Agilität

Instabilität ist die Lösung, nicht das Problem

Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: VUKA.

VUKA – ja klar, aber: Wo liegt eigentlich das Problem?
VUKA – ja klar, aber: Wo liegt eigentlich das Problem?

Ist VUKA eine zulässige Beschreibung?

Diese Abkürzung hat Karriere gemacht: VUKA. Sie steht für eine Welt, in der nix fix ist und die uns ganz schön zu schaffen macht. VUKA steht für Umweltbedingungen, die „volatil, unsicher, komplex und ambuige“, also uneindeutig sind. Sie fehlt in kaum einem Managervortrag und auch Fachbeiträge greifen auf sie gerne zurück.

VUKA ist ein Schlagwort, das uns nicht wirklich hilft, uns in der Wirtschaftswelt besser zurechtzufinden. Die Fragestellungen aber, die dahinter liegen, sind relevant und hochaktuell.

Ob VUKA jetzt eine zulässige Beschreibung unser aller Wirklichkeit in Unternehmen ist, wird nicht wirklich diskutiert. Der Begriff kommt aus dem militärischen Bereich und wurde auf das Management von Unternehmen übertragen. Die Formel trifft auf jeden Fall das Gefühl der meisten Menschen, die unsere Welt als zunehmend instabil und unübersichtlich empfinden. Und dieser Einschätzung schließe ich mich an – frage aber: Wo ist das Problem?

Krisen prägen unseren Alltag

Denn Unternehmen so aufzustellen, dass sie auch Turbulenzen überstehen – seien es Krisen am Finanzmarkt (Lehman) oder Seuchen (SARS, Corona, Ebola), seien es Verwerfungen auf Märkten oder in Branchen (Disruption), seien es Unsicherheiten darüber, wie es weitergeht, wenn bewährte Konzepte und Praktiken nicht mehr greifen („the new normal“) – ist schon immer Managerpflicht.

Und meine Erfahrung als Interim- und Turnaroundmanager, der in vielen Unternehmen schon Kriseneinsätze geleistet hat, ist: Mit all diesen Herausforderungen kommen jene Unternehmen am ehesten klar, deren Organisation und deren Menschen die Krise als Normalfall behandeln. Ja mehr noch, die sogar milde Krisen gezielt herbeiführen. Klingt absurd? Ist es nicht.

Vier Hebel zu mehr Krisenresistenz

Wie also werden Firmen krisenresistent? Aus meiner Sicht bedarf es dazu dieser vier Voraussetzungen:

  1. Abgeklärte Führungskräfte, die sich mental und praktisch auf Krisen vorbereiten, um nicht zu erstarren, wenn die Krise eintritt.
  2. Ein Management, das die Organisation immer wieder mit Herausforderungen und Ungewohntem konfrontiert, um sie wie bei einer Impfung zu infizieren und dadurch gegen Krisen zu immunisieren.
  3. Eine Belegschaft, die hellwach ist und sich auf kreative Unruhe freut.
  4. Prozesse und Spielregeln, die sich nur auf das Notwendigste konzentrieren und damit ebenso robust wie krisentauglich sind.

In anderen Worten: Wir brauchen Unternehmen, die im Alltag Instabilität gezielt suchen, auch wenn es einiges an Effiizienzgewinnen kostet. Erst so werden sie robust genug, um auch die großen Krisen zu bewältigen. Das geschieht durch Initiativen (seien es in der Produktentwicklung, in den Prozessabläufen, in der Zusammenarbeit), die immer wieder Gewohntes in Frage stellen und Manager wie Mitarbeiter aus der Komfortzone reißen.

Wie Firmen sich wappnen

Was bedeutet das aber für das Wohlbefinden und die Leistungskraft der Menschen in den Unternehmen? Brauchen wir nicht alle Phasen der Ruhe und Stabilität, um für die nächste Herausforderung gewappnet zu sein? Ich sehe das so: Wer sich in falscher Ruhe und Stabilität ausruht, wird es beim Eintritt der nächsten Krise umso teurer bezahlen. Denn Krisen suchen uns immer häufiger heim, sie sind das „new normal“.

Deshalb gilt für mich, was Benjamin Franklin so schön ausgedrückt hat: „Wenn du scheiterst dich vorzubereiten, dann bereitest du dein Scheitern vor.“

Ein abschreckendes Beispiel

Am meisten erschreckt hat mich in meiner Laufbahn ein Medizintechnikunternehmen, das für seine Produktions- und Qualitätssicherungsprozesse keinerlei Back-up kannte. Ein Softwareproblem führte zu drohenden Versorgungsengpässen für Patienten weltweit. Dem schnell anwachsenden Backlog an zu lösenden Problemen erwies sich niemand gewachsen: Weder das Management noch die Mitarbeiter noch die Spezialisten, in deren Fachgebiet die Probleme fielen. Niemand war auf diese Situation vorbereitet – weder emotional noch prozessual.

Krisen zu managen ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – und Instabilität ist dabei nicht das Problem, sondern die Lösung.

Die Folge: Eine Hochleistungsorganisation aus guten Tagen verwandelte sich binnen Stunden in einen aufgeschreckten Hühnerhaufen. Da half dann nur eines: All das mit der Brechstange zu implementieren, was in ruhigeren Tagen hätte eingeführt und eingeübt werden müssen.

  • Zum Beispiel die Fokussierung auf das Wesentliche, nämlich die Lieferfähigkeit zum Kunden. Auch wenn es teuer kam.
  • Oder die Aufstellung von Notfallplänen und Verfahrensregeln im Krisenfall.
  • Nicht zu vergessen: Die Arbeit mit verunsicherten und in Routinen gefangenen Managern wie Mitarbeitern. Hier waren unzählige Einzel- und Gruppengespräche nötig, damit sie den Ausnahmezustand akzeptieren und bewältigen lernen und wieder handlungsfähig werden.

Krise muss man können, heute mehr denn je

Deshalb: VUKA ist ein Schlagwort, das uns nicht wirklich hilft, uns in der Wirtschaftswelt besser zurechtzufinden. Die Fragestellungen, die hinter der Formel liegen, sind dagegen relevant und hochaktuell. Krisen zu managen ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – und Instabilität ist dabei nicht das Problem, sondern die Lösung. Wer diese Aufgabe unaufgeregt annimmt, wird sehen, dass es gar nicht so schwer ist.