarbeiter gab, der in Ischgl war und positiv getestet wurde, änderte sich das. Wir haben uns zwei Fragen gestellt? Wie schützen wir jetzt unsere Leute – also wie können wir dafür sorgen, dass die Mitarbeiter gesund bleiben? Und wie stellen wir gleichzeitig sicher, dass unsere Kunden weiterhin mit der Infrastruktur versorgt werden, die wir bereitstellen?

Mit Blick auf Bereiche wie die Callcenter stellte sich auch die Frage: Sind die Leute eigentlich alle in der Lage, überhaupt Homeoffice zu machen, oder sind das Bereiche, die tatsächlich vor Ort arbeiten müssen?
Ulrich Irnich, CIO Vodafone Deutschland

Welche Aufgaben haben sich aus diesen Fragen ergeben?

Die erste Aufgabe war: Wie schaffen wir es jetzt, alle ins Homeoffice zu schicken? Damit gab es Berührungspunkte zur IT, denn wir mussten die entsprechenden Kapazitäten und Kanäle anbieten. Aber mit Blick auf Bereiche wie die Callcenter stellte sich auch die Frage: Sind die Leute eigentlich alle in der Lage, überhaupt Homeoffice zu machen, oder sind das Bereiche, die tatsächlich vor Ort arbeiten müssen?

The Next Normal

Dieses Interview ist Teil von „The Next Normal“ – einer qualitativen Studie zur Zukunft von Organisationen, für die rund 100 Führungskräfte interviewt wurden. „The Next Normal“ ist eine Kooperation von Metaplan und Haufe. 

Zur Studie

Gleichzeitig mussten wir immer im Blick behalten: Was passiert jetzt mit unserem Netz? Dadurch dass alle zuhause waren, hatten wir einen Anstieg in den abgefragten Netz-Kapazitäten von 70 Prozent, das war krass. Wir haben stündlich kontrolliert, wo wir Grenzen erreichen.

Was waren Eure Maßnahmen, um in der Situation schnell entscheiden zu können?

Wir haben unseren Krisenstab bewusst sehr breit aufgestellt. Der spiegelt alle Lebenseinheiten des Unternehmens wider – IT, Facility, Security, Personalwesen, Finanzen, Vorstand und so weiter. Die getroffenen Entscheidungen wurden dann durch den Vorstand kommuniziert. Die ersten Entscheidungen waren: Teams stark reduzieren, Kontakt vermeiden, und wo es geht, ins Homeoffice gehen. Aber diese Entscheidungen waren mehr Leitplanken. Die Realisierung ist den Führungskräften vor Ort und den Teams überlassen worden – mit Unterstützung, wenn sie notwendig war. Beispielsweise ist die Frage aufgekommen: „Ich habe Mitarbeiter zuhause, die haben keinen Bildschirm.“ Also durften die ihre Bildschirme aus dem Office zuhause aufbauen. Koordiniert wurde das dann weiterhin von den jeweiligen Führungskräften vor Ort.

Wir haben unseren Krisenstab bewusst sehr breit aufgestellt. Der spiegelt alle Lebenseinheiten des Unternehmens wider
Ulrich Irnich, CIO Vodafone Deutschland

Wie hat sich speziell in Eurem Team die Situation verändert? Wollen die Leute in der Krise mehr Orientierung oder mehr Freiheiten?

Allgemein stelle ich fest: Es braucht sehr viel mehr Kommunikation. Manche Dinge musst du dreimal sagen. Ich hatte mir als Vorsatz fürs neue Jahr vorgenommen: maximal 15 Minuten E-Mails pro Tag – der ist natürlich komplett im Eimer. Die einzelnen Interaktionen sind dabei ganz unterschiedlich. Es gibt Einige, die sagen: „Okay, ich brauche kurz die Rahmenparameter“ und dann laufen die. Andere haben das Bedürfnis jeden Tag mit mir zu sprechen. Ich brauche heute zwei bis drei Stunden am Tag Freiraum, damit ich Leute anrufen und einfach mal checken kann, wie es denen gerade geht?

Es geht vor allem um Kommunikation

Wie hat sich die Homeoffice-Situation auf Eure Art zu arbeiten ausgewirkt?

Am Anfang war Homeoffice klasse: Denn macht es mir Spaß, jeden Tag im Auto zu sitzen oder von links nach rechts zu reisen? Natürlich nicht. Aber die freie Zeit hat sich in Kalenderslots umgewandelt. Das war zuerst effizient. Aber nach zwei Wochen war ich dünnhäutig und genervt davon, dass der Tag nur noch aus Terminen besteht, jeder irgendwas will und Du permanent in Videointeraktionen bist. Man darf auch nicht unterschätzen was durch die lange Phase Homeoffice verloren geht. Wenn Du in Calls mit 30 Leuten bist, siehst Du keine wirkliche Körpersprache und du kannst niemandem in die Augen schauen. Diese Reflexion von Menschen in ihrer Wahrnehmung, das Erkennen, wie sie Dinge zurückspielen, das fehlt. Das ist schon etwas, was mir Energie raubt.

Man darf auch nicht unterschätzen was durch die lange Phase Homeoffice verloren geht. Wenn Du in Calls mit 30 Leuten bist, siehst Du keine wirkliche Körpersprache und du kannst niemandem in die Augen schauen.
Ulrich Irnich, CIO Vodafone Deutschland

Wie seid Ihr mit dem Problem umgegangen?

Wir haben gemerkt, dass wir einen Raum brauchen, in dem auch soziale Interaktion ohne Arbeit stattfinden kann. Denn sonst hast Du nur ein Meeting nach dem nächsten, bekommst die Agenda und die wird abgearbeitet. Du bestehst nur noch aus deinen Kalenderslots. Deswegen haben wir unsere Meetings verändert und Raum geschaffen für einen „Wie geht’s mir denn“-Teil und tatsächlich haben sogar auch Workouts integriert. Mit Liegestützen –

Mit Liegestützen, im Ernst?

Im Ernst! Zum Beispiel bei einem Termin von zwei Stunden bauen wir vier Workout-Unterbrechungen ein. Jede halbe Stunde eine. Es gibt genug sportlich engagierte Leute im Team, die wechseln sich als Vorturner ab. Das ist großartig. Du merkst, wie dein Puls hoch geht und nach dem ganzen Rumsitzen sich die Spannung auflöst. Und die Leute haben Spaß. Am Anfang habe ich auch gedacht, wenn man einander so sieht, dass man das nur bescheuert finden kann. Aber es klappt.

Wie seid Ihr darauf gekommen?

Wir haben es einfach ausprobiert. Die Teilnahme ist natürlich freiwillig. Aber wir haben gesehen, wie es angenommen wird und die Reaktion war fast einhellig: Das ist gar keine schlechte Idee, lass uns das machen.

Mit Blick auf die Situation der IT im Unternehmen – hat sich Euer Standing verändert? Wenn Home Office und digitale Angebote wichtiger werden – dann ist das in der Relevanz der IT sicherlich spürbar.

Das stimmt. In einem Tech- und Com-Unternehmen wie Vodafone ist zwar klar, dass die IT einen hohen Stellenwert hat. Aber auch hier erleben wir eine Renaissance. Ich bin aktuell gefühlt der Einzige, der neue Leute an Bord holen und wilde Experimente machen darf, bei allen anderen steht die Effizienz im Vordergrund. Alle haben verstanden, wenn Du heute kein Plattformgeschäft machst, was ohne IT nicht geht – dann bist Du raus. Gleichzeitig haben wir eine neue Wahrnehmung unserer Bedeutung im System. Es muss nur Skype ein bisschen ruckeln, oder ein Zugang fehlen, und wir werden alle nervös.

Was sind Veränderungen, die die Krise gebracht hat, die ihr bewahren wollt?

Es gab vorher einige Abteilungen, die gesagt haben: Homeoffice gibt es bei uns nicht. Da hin werden wir nicht mehr zurückkehren. Für mich persönlich und die IT gilt außerdem, dass ich jetzt Leute auf dem Radar habe, die ich vorher in der Form nicht gesehen habe. Sei es, dass sie im Arbeitsplatzumfeld gute neue Ideen eingebracht haben, neue Kollaborationen gestartet haben, oder in größeren Sessions klug Klartext reden. Die Leute will ich auf jeden Fall auch in der Zukunft weiter im Auge behalten. Verbunden mit dem erwähnten Klartext ist eine weitere positive Veränderung: Wir kommen in Meetings schneller zum Punkt. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass alle nur genervt sind und die Videokonferenz schnellstmöglich verlassen wollen. Jedenfalls ist die Wirkung gerade, dass wir zügig Fakten schaffen und Entscheidungen treffen wollen.

Kann man denn sagen, dass sich die Entscheidungsgeschwindigkeit erhöht hat – oder der Takt, in dem sie erfolgen?

Wir waren zwar nie langsam darin, Entscheidungen zu treffen. Aber der Takt der Realisierungen hat sich auf jeden Fall beschleunigt. Manchmal braucht es Zeit, bis Entscheidungen sozialisiert werden. Dann werden sie nochmal besprochen und hinterfragt, ob man sie jetzt wirklich umsetzen und nicht lieber nochmal drüber reden sollte. Das gibt es in der Form nicht mehr. Das führe ich auch auf die neue Klarheit in der Sprache zurück, die es jetzt eben braucht. Wenn wir uns das bewahren können, haben wir viel gewonnen.