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Vertrauenskrise: Jetzt geht’s ums Ganze

Kommentar Wir erleben eine tiefgehende Vertrauenskrise. Alle misstrauen allen. Wir müssen dringend zurück in eine Welt, in der wir einander wieder vertrauen, mahnt Randolf Jessl. Dazu gehören Offenheit, Ehrlichkeit und Nähe. Und vor allem: Wir müssen liefern und täglich beweisen, dass das Vertrauen in uns gerechtfertigt ist.

Foto: Joshua Hoehne on Unsplash
Foto: Joshua Hoehne on Unsplash

Der Absturz

Das müssen wir erfolgsverwöhnte Deutsche erst einmal verdauen. Wir sind in der Erhebung 2022 des Edelman Trust Barometers die „biggest loser“. Um sieben Prozentpunkte sind wir gegenüber 2021 abgerutscht und landen damit in der Zone des grundsätzlichen Misstrauens, wenn es um die wesentlichen Institutionen unseres Gemeinwesens geht: Regierung, Unternehmen, Medien, NGOs.

Der Rückgang des Edelman Trust Barometers 2022 ist ein Alarmsignal, das niemand überhören sollte.

Dieser Absturz war selbst den Machern dieser Studie  nicht geheuer – und die Verantwortlichen von Edelman haben im Januar noch einmal eine Ad-hoc-Umfrage nachgeschoben. Schließlich war zum Zeitpunkt der Erst-Erhebung im November noch Regierungsbildung angesagt und einiges im Unklaren.

Das Edelman Trust Barometer ist ein Alarmsignal

Der „Post Election Flash Poll“ ergab, dass Deutschland wieder vier Prozentpunkte zulegte und sich knapp in die „neutrale Zone“ rettete. Dorthin, wo weder ausgeprägtes Vertrauen noch ausgeprägtes Misstrauen herrschen. Auch wenn wir Deutsche uns grundsätzlich in diesem Niemandsland ganz wohlfühlen: Der Rückgang des Edelman Trust Barometers 2022 ist ein Alarmsignal, das niemand überhören sollte.

Vertrauen ist das Lebenselixier unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft. Unsere Demokratie, unsere Unternehmen, unsere Teams können ohne Vertrauen nicht funktionieren. Bei uns regiert, auch wenn lautstarke Minderheiten das gerade anders sehen, kaum jemand durch. Wir suchen den Konsens, lassen abweichende Meinungen zu und setzen darauf, dass andere unserem Sachurteil und unserem Kurs freiwillig folgen.

Wir zweifeln aus Prinzip an Fakten, Expertise und Autorität

Wenn wir in Deutschland Erfolg haben wollen, müssen wir unseren Institutionen, unseren Entscheidungsträgern, unseren Expertinnen und unseren Mitmenschen trauen – und immer wieder uns ihnen überantworten: nicht unkritisch, aber aus Überzeugung. Doch das gelingt uns immer weniger.

Wenn wir nicht wieder zu vertrauen lernen, können wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft gleich dicht machen.

Wer Umfragen nicht mag, kann auch einfach um sich schauen: Allerorten wird Autorität verächtlich gemacht, werden Fachleute und Führungspersonal infrage gestellt, wird mit alternativen Fakten und Fake News Zweifel gesät an dem, was ist. Selber-Denken, Quer-Denken, Rebellieren heißt die Devise. Fast schon aus Prinzip. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir eine Ahnung haben oder nicht, ob es Unterjochung gibt oder nicht. Anderen folgen, sich ihnen anzuvertrauen, scheint nirgends so out wie bei uns.

Wie sich Deutschland im Licht des Trust Barometers präsentiert

Das spiegelt sich für mich auch im Trust Barometer. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich dabei dieses Bild:

  • Anders als im globalen Trend trauen die Befragten in Deutschland allen abgefragten Institutionen deutlich weniger als in den Vorjahren (in anderen Ländern verlieren nur Regierungen und Medien an Vertrauen).
  • Immerhin nehmen die Deutschen aber die Unternehmen und die NGOs als Kräfte wahr, die unser Gemeinwesen zusammenhalten und nicht spalten.
  • Bestürzend ist, dass die Befragten die Wirtschaftswelt weder als ethisch engagiert noch als kompetent wahrnehmen. 45 (in der Nachbefragung sogar 48) Prozent der Befragten gaben an, dass Entscheider:innen der Wirtschaft sie gezielt in die Irre führten durch unwahre Behauptungen oder krasse Übertreibungen.
  • CEOs bilden in der abgefragten Liste der Eliten das Schlusslicht an Vertrauenswürdigkeit, auf Augenhöhe mit Regierungsvertreter:innen und knapp hinter Journalist:innen. „Mein persönlicher CEO“ dagegen landet im Mittelfeld und beweist damit …
  • … dass Vertrauen eine Frage der Nähe ist. Menschen, die einem nahestehen, die berechenbar und greifbar sind, genießen generell höheres Vertrauen als abgehobene, distanzierte Amts- und Würdenträger.
  • Zu guter Letzt: Während im Spiegel des Trust Barometers in Deutschland alle allen misstrauen, genießen Firmen, die ihre Zentrale in Deutschland haben, bei Befragten aus aller Welt das größte Vertrauen. Auch das ein sehr deutscher Befund.

Was wir in unseren Unternehmen zur Vertrauensbildung tun können

Was aber bedeutet das für unsere Unternehmen und alle, die in ihnen arbeiten? Für mich sind es vier Bereiche, in denen wir der Vertrauenskrise dringend entgegenwirken müssen:

  1. Fundiert und aufrichtig kommunizieren
  2. Nähe suchen und herstellen
  3. Konkret handeln und liefern
  4. Vertrauen wieder vorleben

Zu Punkt 1: Wir müssen klar, aufrichtig und sachgerecht kommunizieren, auch in unseren Unternehmen, auch in heiklen innerbetrieblichen wie gesamtgesellschaftlichen Themen. Fundierte Information stellt Vertrauen her, das zeigt eine Auswertung der Edelman-Daten im Detail. Und gerade die oder der CEO hat hier eine besondere Verantwortung.

Zu Punkt 2: Wir müssen das Auseinanderdriften unserer Gemeinschaften stoppen, wieder Orte der Begegnung schaffen, Diskussionen wieder Angesicht-zu-Angesicht führen und „walk the talk“ betreiben. Wer Gründe sucht, warum das Homeoffice mit Blick auf Vertrauen und Zusammenhalt am Arbeitsplatz nicht die beste Lösung ist, wird hier fündig.

Wer Vertrauen dafür will, dass sie oder er das Richtige tut, muss dies möglichst oft unter Beweis stellen.

Zu Punkt 3: Vertrauen und Ansehen erwerben sich Institutionen und Personen auch dadurch, dass sie liefern. Wir müssen zeigen, dass unsere Pläne funktionieren, dass die Pandemie mit unseren Mitteln gebändigt, der Markt mit unserem Angang geknackt, die Stimmung im Unternehmen mit unserem Changeprojekt besser wird. Oder in den Worten der Umfrage: Wer Vertrauen dafür will, dass sie oder er das Richtige tut, muss dies möglichst oft unter Beweis stellen.

Zu Punkt 4: Wir müssen Vertrauen vorleben – auf allen Ebenen. Vertrauen ist nicht nur eine Holschuld derer, die es sich in Führungs- oder Expertenfunktionen verdienen müssen. Es ist auch eine Bringschuld jener, die sie diesen Personen schenken.

Wieder zu vertrauen lernen – eine Übung auch am Arbeitsplatz

Deshalb braucht es jetzt vor allem eine Änderung unserer Haltung. Können wir bei allem Stolz aufs Selber-Denken uns auch anderen anvertrauen? Können wir Autorität wertschätzen und akzeptieren? Sind wir bereit das Risiko einzugehen, enttäuscht zu werden oder Nachteile zu erleiden, wenn wir dem falschen Rat oder der falschen Person vertraut haben?

Vertrauen ist nicht nur eine Holschuld derer, die es sich in Führungs- oder Expertenfunktionen verdienen müssen. Es ist auch eine Bringschuld jener, die sie diesen Personen schenken.

Unser Unternehmensalltag bietet dafür mannigfaltige Anlässe, für Führende wie Mitarbeitende gleichermaßen: „Ich vertraue darauf, dass du auch zuhause die Sachen erledigst; dass ihr die richtige Entscheidung trefft; dass deine Strategie aufgeht; dass du dich für unsere Sache einsetzt ...“

Mein Gefühl ist, dass uns das von Jahr zu Jahr schwerer fällt und Edelman das nur in Zahlen gießt. So kann es nicht weitergehen! Wenn wir nicht wieder zu vertrauen lernen, können wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft gleich dicht machen. Jetzt geht’s ums Ganze.