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„Wir starten wieder mit einem MVP“

Interview Das Unternehmen ArtNight bietet Workshops an – eigentlich offline. Die Gründerin Aimie-Sarah Carstensen erzählt, wie das Start-up jetzt trotz Corona weitermacht.

Das Konzept vom Start-up ArtNight, Menschen offline zusammenzubringen, wird momentan auf die Probe gestellt.
Das Konzept vom Start-up ArtNight, Menschen offline zusammenzubringen, wird momentan auf die Probe gestellt.

Aimie, in der Vision von ArtNight steht, dass Ihr Menschen offline zusammenbringen möchtet. Jetzt musstet Ihr alle ArtNight-Events bis einschließlich den 14. April absagen. Wie geht Ihr mit der aktuellen Situation um?

Für uns ist das natürlich eine große Herausforderung. Eigentlich wollen wir Menschen durch Edutainment, also einer Mischung aus Unterhaltung und Bildung, offline zusammenbringen. Das ist in der aktuellen Situation nicht möglich. Wir haben Special Task Forces gebildet: Eine kümmert sich um die Absagen, Umbuchungen etc. und die andere arbeitet an neuen Ideen und schaut, welche Alternativen wir anbieten können.

Gründerin Aimie-Sarah Carstensen führt nun vom Homeoffice aus.
Gründerin Aimie-Sarah Carstensen führt nun vom Homeoffice aus.

Auf der ArtNight-Homepage gelangt man zu einer Umfrage, die sich damit beschäftigt, ob die Kunden auch Interesse an digitalen ArtNights hätten..

Ja, um direkt zu erfahren, was sich die Kunden aktuell online wünschen, haben wir die Umfrage mit in die Mail-Absagen gepackt.

Gibt es Interesse an den digitalen Angeboten?

Die Umfrage hat ergeben, dass unsere Kunden sich Online-Produkte wünschen, Tutorials, aber auch Material. Am Mittwochabend haben wir unseren ersten ArtNight-Shop live gestellt. Dort können die Leute unter anderem Malsets bestellen, die sie sonst während der Veranstaltung bekommen; Pinsel, Acrylfarben, alles, was man braucht. Aktuell werden die ersten Online-Tutorials ins Netz gestellt, an denen fleißig gearbeitet wird. Wir starten also jetzt mit ArtNight@Home und ähnlichen Formaten.

Wann begann diese Hau-Ruck-Aktion?

Am Dienstag vor einer Woche waren wir noch alle im Büro. Dort hatten wir aber beschlossen, ab Mittwoch testweise alle MitarbeiterInnen bis Freitag ins Homeoffice zu schicken. Am Freitag, den 13., haben wir dann auf die aktuelle Lage reagiert und sind im Homeoffice geblieben.

Wir hatten wieder Null Euro Umsatz, quasi keine Kunden, aber zum Glück ein ganz tolles Team.

Das klingt so, als ob Ihr gerade sehr agil arbeitet.

Das machen wir eigentlich immer. Aber die Situation ist schon eine besondere. Wir sind ein Start-up, aber uns gibt es eben schon seit 2016. Jetzt müssen wir wieder zurück auf Anfang. Das ist eine Herausforderung. Wir saßen nach unserer Entscheidung, alle Kurse abzusagen, da; Wir hatten wieder Null Euro Umsatz, quasi keine Kunden, aber zum Glück ein ganz tolles Team. Wir mussten wieder mit einem MVP beginnen. Unsere Shop-Seite ist nicht perfekt, aber sie steht. Wir haben alle das ganze Wochenende durchgearbeitet und 80 Prozent unserer MitarbeiterInnen haben auf einmal einen ganz anderen Job als den, den sie davor gemacht haben.

Welche Strukturen, die Ihr schon vor der Krise etabliert habt, kommen Euch jetzt zugute?

Das wichtigste ist, und das steht auch in unseren Core Values, dass wir weiterhin empathisch sind. Diese Situation ist nicht nur für die Firma eine Herausforderung, sondern für jeden Einzelnen. Wir sollten Verständnis füreinander haben. Wir hatten schon immer eine offene Feedbackkultur. Das hilft. Momentan sprechen wir sehr viel miteinander. Dadurch werden Missverständnisse aus dem Weg geräumt und dadurch kommt man schnell voran. In unseren Core Values steht auch, dass wir mutig sind. Ich finde, was wir gerade tun, ist sehr mutig. Wir treffen schnelle Entscheidungen und probieren Dinge aus. Unsere Kultur, alles, was uns bisher geprägt hat, hilft uns in der aktuellen Situation maßgeblich.

Wenn die Kultur stimmt, dann ist es leicht, neue Strukturen zu etablieren.

Es sind also weniger die Strukturen, sondern die Kultur, die vermeintlich „soften“ Gegebenheiten, die Euch jetzt voranbringen?

Wenn die Kultur stimmt, dann ist es leicht, neue Strukturen zu etablieren. Die gute Struktur, die wir auf jeden Fall hatten, war eine ganz andere als die, die wir jetzt brauchen. Wir mussten jetzt zum Beispiel ein neues To-Do-Management etablieren, auf das alle Zugriff haben und in dem die neuen Projekte strukturiert werden. Es gibt Special Leads. Dinge wie Arbeitsorganisation, die Nutzung von Tools, die Meeting Struktur, kann man so schnell adaptieren, wenn die Unternehmenskultur stimmt. Wenn das Organisatorische steht, die Leute es aber nicht fühlen und nicht mitmachen, bringt das nichts.

Wie versucht Ihr, dieses Teamgefüge zusammenzuhalten? Hast Du Tipps für andere Chefinnen und Chefs?

Entscheidend ist schlicht und einfach, dass man das Team selbst miteinbezieht und nicht über sie hinweg irgendwelche Maßnahmen trifft. Bei uns hat das Team schnell eine Eigendynamik entwickelt. Eine Mitarbeiterin hat zum Beispiel über die Mittagszeit einen virtuellen Meetingraum eröffnet, so dass die Leute, die nicht allein Mittagessen wollen, sich dort einwählen können.

Das ist ArtNight
ArtNight bringt mit Malworkshops pro Monat mehr als 30.000 Menschen  zusammen. Das Start-up wurde 2016 von Aimie-Sarah Carstensen und David Neisinger in Berlin gegründet und ist mittlerweile in mehr als 80 Städten in fünf Ländern aktiv.
ArtNight

ArtNight gibt es seit 2016, das Unternehmen ist stetig gewachsen, Ihr habt neue Kurse gestartet und expandiert, rechnest Du jetzt mit dem ersten Rückschlag der Firmengeschichte?

Wir sind ganz gut aufgestellt. So ein Start-up ist von Anfang an eine Achterbahnfahrt. Wir hatten schon öfter mal einen Dämpfer. Das ist jetzt ein Szenario, auf das wir nicht vorbereitet waren, mit dem wir nicht gerechnet haben. Ich denke, wir werden schon in eine kleine Krise geraten, aber wir müssen versuchen, das Beste daraus zu machen. Wir wollen Menschen mit unseren Events weiterhin begeistern.

ArtNight besteht nicht nur aus Euren 80 MitarbeiterInnen, sondern auch aus den KünsterInnen, die die ArtNight und PlantNight-Events vor Ort durchführen. Die trifft es doch jetzt besonders hart?

Ja, ohne Umsatz können wir unsere KünsterInnen nicht vergüten. Wir haben auf unserer Homepage deshalb auch den Aufruf an unsere KundInnen, ihre Buchungen nicht zu stornieren, sondern das Ticket zu spenden. Die Nettoerlöse gehen vollständig an die KünstlerInnen und werden fair zwischen ihnen aufgeteilt. Und wir hoffen, dass die Regierung ein Paket für die KünstlerInnen und Freischaffenden schnürt.

Was sind für Dich als Arbeitgeberin momentan die Top-Prioritäten.

Prioritäten liegen darauf, den Überblick zu behalten, dem Team die bestmögliche Infrastruktur und Organisation zu bieten, damit sie ihren Job machen können. Ich packe selbst operativ mit an. Das bin ich gewohnt, aber in dieser Situation sieht jeder Tag anders aus. Es ist verdammt viel Arbeit, aber da müssen wir durch.

Was kannst Du anderen Start-ups und Betrieben noch raten?

Klar, wir müssen alle schauen, dass wir irgendwie weiterarbeiten können. Ich würde jedem Start-up empfehlen, jetzt an seiner Kernkompetenz festzuhalten. Man hat gewisse Skills, man hat auch mit dem, was man bisher gemacht hat, Kunden begeistert und daran sollte man festhalten. Unsere Kernkompetenz ist Kreativität, Leute zu unterhalten und ihnen etwas beizubringen. Fakt ist aber: Wir sind im Ausnahmezustand und die Prioritäten liegen auf der Gesundheit aller Menschen.