Business Transformation Innovation

Europas ökonomische Sicherheit: Mehr als nur eine Frage der Verteidigung

Kommentar Europa braucht angesichts der vielen Herausforderungen in der Welt eine Strategie für seine wirtschaftliche Resilienz. Davon ist Gunnar Sohn überzeugt. Es gehe darum, die Innovationskraft zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Foto: Adobe Stock
Foto: Adobe Stock

Wirtschaftspolitik für außenpolitische Ziele

In einer Zeit, in der die globalen Wirtschaftsbeziehungen zunehmend von geopolitischen Spannungen und strategischen Abhängigkeiten geprägt sind, lieferte Professor Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), im vergangenen eine tiefgreifende Analyse der aktuellen Herausforderungen und Chancen in der internationalen Wirtschaftspolitik. Felbermayr argumentiert, dass die globalisierte Wirtschaft nicht ausschließlich durch die Brille der Vorteile des Freihandels betrachtet werden kann, wie es traditionell in der ökonomischen Theorie der Fall ist. Stattdessen fordert er eine Berücksichtigung der geoökonomischen Verflechtungen und der Möglichkeit, dass Staaten wirtschaftspolitische Instrumente einsetzen, um außenpolitische Ziele zu verfolgen.

Wir brauchen ein Umdenken in der Wirtschaftsforschung und in der Wirtschaftspolitik, um die komplexen Beziehungen zwischen Handel, Macht und Sicherheit zu verstehen und zu gestalten.

Diese Perspektive erfordert ein Umdenken in der Wirtschaftsforschung und in der Wirtschaftspolitik, um die komplexen Beziehungen zwischen Handel, Macht und Sicherheit zu verstehen und zu gestalten. Man erkennt es an den Wirtschaftskriegen der vergangenen Jahre.Schon US-Präsident George W. Bush jr. erließ 3484 Sanktionen gegen Firmen, Einzelpersonen, Nationen und Organisation in acht Jahren. Donald Trump brachte zwischen 2017 und 2020 rund 3900 Sanktionen gegen den gleichen Personenkreis auf den Weg.

Die Rechnung zahlen fast immer die Verbraucherinnen und Verbraucher

Das waren vier Sanktionen pro Werktag. Mit der Amtsübernahme durch Joe Biden hat sich das Tempo enorm erhöht. Heute betreiben die USA aus dem Finanzministerium heraus 70 unterschiedliche Sanktionsprogramme, die 9000 Nationen, Einzelpersonen, Staaten und Organisationen betreffen. Agathe Demarais spricht in ihrem Buch „Backfire“ vom „Sanction Overkill”: „Der Konflikt zwischen Amerika und China ist ein Konflikt um die wirtschaftliche Vorherrschaft zwischen einer etablierten wirtschaftlichen Supermacht und ihrem aufstrebenden Herausforderer. Es überrascht nicht, dass die Vereinigten Staaten in diesem Wirtschaftskrieg alle Formen des wirtschaftlichen Zwangs einsetzen wollen“, schreibt Demarais. Die US-Sanktionen gegen China haben nach ihren Berechnungen direkte Auswirkungen auf den Lebensunterhalt von fast zwei Milliarden Amerikanern und Chinesen; wenn Zölle verhängt werden, zahlen fast immer die Verbraucherinnen und Verbraucher die Rechnung.

Es wird Zeit für eine ökonomische Sicherheitspolitik in Europa.

Vor diesem Hintergrund ist es geboten, in Europa Überlegungen für eine ökonomische Sicherheitspolitik anzustellen. Das sagte Dr. Christian Growitsch, Institutsleiter des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie IMW, mit Blick auf die Münchner Sicherheitskonferenz.

 

Die Debatte um Europas ökonomische Sicherheit ist nicht neu, doch die aktuellen globalen Herausforderungen – von der Pandemie bis zum Krieg in der Ukraine – haben die Dringlichkeit einer umfassenden Strategie unterstrichen. Es geht dabei nicht allein um die Sicherung von Handelsrouten oder die Verringerung der Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen, sondern auch um die Förderung innovativer Lösungen und die Stärkung der technologischen Souveränität Europas.

Es geht um die Förderung innovativer Lösungen und die Stärkung der technologischen Souveränität Europas.

Growitsch betont die Notwendigkeit, die verschiedenen Dimensionen ökonomischer Sicherheit – von der Rohstoffversorgung über die technologische Souveränität bis hin zur Kreislaufwirtschaft – im Ganzen zu betrachten. Dabei spielt der Staat eine zentrale Rolle, sowohl als Sicherer dieser Bereiche als auch als Förderer von Zukunftstechnologien und Bildung. Diese Investitionspolitik ist entscheidend, um die Grundlagen für eine resiliente und nachhaltige europäische Wirtschaft zu schaffen. Dabei ist ein Aspekt relevant, den die Ökonomin Mariana Mazzucato gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung äußerte: „Wenn wir die großen Probleme unserer Zeit lösen wollen, brauchen wir fähige Unternehmen, die mit fähigen Regierungen arbeiten, und zwar lokal, national und global.“

Entscheidende Rolle für den Staat

Wirtschaftspolitik als Staatskunst muss sich mit der Innovationskompetenz der Wirtschaft verbinden. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die strategische Bedeutung von Deep Tech und die Notwendigkeit, bestehende Stärken in Forschung und Entwicklung zu nutzen, um Europas Position in der globalen Technologielandschaft zu stärken. Die Zusammenarbeit und der Wissenstransfer zwischen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft sind dabei Schlüssel zur Beschleunigung der Technologie-Kommerzialisierung.

Das Interview mit Growitsch unterstreicht die Komplexität der Herausforderungen und Chancen, die sich im Kontext der ökonomischen Sicherheitspolitik ergeben. Es wird deutlich, dass kooperativer Ansatz erforderlich ist, um Europas ökonomische Resilienz und technologische Souveränität in einer sich schnell verändernden Welt zu sichern.

Die europäische ökonomische Sicherheitspolitik steht somit vor einer doppelten Aufgabe: Sie muss nicht nur die unmittelbaren Bedrohungen adressieren, sondern auch die Weichen für die Zukunft stellen. Dabei geht es um mehr als die bloße Verteidigung gegen äußere Risiken. Es geht darum, die Innovationskraft zu stärken, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und letztlich die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger Europas zu erhöhen.

Gefragt ist ein kooperativer Ansatz, der die wirtschaftliche Resilienz Europas stärkt und technologische Souveränität sichert. 

Diese Herausforderungen erfordern einen langfristigen, strategischen Ansatz, der über die Tagespolitik hinausgeht. Es bedarf einer Vision für Europa, die auf Solidarität, Innovation und Nachhaltigkeit basiert. Nur so kann die ökonomische Sicherheit Europas in einer unsicheren Welt gewährleistet und gestärkt werden.