Talent Management

Die Führungskraft als Coach? Nett gemeint, aber danke nein!

Kommentar Moderne Führungsansätze haben das Ziel, Mitarbeiter sinngetrieben und bestenfalls lange und zielgerichtet in der Organisation zu halten. Die Rede ist von der Führungskraft als Coach. So einfach ist das nicht.

ChefIn und Coach gleichzeitig? Das sorgt eher für bad vibes. Photo by MARK ADRIANE on Unsplash
ChefIn und Coach gleichzeitig? Das sorgt eher für bad vibes. Photo by MARK ADRIANE on Unsplash

Entweder Chefin oder Coach

Immer wieder stoße ich auf den löblichen Ansatz, dass Führungskräfte zugleich als Coaches für die MitarbeiterInnen fungieren sollen, auf Augenhöhe und nur an deren Weiterkommen orientiert. Das klingt verlockend. Schließlich fordern Mitarbeiter individuelle Führung, gepaart mit einer regelmäßigen Portion Aufmerksamkeit und der Chance auf Weiterentwicklung am Arbeitsplatz. Was nach einem perfekten „social fit“ klingt – die eine möchte mehr Aufmerksamkeit und Weiterentwicklung, die andere gibt sie ihr als persönliche Begleiterin und Potentialentwicklerin – wird früher oder später scheitern. Wenn es überhaupt je funktioniert.

Eine Führungskraft hat Macht, ob sie es will oder nicht. Auch in noch so flachen und dynamischen Hierarchiegebilden verfügt sie zumindest über eine formale Macht.
Stefan Kermas

Warum? Für beide Seiten birgt diese Rollen-Konstellation Gefahren. Ich sehe Coaches als unabhängige Unterstützungsfiguren, die keine eigenen (Unternehmens-)Interessen verfolgen, sondern allein dem Auftrag des Coachees verpflichtet sind.

Halten wir fest: Eine Führungskraft hat Macht, ob sie es will oder nicht. Auch in noch so flachen und dynamischen Hierarchiegebilden verfügt sie zumindest über eine formale Macht. Am Ende hat sie doch über das Wohl des Mitarbeiters zu entscheiden. Man denke hierbei an Leistungsbewertungen jedweder Form, Potentialeinschätzungen zur weiteren Jobbeschreibung, Perspektiven in der Stellenentwicklung, Übernahme von Verantwortungen und so weiter. Die Führungskraft hat eine klare Wirkung auf den Mitarbeiter hinsichtlich Position und Karriere in der Organisation.

Potenziell gefährliche Offenheit

Widmet sich nun die Führungskraft in der allerbesten Absicht ihrer Mitarbeiterin, um mit dieser klarer, enger, zielgerichteter und regelmäßiger an deren Potentialentwicklung zu arbeiten, beginnt das Paradox. Sobald es nämlich an persönliche Themen geht, an Ängste, Ziele, Erfahrungen, private Probleme, Erwartungen etc., setzen sich zwei Dynamiken in Gang. Einerseits meint es die Führungskraft womöglich wirklich gut mit seinem Gegenüber. Dieses spürt auch das Interesse an seiner Person, erfährt Wertschätzung, und auch die gestellten Fragen treffen genau den Punkt seiner Bedürfnisse. Gleichzeitig weiß die Mitarbeiterin aber, und kann es auch nicht ausblenden, dass sie mit der Vorgesetzten spricht. Sie kann bei aller Zugewandtheit der Chefin, aller Empathie und spürbarem Interesse nicht vollkommen sicher sein, dass die Interessen der Chefin und es Coach immer in dieselbe Richtung laufen. Denn natürlich sind die Interessen am Ende doch nicht deckungsgleich.

Am Ende entscheidet die Führungskraft über die berufliche Zukunft der MitarbeiterInnen. Das macht Coaching ohne Eigeninteresse quasi unmöglich.
Stefan Kermas

Kann in diesem Spannungsfeld also eine wirklich freie Arbeit in den Bereichen Persönlichkeitsentwicklung und Potentialentfaltung stattfinden? Kann sich die MitarbeiterIn einem Menschen öffnen, über Stärken, Schwächen und Ziele ehrlich sprechen, wenn tief verankert doch das Bewusstsein vorhanden ist, dass die andere Person im Ernstfall über das berufliche Fortkommen (mit)entscheiden wird?

Sicherlich mag es Konstellationen geben, in denen aufgrund der gewachsenen persönlichen Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder der historisch bedingten Organisationskultur eine bedingungslose Offenheit ohne Rücksicht auf Konsequenzen vorherrscht. Wo das der Fall ist, sind alle eingeladen, sich in den beschriebenen Doppel-Rollen zu üben. Alle anderen sollten davon die Finger lassen. Hier gilt: „Gut gemeint, aber nicht gut zu Ende gedacht“.

Mentaltrainerin statt Cheftrainerin

Im professionellen Mannschaftssport wird das beschriebene Paradox seit Jahren anders gelöst. Denn auch hier entscheiden die TrainerInnen über die Nominierung und Einsatzzeit der SportlerInnen. Gleichzeitig sind sie bestrebt, die SportlerInnen individuell zu unterstützen, damit sie das Maximum aus sich herausholen können. Persönliche Coaching-Ansätze erscheinen deshalb in der Theorie hilfreich. Eine AthletIn kann sich einer Mannschaftstrainerin wegen derer formaler „Nominierungs-Macht“ aber nicht gänzlich öffnen. Denn immer steht die Gefahr im Raum, dass sie ihre eigene Nicht-Nominierung zu betreiben. Zum Beispiel wird sich die AthletIn bis zu einem gewissen Grad selbst immer als fit und einsatzbereit bezeichnen, manchmal sogar wider besseres Wissen.

Wer die "Nominierungs-Macht" hat, kann nicht objektiv die Persönlichkeitsentwicklung fördern.
Stefan Kermas

Die Rolle eines potentialentfaltenden Coaches übernehmen im Mannschaftssport daher häufig die AssistenztrainerInnen oder ein dem Team angebundener und trotzdem autonomer Sport-PsychologInnen. Sie haben keinen Einfluss auf die Nominierung, sondern allein ein Interesse an der Entwicklung der SportlerInnen.

Zwar gehört auch die AssistenztrainerIn zum Team, doch sie entscheidet nicht endgültig über die Nominierung oder Einsatzzeiten im Spiel. Dies obliegt (in den meisten Fällen zumindest) der CheftrainerIn. Diese kann machen, was sie für richtig hält. Mit einer gewissen Distanz auf der emotionalen Ebene. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, würde Jürgen Klopp wahrscheinlich augenzwinkernd einwerfen.