New Work

Mach Dir kein Menschenbild!

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Dr. Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Theorie Y“.

Lustlos oder leistungsorientiert

Ein Dauerbrenner – gerade in New Work begeisterten Kreisen, denen ich mich mit einigen Abstrichen durchaus zurechne – ist die Theorie Y von Douglas McGregor. Sie ist ziemlich alt (1960) und ziemlich umstritten. Aber das ist hier nicht mein Thema. Die große Leistung dieser Theorie besteht darin, dass sie Manager dafür sensibilisiert hat, mit welchem Menschenbild sie an ihren Job herangehen.

Jedes vorgefasste Bild, wie der Mensch eigentlich ist, verhindert, dass wir als Managerinnen und Manager dem einzelnen Menschen gerecht werden.

Mit der Theorie X? Dann gehen sie davon aus, dass alle Menschen faul und lustlos sind und angeleitet werden müssen. Oder mit der Theorie Y? Dann gehen sie davon aus, dass alle Menschen intrinsisch motiviert und leistungsorientiert sind und nur von der Leine gelassen werden müssen. So weit, so gut, so Holzschnitt.

Alles wird gut, wenn wir fest daran glauben?

Das Problem dabei: Wie so oft hat die Theorie auch jede Menge Evangelisten (vom Brotberuf her meistens Berater, Influencer oder Coaches) auf den Plan gerufen, die daraus eine Heilsbotschaft machen. Ihr Mantra lautet: Löst Euch vom Bild des X-Menschen und glaubt bei allem, was ihr tut, ganz fest an den Y-Menschen. Dann wird alles gut.

Das ist im Lichte meiner täglichen Erfahrung als Krisen- und Turnaroundmanager in gleich doppelter Hinsicht fatal und unverantwortlich:

  • Jedes vorgefasste Bild, wie der Mensch eigentlich ist, verhindert, dass wir als Manager dem einzelnen Menschen gerecht werden.
  • Jede rosarot verzerrte Sicht auf Menschen lullt mich als Manager ein und sorgt für blinde Flecken meiner Wahrnehmung.

Denn sprechen wir es ruhig offen an: In vielen Fällen, wo ich die Kohlen aus dem Feuer holen muss, haben Menschen nicht nur Fehler gemacht, sondern sich von ihrer schlechtesten Seite gezeigt. Nicht selten muss ich in meinen Einsätzen auf fahrlässiges, weltfremdes, nachlässiges, unverantwortliches, aber häufig auch strafbares Verhalten reagieren. Und viele, die dieses Verhalten zeigen, mögen sogar als hoch und intrinsisch motivierte Y-Menschen durchgehen.

Mein Job ist es, die Licht- und Schattenseiten auszuleuchten

Deshalb ist für mich sonnenklar: Der Mensch ist nicht so oder so – und wenn doch, dann schon eher so lala, was das Gute, Wahre und Schöne angeht. Es ist meine Verantwortung und Pflicht als Manager, mit seinen Licht- und Schattenseiten wachsam umzugehen. Gerade in existenzbedrohlichen Lagen für ganze Unternehmen, die meine Arbeit kennzeichnen.

Zwei kurze Anekdoten aus meiner langen Managerhistorie sollen zeigen, worum es mir geht.

Nicht schön, aber wahr: Manche Menschen täuschen, tricksen, betrügen

Da war der Fall der jungen Nachwuchsführungskraft. Die Dame war allseits beliebt, energisch und engagiert. Sie galt als Aushängeschild für Frauenkarrieren in diesem immer noch männlich geprägten Unternehmen. Dementsprechend wurde die Kollegin hofiert und umgarnt. Auch auffällig intensiv von einem Mitglied der Geschäftsführung. Etwas in mir schlug Alarm. Aber darf man, soll man misstrauisch sein – zumal als vorübergehender Fremdmanager in einem Unternehmen mit gewachsener Struktur und Kultur? Ich hielt das Thema so gut wie möglich auf Distanz – bis Raunen und Klagen von Mitarbeitenden beiderlei Geschlechts nicht mehr zu überhören waren.

Niemand lobt im Krisenfall Managerinnen und Manager dafür, an das Gute im Menschen geglaubt zu haben!

Das Tun der beiden Personen gipfelte in intransparenten Absprachen, unerträglicher Vorteilsverschaffung und regelrechten Deals jenseits jeder Compliance, die nur mit Rechtsbeistand aus der Welt zu schaffen waren. Der Preis, hier die Zügel lockerzulassen, Konflikten aus dem Weg zu gehen und dem schönen Schein zu trauen, ist hoch: Die Kultur geht vor die Hunde, es entstehen materielle Schäden. Am schlimmsten aber ist der Verdacht, das Führungspersonal schaue weg. Niemand lobt im Krisenfall Managerinnen und Manager dafür, an das Gute im Menschen geglaubt zu haben!

Nicht schön, aber auch wahr: Manche Menschen drehen sich um 180 Grad

Im zweiten Fall lernte ich, dass nicht nur Menschenbilder erschüttert, sondern auch Vertrauensverhältnisse im Handumdrehen zerstört werden können. Dies ereignete sich in einem lang laufenden Einsatz, der mich gerade mit einem Managerkollegen eng und vertrauensvoll zusammenbrachte. Bis zu dem Zeitpunkt, wo eine Krise den amtierenden CEO hinwegfegte und dem Kollegen die Chance zum Aufstieg eröffnete – was einen Manager wie mich, der seine Bestimmung in Interimeinsätzen sieht, ohnehin kalt lässt.

Prüfe jeden einzelnen Menschen – und zwar nicht einmal, sondern ständig. Schenke Vertrauen, aber sei nicht gutgläubig.

Auf jeden Fall opferte der besagte Kollege im entscheidenden Moment alle Zusagen und Absprachen, die wir mit Blick auf ein dringend nötiges Compliancesystem im Unternehmen getroffen und auf den Weg gebracht hatten. Er ebnete damit den eigenen Weg an die Unternehmensspitze und machte meine Arbeit am Compliancesystem überflüssig. Das kann ich verkraften – das Unternehmen, das genau wegen des Fehlens dieses Compliancesystems in die Krise gerutscht war, aber eher nicht.

Trau, schau, wem! Gerade im Management

Daher lautet in Sachen Theorie XYZ meine Empfehlung an all meine Kolleginnen und Kollegen im Management: Du sollst Dir eben kein Menschenbild machen, sondern gegenüber Menschen prinzipiell offen und gegenüber ihren Schwächen prinzipiell wachsam sein. Prüfe jeden einzelnen Menschen – und zwar nicht einmal, sondern ständig. Schenke Vertrauen, aber sei nicht gutgläubig. Das klingt jetzt nicht nach Zeitgeist, hat sich bei mir aber bewährt!