Business Transformation Business Strategie

Raus aus VUCA!

Wir sind gefangen im pessimistischen Mythos der VUCA-Welt. So wird das nichts mit Zukunftseuphorie, mahnt Gastautor Guido Schmidt.

Jené Stephaniuk on Unsplash
Jené Stephaniuk on Unsplash

Verwirrung allüberall

Odysseus wusste um die politischen Verhältnisse seiner Zeit. Der Frieden war trügerisch. Vor Jahren hatte er um die Hand der schönen Helena angehalten und kannte alle Könige und Adligen, die als Freier am Hofe von Sparta um die Gunst der schönsten Frau der Welt rangen. Vielfältig und eigensinnig waren die verschiedenen griechischen Stämme und deren Herrscher. Ajax, Patroklos, Menelaos und natürlich Agamemnon fehlte es nicht an herrschaftlichem Auftreten. Jeder pochte auf seine Unabhängigkeit. Agamemnon aus Mykene hatte in der Vergangenheit immer wieder versucht, die griechischen Völker unter seiner Herrschaft zu vereinen. Doch er war bislang gescheitert.

Heldenreise in die Zukunft
Was hindert uns auf dem Weg in die Wissensgesellschaft? Was fesselt uns an Paradigmen der Industriegesellschaft, die in einer komplexen und dynamischen Wissensökonomie nicht mehr passen? Und was lehrt uns ein Blick auf antike mythologische Helden? Diesen Fragen geht Dr. Guido Schmidt an dieser Stelle in Form eines Fortsetzungsromans nach.
Teil1: Der disruptive Anfang der Geschichte

Die Unabhängigkeit ist ein wichtiges Gut, wussten die Könige. Warum sollte man sich dem Willen eines Einzelnen unterordnen? Es hätte eine deutliche Einschränkung der eigenen Würde bedeutet. Nein, die Griechen blieben eine lose Gemeinschaft, und Frieden unter einem einheitlichen Dach wollte wohl keiner beschwören. Die politische Lage war unsicher, unbeständig und komplex. Und auch, wenn die Gefahren aus dem Osten, namentlich durch Troja mit seinem mächtigen König Priamos, betont wurden, so waren die Anzeichen der Bedrohung absolut mehrdeutig.

VUCA ist ein moderner Mythos. Den Verfechtern der VUCA-Welt ist es gelungen, Deutungshoheit zu erlangen. Das Geschäft des Managements und der Berater hängt ganz offensichtlich an der Deutungshoheit und nicht an der Wahrheit.

Diese politische Situation ist der Ausgangspunkt des großen Heldenepos „Ilias“. Wer Freund und Feind war, wechselte aus teilweise geringfügigen Anlässen. Eine klare Ordnung in politische Blöcke mit einer gemeinsamen Wertebasis hatte sich nicht herausgebildet. Es war nie klar, wer Freund war und wer Feind. Das galt sogar in Bezug auf Troja, das wegen seiner Größe und Bedeutung von Agamemnon immer als feindliches Terrain verstanden wurde. Mit dieser Einschätzung stand der König von Mykene allerdings allein da.

VUCA oder das große Leiden

Hier ergibt sich eine bedeutsame Parallele zur heutigen Zeit. Damals wie heute sind Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität die Kennzeichen der gesamtpolitischen Lage. Heute wird diese Situation in der Literatur bedeutungsschwanger als VUCA-Welt bezeichnet. Dieses Akronym ist Ende der 80er Jahre entstanden und beschreibt einfach eine unvorhersehbare Zukunft. Die Buchstaben VUCA stehen für:

  • volatility ‚Volatilität‘ (Unbeständigkeit),
  • uncertainty ‚Unsicherheit‘,
  • complexity ‚Komplexität‘ und
  • ambiguity ‚Mehrdeutigkeit‘.

Als der Ausdruck geprägt wurde, vor mehr als 30 Jahren, galt es, eine neue geopolitische Lage nach dem Ende des kalten Krieges zu beschreiben. Eine neue Weltordnung zeichnete sich nicht gleich ab. Den Militärs war mit dem Ende der Blockbildung nicht mehr klar, wer der Feind ist. Das militärische Achtsamkeitsprinzip erforderte es, besonders skeptisch zu sein gegenüber der gesamten Welt und auch gegenüber der unsicheren Zukunft. Es schien eben besser, immer auf der Hut zu sein.

Als Narrativ werden Erzählungen und Aussagen verstanden, die einen dominanten Einfluss darauf haben, wie wir die Umwelt wahrnehmen. Diesen Einfluss hat VUCA gewonnen. Die allerwenigsten zweifeln an der pessimistischen Weltsicht.

Das pessimistische Management

Heute sind es nicht mehr geopolitische Aspekte, die die Zukunft so ungewiss erscheinen lassen. Dennoch spüren viele die Bedrohungen der VUCA-Welt. Heute zeigen sich die Volatilität und Unsicherheit in der komplexen und mehrdeutigen Transformation und Disruption. Das VUCA-Narrativ ist so stark, dass es auch nach 30 Jahren bei jeder Veränderung herhalten muss.

Als Narrativ werden Erzählungen und Aussagen verstanden, die einen dominanten Einfluss darauf haben, wie wir die Umwelt wahrnehmen. Diesen Einfluss auf die Einschätzung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Umfeldes ist den Promotoren der VUCA-Welt hervorragend gelungen. Nur die allerwenigsten Experten zweifeln ernsthaft an der ebenso veralteten wie pessimistischen Weltsicht.

Die Verschwörung der Experten

Wissenschaftler sind der wissenschaftlichen Arbeitsweise verpflichtet. Mythen und unklare Aussagen sind nicht der Kern der Wissenschaft, sondern deren Feinde. Da die Wissenschaft auf Fakten beruht, ist die Zukunft mit ihren Unsicherheiten immer schwer vorhersehbar. Das macht Prognosen so schwierig. Also hat die Wissenschaft die Berechenbarkeit der Zukunft insgesamt verneint. Ein Persilschein für alle falschen Vorhersagen. Und davon gibt es viele.

Die Geschichtenerzähler der Neuzeit haben mit ihrer negativen Zukunftsprognose ganze Arbeit geleistet.

Die VUCA-Welt wird als Narrativ anscheinend von allen Experten und dem Gros des Managements einfach übernommen. So wird das Narrativ zu einer Gemeinschaftsleistung. Seine Wirkung erlangt es allein durch eine permanente Wiederholung. VUCA wirkt wie Werbung. Den Verfechtern der VUCA-Welt ist es gelungen, Deutungshoheit zu erlangen. Das Geschäft des Managements und der Berater hängt ganz offensichtlich an der Deutungshoheit und nicht an der Wahrheit.

Das dunkle Zeitalter verlassen

Selbst bei den Erfindern des Begriffes VUCA bestand nie ein Zweifel, dass dieses Wort eine negative und dunkle Konnotation hat. Wenn das Management bei jeder Präsentation auf dieses negative Narrativ Bezug nimmt, dann stellt es sich in den Schatten einer düsteren Weissagung. Es kommt Angst vor der Zukunft auf, und der Erfolg des eigenen Handelns wird ebenfalls ungewiss.

Wir schauen ängstlich in die Zukunft und erwarten täglich die nächste Tragödie. Offensichtlich stehen wir nicht vor dem Anfang einer neuen Heldenreise.

Die Geschichtenerzähler der Neuzeit haben mit Ihrer negativen Zukunftsprognose ganze Arbeit geleistet. Eine Studie des Rheingold-Institutes aus dem Jahre 2021 beschreibt die aktuelle Stimmungslage in Deutschland ganz exzellent. Danach sehen 59 Prozent der Deutschen die Zukunft gar nicht oder eher nicht optimistisch. Der Grundtenor unserer Gesellschaft ist also überwiegend pessimistisch. Wir schauen ängstlich in die Zukunft und erwarten täglich die nächste Tragödie, wie auch immer sie denn heißen mag. Offensichtlich stehen wir, statistisch gesehen, nicht vor dem Anfang einer neuen Heldenreise.

Der Hype der Orientierungslosen

Wer noch nicht zu seiner pessimistischen Haltung gefunden hat, dem kommt jetzt neue Hilfe zu teil. Es gibt eine neue apodiktische Vorhersage vom Autor und Futuristen Jamais Cascio, der in seinem Medium-Beitrag „Facing the age of chaos“ BANI als Sensemaking Model ins Leben gerufen hat. Dieses Akronym steht für B:rittle (brüchig), A:nxious (ängstlich, besorgt), N:on-linear (nicht-linear) und I:ncomprehensible (unbegreiflich). Wir wissen aber jetzt, dass diese Modernisierung von VUCA nur neue Ängste anspricht. Auch BANI hat kein positives Element zur Gestaltung der Zukunft.

Es ist mir unbegreiflich, dass Leute, die offen und lautstark zugeben, „die Welt nicht mehr zu verstehen“, mit dieser Nicht-Leistung auch noch Gehör finden. Das, was wir seit den 90er Jahren als Narrative bezeichnen, wäre in der Zeit des Odysseus ein Mythos gewesen. Eine Erzählung, die Einfluss hat auf die Art, wie wir die Umwelt wahrnehmen. Narrative transportieren Werte und Emotionen bezogen auf die Einschätzung der Welt. Das aber ist genau der Kern des Mythos. Den Mythos würde die Wissenschaft immer von sich weisen, das Narrativ verkauft sie als objektive Erkenntnis.

Es ist mir unbegreiflich, dass Leute, die offen und lautstark zugeben, „die Welt nicht mehr zu verstehen“, mit dieser Nicht-Leistung auch noch Gehör finden.

Exzellente Zukunftsaussichten

Wer exzellent sein möchte, darf nicht vermeintliche Wahrheiten nachplappern. Das Narrativ ist Gemeinsinn und nicht herausragend. Es ist an der Zeit, dass eine neue Führung die Deutungshoheit der Zukunft übernimmt. Es ist nicht exzellent, wenn das Management seine Erfolge dadurch aufwertet, dass diese trotz eines unglaublich bedrohlichen Umfeldes erzielt wurden. Die neue Führung muss bei einer neuen Interpretation der Zukunft einen grundlegenden Perspektivwechsel schaffen: Nur, weil man die Zukunft nicht vorhersehen kann, ist sie nicht gefährlich.

Die Tatsache, dass Experten überrascht werden, sagt nichts über die neuen Chancen aus. Es ist nur Ausdruck der Überforderung einer Gruppe, die sich eine pessimistische Deutungshoheit erkämpft hat.

Ganz im Gegenteil hält die unbekannte Zukunft immer viele positive Überraschungen bereit. So wie es ein Zufall war, dass Paris die Helena entführte und Agamemnon endlich gegen Troja mobil machen konnte, was er schon so lange propagiert hatte. In unserer Zeit gibt es so viele unerwartete Ereignisse, die neue Perspektiven auftun. Schulkinder treiben die globale Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Ein Virus wird zum Treiber der Digitalisierung. Das Homeoffice fordert Führung heraus. Die Liste ließe sich unendlich verlängern.

Die Tatsache, dass Experten überrascht werden, sagt nichts über die neuen Chancen aus. Es ist nur Ausdruck der Überforderung einer Gruppe, die sich eine pessimistische Deutungshoheit erkämpft hat. Warum sollen wir nicht in freudiger Erwartung auf schöne Zufälle oder glückliche Umstände zugehen?

Das Management muss sich aus der großen Zukunftsdepression verabschieden und an einer neuen Zukunftseuphorie arbeiten. Das Vorhersehbare engt den Raum für Exzellenz nur ein. Nur die Begeisterung für das Neue und die kreative Entfaltung der neuen Möglichkeiten schaffen Exzellenz.