Digitalisierung Aufbrecher

„Traut Euch! Probiert Tools einfach aus“

Interview Die Pandemie hat mobile Arbeit für viele zum Standard gemacht. Und die Haltung vieler Menschen zu neuen Formen der Arbeit verändert. Dahinter können wir nicht mehr zurück, meinen Anna Kaiser und Jana Tepe von Tandemploy.

Kein Weg zurück zum Status quo vor Corona. Aber auch keine Verdammung von allem, was vor der Pandemie galt. Das meinen Anna Kaiser (rechts) und Jana Tepe.
Kein Weg zurück zum Status quo vor Corona. Aber auch keine Verdammung von allem, was vor der Pandemie galt. Das meinen Anna Kaiser (rechts) und Jana Tepe.

Es gibt eine Studie von Microsoft und BCG aus dem Oktober. Derzufolge hatten vor Corona nur 15 Prozent der europäischen Unternehmen Erfahrung mit mobiler und hybrider Arbeit. Jetzt sind es 70 Prozent. Habt Ihr eine Idee, weshalb im Jahr 2020 neue Formen der Arbeit für die riesige Mehrheit etwas völlig Unbekanntes waren?

Anna Kaiser: Die Zahl spiegelt ganz gut wider, was wir im Alltag bis Februar 2020 erlebt haben. Ganz viele Unternehmen hatten bis Corona schlicht keine wirklich flexible Arbeit angeboten. Mit wirklich flexibel meine ich: Ich kann an meinem Küchentisch arbeiten, im Café, im Ferienhaus an der Ostsee, wo auch immer. Ich sage nicht, dass das immer gesund und vorteilhaft ist, aber dass es die Möglichkeit gibt, irgendwo zu arbeiten, unabhängig von einem bestimmten Ort, das war für die allermeisten Menschen und Unternehmen etwas radikal Neues. Für viel mehr Menschen und Unternehmen, als wir vielleicht gedacht hatten. Klar haben die meisten gesagt „Homeoffice? Haben wir“. Aber mobile Arbeit wurde nicht richtig anerkannt, und oft haben die, die es gemacht haben, scheele Blicke geerntet.

Mobile Arbeit erfordert vor allem eins: Vertrauen. Führungskräfte müssen vertrauen, dass das, was man nicht sieht, trotzdem stattfindet, nämlich Arbeit.  

Jana Tepe: Man brauchte einen Grund, so etwas wie Handwerker im Haus oder ein krankes Kind. Oft mussten Menschen sich absurde Dinge ausdenken, um von der Präsenzpflicht abzuweichen. Und immer musste man sich rechtfertigen. Das hat sich einfach grundlegend geändert. Die genannten Zahlen sprechen deutlich dafür.

Digitalisierung als Schlüssel zum Erfolg
Die Hoffnungen der Unternehmen ruhen auf einer noch weitergehenden Digitalisierung – der Zusammenarbeit im Unternehmen, aber auch der Kernprozesse. Das zeigt die Sonderauswertung Digitalisierung der Studie "Wir nach Corona" von Haufe. Wichtig: Die Menschen sind sich einig, dass Digitalisierung nur erfolgreich sein kann, wenn gleichzeitig Strukturen in der Organisation und Führung weiterentwickelt werden.
Zur Sonderauswertung "Digitalisierung nach Corona"

Mit Hauruck ins Neuland quasi. Was sind aus Eurer Erfahrung die Hauptfragen, die Unternehmen stellen, wenn es um flexible, um neue Arbeit geht?

Jana Tepe: Es gibt eine Vielzahl von Herausforderungen, vor denen Unternehmen stehen, aber ich denke, die größte besteht im Kopf. Diesen Schalter umzulegen und zu denken, dass Arbeit auch anders funktionieren kann, flexibler. Nicht nur ortsunabhängiger, sondern auch zeitunabhängiger: Wir erleben doch gerade, dass Menschen gezwungenermaßen ihre Arbeit über den Tag verteilen, so, wie es zu den anderen Anforderungen – Kinderbetreuung, Haushalt etc. – passt. Und dass das trotzdem nicht unproduktiv macht, sondern im Gegenteil produktiver. Das zeigen die genannte Studie und andere Erhebungen ja deutlich. Diese Erfahrungen waren für viele Menschen ein harter Schnitt zu dem, was vorher als fester Glaubenssatz galt, nämlich dass Arbeit nur im Büro wirklich funktioniert. Mobile Arbeit erfordert vor allem eins: Vertrauen. Führungskräfte müssen vertrauen, dass das, was man nicht sieht, trotzdem stattfindet, nämlich Arbeit. Und zwar mit einem mindestens gleich guten Ergebnis. Dieses Vertrauen aufzubauen und den Schalter umzulegen, braucht Zeit. Und wahrscheinlich ist das die größte Herausforderung: Unternehmen müssen Prozesse und Strukturen, jahre- oder jahrzehntelang geübte Praktiken hinterfragen.

Anna Kaiser: Wir bemerken das an uns selbst. Wir haben seit sieben Jahren mit neuen Arbeitsformen experimentiert, super-flexibel, wie wir meinten. Wenn Du unsere Mitarbeiter*innen gefragt hättest, hätten die sicher gesagt, wir hätten das Maximum erreicht. Und doch hätten Jana und ich uns vor Corona nie herausgenommen, in der Geschäftsführung einfach mal vier Wochen von einem anderen Ort aus zu arbeiten. Das hätten wir schlicht nicht gemacht, beide an verteilten Orten und nicht im Büro zu sein. Und montags hatten wir immer ein Meeting im Büro, an dem alle teilgenommen haben. Das ist sehr wichtig für uns alle, und in gewisser Weise war es unvorstellbar, dass remote zu machen. Haben wir dann auch das Teamgefühl, war die Frage. Und dann hat uns Corona, obwohl wir schon so weit waren, noch einmal auf ein ganz neues Level gehoben.

Jana Tepe: In den letzten Monaten ist uns klar geworden: Wir wollen ein Büro. Als Begegnungsraum. Und gleichzeitig wollen wir noch flexibler werden, als wir es schon waren. Unser Ziel ist es, den Menschen zu ermöglichen, von überall auf der Welt zu arbeiten. Alles, was sie brauchen, ist eine stabile, leistungsfähige Internetanbindung. Wir haben uns also für eine hybride Struktur entschieden. Die hätten wir theoretisch viel früher haben können. Aber erst, als wir jetzt mit Corona erlebt haben, wie und was alles möglich ist, und dank all dem Ausprobieren und der Experimente, die war gezwungenermaßen gemacht haben, ist ein Mosaik aus vielen kleinen Steinchen entstanden, das uns gefällt. Das hat uns selber überrascht, weil wir ja dachten, wir hätten schon alles, was denkbar ist.

Anna Kaiser: Deshalb ist eben dieser Schalter im Kopf das Entscheidende, wie Jana sagt. Die Erkenntnis, dass es geht und welche Chancen das bietet. Und ganz wichtig ist auch zu wissen: Das ist ein andauernder Prozess. Nach dem Start merkt man, dass man Instrumente und Hilfsmittel braucht und führt Tools für die digitale Zusammenarbeit ein. Daraus ergeben sich neue Fragen zur Führung. Und das ist unglaublich spannend

Wie unumkehrbar sind diese Entwicklungen denn, die Ihr gerade beschrieben habt?

Jana Tepe: Ich denke, es gibt keinen Weg zurück. Gleichzeitig bin ich vorsichtig, denn natürlich gibt es zahlreiche Unternehmen, die sich sagen „Das war jetzt Corona und mobile Arbeit hat uns geholfen, die Pandemie zu überstehen. Jetzt ist es aber auch wieder gut damit“. Und die sobald wie möglich zurück wollen zu dem, das sie kennen. Dieses Denken nehme ich schon wahr in manchen Unternehmen, in denen die Führungskräfte sich die Präsenzkultur zurückwünschen und Mitarbeiter*innen auffordern, ins Büro zurückzukehren. Das halte ich für eine gefährliche Bewegung, denn ich bin mir sicher, dass die Menschen das nicht mit sich machen lassen. Dass sie sich empören und bei diesem Rückwärtssalto nicht mitmachen.

Es ist wichtig, dass wir das Alte nicht in Bausch und Bogen verdammen und sagen, es darf überhaupt nichts aus dem „alten Normal“ zurückkommen.

Anna Kaiser: Genauso wichtig ist aber, dass wir das Alte nicht in Bausch und Bogen verdammen und sagen, es darf überhaupt nichts aus dem „alten Normal“ zurückkommen. Die Menschen sehnen sich nach direktem persönlichen Austausch, nach menschlichen Kontakten. Auch wir beide können es kaum erwarten, wieder mit dem Team im Büro zu sein, in Workshops oder anderen gemeinsamen Aktionen, nach denen man sagt: Dieser Austausch war jetzt aber richtig gut und wäre digital in dieser Form einfach nicht möglich gewesen. An der Kaffeemaschine, beim After-Work-Bier ist es doch anders als in jeder noch so lockeren MS Teams- oder Zoom-Zusammenkunft. Das ist unbestritten.

Ich glaube nur, dass wir die positiven Effekte, die wir in den vergangenen Monaten gesehen und gespürt haben, unbedingt ins „neue Normal“ rüberretten sollten: die größere Flexibilität für die einzelnen Menschen, das Vereinbaren von Arbeit und Nicht-Arbeit, die stärkere Fokussierung auf die Arbeit im Homeoffice, die zahlreiche Studien belegen. Sonst passiert, was mit anderen vermeintlichen Trendthemen auch passiert ist: Dann heißt es aus dem Management „Das geht auch wieder vorbei. Damit müssen wir uns nicht ernsthaft beschäftigen“. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir flexible Arbeit, hybride Arbeit einfordern müssen und von denen, die zurück zum Status quo ante wollen, valide Argumente dafür hören wollen. Deswegen halte ich allein die Tatsache, dass so viele Menschen erlebt haben, wie Arbeit auch anders gehen kann, für einen wirksamen Katalysator.

Ihr sagt, Digitalisierung sei viel mehr, als Technologie einzuführen. Es gehe vor allem um ein neues Mindset. Aber kommt dieses neue Mindset ins Unternehmen? Man kann es ja nicht verordnen.

Anna Kaiser: Man kann den Menschen nicht anordnen, neu zu denken und sich kulturell zu verändern oder kollaborativer zu arbeiten. Der Schlüssel liegt für mich immer darin, dass Menschen die Chance haben, das Andere zu erleben. So, wie sie die andere Art des Arbeitens erleben seit einigen Monaten. Das setzt Kräfte frei, nur so können Unternehmen etwas Neues nachhaltig etablieren. Kulturwandel kann niemand von oben anordnen und durchsetzen, das muss von innen heraus wachsen. Genau das ist in vielen Fällen geschehen, allerdings weitgehend ungeplant und manchmal auch ungewollt. Aber genau auf diese Art ändert sich das Denken, ändert sich die Haltung. Und das erhöht den Druck auf die Unternehmen, die nicht mit neuen Strukturen, Verantwortungszuschreibungen und mehr Freiraum arbeiten. Denn es gibt jetzt kein stichhaltiges Argument mehr gegen flexibles Arbeiten.

In den letzten Monaten ist so viel wie selten über Vertrauen gesprochen worden wie selten zuvor. Weil Vertrauen, so hieß es in hundert von Artikeln, Podcasts und Blogbeiträgen, die conditio sine qua non für flexible Arbeit sei. Aber vertrauen und Kommunikation waren doch immer schon die Grundlage für erfolgreiche Führung.

Anna Kaiser: Das ist genau die Absurdität, die Corona aufgedeckt hat. Seit Jahren diskutieren wir darüber, dass es nicht zum Erfolg führt, wenn man auf Präsenz setzt, nur weil man glaubt, Menschen brauchten Kontrolle, um gut zu arbeiten. Aus meiner Sicht haben dort Führungsprinzipien und Strukturen gegolten, die ganz einfach falsch waren. Und da bin ich Corona fast dankbar, dass die Pandemie einige gezwungen hat, Führung anders zu leben. Ohne die Pandemie wäre das sicher noch Jahre weiter gegangen. Ich kenne zahlreiche Führungskräfte, die sich heute sagen „Was habe ich mir mit der permanenten Kontrolle für einen Stress gemacht?“. Die vergangenen Monate haben nicht nur Arbeitnehmer*innen gezeigt, dass sie anders arbeiten können. Auch bei Führungskräften und im Management hat es einen Erkenntnisgewinn gegeben. Wie bei Jana und mir. Wir lernen nie aus und können uns immer weiterentwickeln. Und verändern.

Die vergangenen Monate haben nicht nur Arbeitnehmer*innen gezeigt, dass sie anders arbeiten können. Auch bei Führungskräften und im Management hat es einen Erkenntnisgewinn gegeben.

Diese Erfahrung ist wichtig, denn die Digitalisierung mit allem, was damit zusammenhängt, hört ja nicht mit dem Ende der Pandemie auf. Äußere Veränderungen bleiben Teil unseres Lebens und erfordern immer Anpassungen und innere Veränderungen. Jetzt wissen wir, dass wir damit umgehen können. Es geht nicht darum zu sagen, das war es jetzt, so muss es bleiben. Sondern es geht darum immer wieder zu fragen, welche Möglichkeiten stehen uns offen? Wie können wir den Fokus auf den Menschen richten? Und eines ist mir ganz wichtig: Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht alle Menschen mehr oder weniger schmerzfrei ins flexible und mobile Arbeiten gewechselt haben. Nicht alles geht aus der Ferne, für bestimmte Dienstleistungen und Produktionen brauchst Du Menschen an Ort und Stelle. Es muss in Zukunft auch darum gehen, diesen Menschen mehr Beweglichkeit, mehr Indiviualität in der Arbeitsgestaltung zu ermöglichen, im Rahmen des Machbaren. Umso wichtiger ist es, dass diejenigen, die neues Arbeiten leben können, das auch tun. Um auf diese Weise gesamtgesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und nicht in einer Blase hängen zu bleiben.

Ihr habt gesagt, das Erleben sei der Schlüssel zum erfolgreichen Wandel. Heißt das, ich stelle den Leuten eine Software zur Verfügung und dann läuft das schon? Oder braucht es da Führung und eine Strategie?

Jana Tepe: Im Idealfall hat das Unternehmen einen Plan, wie es ein Tool einführt, egal ob Videotelefonie, ein Collaboration Tool oder eine andere Software. Genauso hilfreich ist ein definierter Rahmen, innerhalb dessen die Software genutzt werden soll. Und wenn Spielregeln festgelegt werden. Wir merken das bei uns selbst. Wir sind 30 Leute und nutzen Slack, wir nutzen MS Teams. Es hilft sehr, wenn wir genau wissen, wozu und mit welchem Ziel wir das tun. Was wollen wir konkret damit verbessern? Welche Kommunikation wollen wir darüber abbilden? Wenn diese Grundlagen klar sind, erhöht das die Effizienz und Effektivität der Tools. Das gilt besonders dann, wenn mit dem Tool die Mitarbeiter*innen Dinge übernehmen, die bis dahin von den Führungskräften geregelt wurden, zum Beispiel Weiterbildungen. In dem Fall muss erst einmal klar kommuniziert werden, warum das Tool eingeführt wird und warum auf einmal die Mitarbeitenden am Zug sind. Es geht darum, den persönlichen Nutzen für jede Einzelne herauszustellen. Irgendwann spricht sich das herum und die kritische Masse folgt den ersten Nutzer*innen. Aber die Kommunikation zu Beginn ist entscheidend. Sonst nutzt niemand das Tool, niemand kennt es und am Ende haben Unternehmen einen weiteren Datenfriedhof.

Heißt das, ich kann mir Kulturworkshops et cetera sparen, weil die Veränderung von ganz allein über die Nutzung kommt?

Jana Tepe: Solche Workshops können natürlich sinnvoll sein, nur würde ich nicht pauschal sagen, dass die eine permanente Einrichtung werden sollten. Es hilft, wenn es  ein zuständiges Projektteam gibt, das sich um das Thema kümmert, mögliche Hemmschwellen und Schwierigkeiten identifiziert, um sie aus dem Weg zu räumen. Genauso wichtig ist es, nach Unterstützern zu suchen, nach Menschen, die Lust auf da Neue haben, und mit denen zu arbeiten. Damit sie als Vorbild für andere dienen, die sich an ihnen orientieren. Begleitung braucht eine Software-Einführung immer.

Unser Appell an HR oder Geschäftsführung lautet: Traut Euch!

Anna Kaiser: Auf der anderen Seite muss man sagen, dass gute technologische Instrumente ja genau das tun: Verhalten ändern. Wir haben vor Jahren Slack eingeführt, weil ein Freund uns das empfohlen hat. Anfangs waren wir skeptisch, denn wir hatten ja E-Mail. Und dann haben wir angefangen, Slack zu nutzen und haben sofort gemerkt: Das verändert die Art, wie wir arbeiten. Keine E-Mails mehr mit Riesenverteiler, und alle antworten immer an alle. Sondern gezielte effektive Kommunikation. Und doch so transparent, dass alle, die etwas wissen wollen, daran teilhaben können. Wir erleben das auch immer wieder, wenn Unternehmen unsere Software einführen. Mit der Nutzung kommt die kulturelle Veränderung. Zusammenarbeit wird zum Standard, Wissensaustausch auch. Und wenn jemand eine Frage hat, rennt der Mensch nicht mehr zur Führungskraft, sondern fragt als erstes die Kolleg*innen. Weil das Tool einen Raum dafür öffnet, der vorher nicht da war. Digitalisierung ist, richtig verstanden, ein Katalysator für einen nachhaltigen Kulturwandel. Und genau das sollte sie ja sein. Alles, was es braucht, ist die Bereitschaft, es einfach auszuprobieren. Unser Appell an HR oder Geschäftsführung lautet: Traut Euch! Einfach starten und sehen, was sich da wie entwickelt.