Digitalisierung Aufbrecher

„Digitalisierung bedeutet: Freiraum schaffen für Kreativität“

Interview Automatisieren, was immer möglich ist, um die ganze Kraft in Richtung Kunden zu lenken. Das ist der Anspruch von Frank Klix, Gastronom, Gründer und Geschäftsführer des Frachiseunternehmens Purino. Aber bei aller Technisierung sollen die MitarbeiterInnen im Mittelpunkt stehen: „Ich möchte allen helfen, das zu finden, was sie wirklich ausfüllt."

„Es geht nicht um irgendeine Bringschuld der MitarbeiterInnen, die jetzt bitteschön ganz schnell alle flexibel und anpassungsfähig werden sollen.“ Frank Klix über Digitalisierung.
„Es geht nicht um irgendeine Bringschuld der MitarbeiterInnen, die jetzt bitteschön ganz schnell alle flexibel und anpassungsfähig werden sollen.“ Frank Klix über Digitalisierung.

Herr Klix, zum Einstieg: Was macht Ihr Unternehmen Purino?

Wir sind ein Franchiseunternehmen und machen Systemgastronomie – italienische Küche mit regionalen Produkten in einem Ambiente, das zum Reden und zum Austausch anregt. So lautet unser Anspruch. Wir betreiben eigene Restaurants und haben Franchisepartner an Bord. Allerdings unterscheidet uns schon die Wahl unserer Partner von anderen Franchisesystemen. Voraussetzung dafür, dass jemand Partnerin werden kann, ist, dass sie schon als Führungskraft in unserem Unternehmen tätig sind oder aber aus dem direkten privaten Umfeld kommen. Das heißt, wir kennen unsere Partner schon lange und sie uns. Das ist uns sehr wichtig, denn uns treibt eines besonders an: Wir wollen die Dinge anders als die Anderen machen.

Wir wollen nicht die größte oder schnellstwachsende Franchiseunternehmung sein. Nicht Tanker, sondern viele kleine Schnellboote sein, darum geht es.

Klingt gut, aber was heißt das?

Zunächst einmal heißt das, dass Wachstum für uns nicht das bestimmende Ziel ist. Wir wollen nicht die größte oder schnellstwachsende Franchiseunternehmung sein. Nicht Tanker, sondern viele kleine Schnellboote sein, darum geht es. Deshalb haben wir für unsere mittlerweile acht Restaurants auch keinen zentralen Einkauf, sondern unsere Partner kaufen eigenständig bei regionalen Lieferanten ein. Und wir produzieren alles selbst, vom Pizzateig über die Tomatensauce bis zu den Nudeln. Es ist am besten, kein starres System zu haben, sondern die Flexibilität gibt uns die Sicherheit.

Wachstum sei nicht ihr bestimmendes Ziel, Größe auch nicht. Das sind sonst die Leitlinien der meisten Unternehmen.

Wir meinen damit: Wir brauchen kein großes, repräsentatives Headquarter. Wir wollen den Overhead so klein wie möglich halten. Purino hat insgesamt rund 750 MitarbeiterInnen – alle in den Restaurants, in der Küche und im Service. Ganz nah an unseren Gästen, wenn Sie wollen. In der Verwaltung sind es genau zweieinhalb Stellen. Das geht, weil wir uns seit Jahren konsequent digitalisiert haben.

Gastronomie gilt gemeinhin als Paradebeispiel für analoges Wirtschaften.

Wir haben digitalisiert, was zu digitalisieren ist. Zum Beispiel haben wir unsere Kassensysteme mit künstlicher Intelligenz ausgestattet. Wir wissen live und sekundengenau, wie viel und was wir zu jedem Zeitpunkt am Tag verkaufen, wie viele Gäste in den Restaurants sind. Und die Software weiß auch, dass an einem sonnigen Freitagabend, wenn die Borussia im Mönchengladbacher Stadion ein Heimspiel hat, soundso viele Gäste weniger kommen. Weil sie Wetterdaten, Spieltage etc. berücksichtigt und daraus lernt. Die Software weiß auch, dass es bei Regen und Sturm ganz anders ist, egal ob Heimspiel oder nicht. Und mit diesen Informationen steuert sie nicht nur Wareneinkauf und Produktion, sondern auch die Personalplanung.

Wir müssen die entscheidende Frage beantworten: Was können Menschen, das Roboter nicht können? Unsere Antwort lautet: Kreativität und Strategie.

Auch in der Buchhaltung haben wir alles komplett automatisiert. Jedes Produkt hat eine Buchungsnummer. Wenn es zum ersten Mal bestellt und geliefert wird, lädt ein externer Anbieter die Rechnung ins System, unsere Mitarbeiterinnen kontrollieren sie und geben sie frei. Ab da weiß das System, wie es Butter, Radicchio oder sonst etwas zu verbuchen hat und agiert vollkommen automatisiert. Wir müssen keine Rechnung mehr anfassen.

Die Maschine ersetzt den Menschen?

Nein, nein, nein. Darum geht es nicht. Aber wir müssen die entscheidende Frage beantworten: Was können Menschen, das Roboter nicht können? Unsere Antwort lautet: Kreativität und Strategie können Roboter nicht, das ist uns Menschen vorbehalten. Also müssen wir die Menschen soweit es geht von Arbeit entlasten, die Maschinen erledigen können, damit sie frei werden für kreative, empathische und strategische Arbeit. Wir wollen unseren Gästen das angenehmste Ambiente bieten und ihnen schöne Stunden schenken. Wir möchten der Lieblingsort für jeden unserer Gäste sein, das ist unsere Mission. Darauf muss unsere ganze Kraft gerichtet sein, nicht darauf, automatisierbare Aufgaben krampfhaft von Menschen machen zu lassen.

Aber natürlich hat die Automatisierung auch einen betriebswirtschaftlichen Effekt. Zum einen sparen wir Bürofläche und, ja, auch Personalkosten in der Verwaltung. Die Fixkosten, die wir aus der Wertschöpfung der Restaurants stemmen müssen, sinken deutlich. Das hat uns nicht zuletzt in den vergangenen Monaten mit Pandemie und Lockdown enorm geholfen. Fast noch wichtiger ist aber, dass wir mithilfe der Software eine betriebswirtschaftliche Analyse in Echtzeit haben. Wir sehen sofort, ob Umsatz und Kosten im richtigen Verhältnis stehen oder ob wir nachjustieren müssen. Ein riesiger Vorteil, denn normalerweise wissen Gastronomen frühestens Mitte des Folgemonats, wie der Monat zuvor gelaufen ist und ob Anpassungen nötig sind. Die dann aber eventuell zu spät kommen oder wieder nicht passen, weil sich die Lage schon wieder geändert hat. Wir können auf den Punkt genau agieren. Das spart Geld und verbessert das Ergebnis.

Wir möchten der Lieblingsort für jeden unserer Gäste sein. Darauf müssen wir unsere ganze Kraft richten, nicht darauf, automatisierbare Aufgaben krampfhaft von Menschen machen zu lassen.

Expansives Wachstum sei nicht Ihr oberstes Ziel, haben Sie gesagt. Wohin wollen Sie mit Purino noch, wenn es nicht um die schiere Zahl von Restaurants geht?

Auch, wenn das etwas abgedroschen klingt: Wir wollen etwas zurückgeben. Im Moment bauen wir auf der grünen Wiese eine Inkubator-Food-Halle auf. Dort wollen wir zum einen die Produktentwicklung vorantreiben, zum anderen aber soll der Inkubator dabei helfen, Wissen zu transportieren. Wir wollen damit Räume öffnen, in denen sich Menschen entwickeln können. Sei es, dass MitarbeiterInnen oder Lieferanten oder andere Menschen aus unserem Netzwerk sich dort zu Franchise-Partnern weiterbilden, sei es, dass dort ganz andere Dinge passieren. Nehmen wir an, ein paar junge Leute haben ein Konzept für ein mexikanisches Restaurant. Dann können sie dort ein paar Monate lang dieses Konzept testen, in einer Art Pop-up-Restaurant. Und wir begleiten sie dabei, beraten und unterstützen sie. Am Ende stehen vielleicht ein überarbeitetes, praxiserprobtes Konzept und eine Unternehmensgründung. Oder die Menschen machen doch etwas ganz Anderes. Denn das ist mir wahnsinnig wichtig: Menschen dabei zu helfen, das zu finden, was sie wirklich ausfüllt. Neue Wege, neue Denkweisen eröffnen. Das ist es, worum es bei der Digitalisierung eigentlich geht.

Ich dachte, es geht um technologisch unterstützte Effizienz.

Unser Beispiel mit der vollautomatisierten Buchhaltung oder der Personaleinsatzplanung über die Kasse zeigen, dass Effizienz eine wichtige Rolle spielt, natürlich. Aber es macht eben auch deutlich, dass es heute um etwas anderes geht. Jahrzehntelang galt: Expertentum und Fachwissen machen erfolgreich beziehungsweise sind der Schlüssel zum Erfolg. Das gilt heute so nicht mehr. Du kannst der beste Buchhalter auf der Welt sein – die Maschine kann es mindestens genauso gut, schneller und kostengünstiger. Was sie nicht kann, ist denken, Visionen entwickeln, gemeinsam mit anderen kreativ und innovativ sein. Das können nur Menschen, das zeichnet uns aus.

Das ist mir wahnsinnig wichtig: Menschen dabei zu helfen, das zu finden, was sie wirklich ausfüllt.

Wir müssen mit Neuem, mit Unvorhergesehenem umgehen und darauf reagieren. Corona hat uns deutlich vor Augen geführt, dass alles ganz schnell anders sein kann, als wir es uns jemals vorstellen konnten. Worauf es heute und in Zukunft ankommt, ist, dass wir uns anpassen, dass wir schnell auf Ungeplantes reagieren können. Das ist im Kern eine Frage unserer Haltung zur Welt. Bis vor kurzem galt: Wir lernen etwas und perfektionieren das dann mithilfe jahrelanger Übung, bis wir es quasi im Schlaf können. Aber Wiederholung allein hilft uns nicht mehr weiter. Wir müssen bereit sein, Gewohntes auf einmal ganz anders zu machen oder gleich etwas ganz Anderes zu machen. Dieser Schritt raus aus Routinen ist für viele sehr schwer. Wir brauchen dabei Unterstützung. Und das ist, was Führung ausmacht – Menschen auf dem Weg von Routinen zur Flexibilität zu begleiten und zu stützen.

Die Menschen haben versucht, ihr Bestes zu geben, und auf einmal scheint es wegen all der Veränderungen, sie hätten alles falsch gemacht. Haben sie aber nicht. Das muss man ihnen immer wieder klar sagen.

Das berühmte „Die Menschen mitnehmen“.

Es ist viel mehr als dieses Schlagwort. Für viele langjährige MitarbeiterInnen bedeutet das, was ich beschrieben habe, puren Stress. Weil es sie und ihr Handeln in der Vergangenheit in Frage stellt. Die Menschen haben versucht, ihr Bestes zu geben, und auf einmal scheint es, sie hätten alles falsch gemacht. Haben sie aber nicht. Das muss man ihnen immer wieder klar sagen, sonst schwindet das Vertrauen in die Führung und das Unternehmen rapide. Ein Unternehmen und seine MitarbeiterInnen müssen ihre Denkstrukturen verändern, weil sich die Welt ändert, in der sie agieren. Das ist ein jahrelanger Prozess, der eben nicht nur die Menschen betrifft, sondern auch die Organisationen. Es geht nicht um irgendeine Bringschuld der MitarbeiterInnen, die jetzt bitteschön ganz schnell alle flexibel und anpassungsfähig werden sollen. Digitalisierung ist nicht die Einführung irgendwelcher Technologien und Systeme. Digitalisierung bedeutet eine andere Art, mit der Welt zu interagieren. Doch darüber machen sich die meisten Führungskräfte zu wenige Gedanken. Dabei ist das die größte Herausforderung von allen.