Innovation Business Strategie

Deep Tech statt Tiktok-Selfie-Videos

Kommentar Ob Celonis, Trumpf oder Multivac – Deutschland kann Innovation und Digitalisierung. Aber nicht im Schaufenster, sondern in der Tiefe der Wertschöpfung.

Foto: Alexandre Debiève/ Unsplash
Foto: Alexandre Debiève/ Unsplash

Innovation tief in der Wertschöpfungskette

Die Kernkompetenz der Wirtschaft in Deutschland liege bei Deep Tech, meint der Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon in einem Interview. „Technologien wie das iPhone oder die SpaceX-Raketen sind Hightech-Produkte, die sichtbar sind wie der Montblanc. Jeder kennt, jeder sieht sie. Ich wage die Prognose, dass wir in Bereichen wie Massendigitalisierung, Künstlicher Intelligenz, Raumfahrt oder Wehrtechnik, also in symbolischer Hightech, auch in Zukunft Innovationsversager bleiben. Unsere Technik ist nicht sichtbar, sie ist tief in der Wertschöpfungskette verborgen.“

 

767 deutsche Apple-Zulieferer

Wenn Simon bei Vorträgen die Frage stellt, wie viele Zulieferer Apple in Deutschland hat, bewegen sich die Schätzungen zwischen Null und 20. Die wahre Zahl ist 767. Kaum einer dieser Zulieferer ist in der Öffentlichkeit bekannt, praktisch alle sind Hidden Champions. Dazu gehört die von dem Informatiker Jürgen Schmidhuber entwickelte deutsch-schweizerische Software Long Short Term Memory (LSTM), die hinter dem Siri-System von Apple steht und auf mehr als 3 Milliarden Smartphones installiert ist. 

Celonis aus München ist Weltmarktführer für sogenanntes Process Mining und wird mit 13 Milliarden Euro bewertet. Deepl aus Köln liefert, wie in vielen Tests nachgewiesen, die besten Übersetzungen der Welt, Und hinter dem Weltmonopol der holländischen Firma ASML für Extreme Ultraviolette Lithografie stehen mit Trumpf und Zeiss zwei deutsche Schlüssellieferanten. Der Laser von Trumpf erzeugt in der Spitze eine Leistung von 20 Gigawatt und eine Temperatur von 220.000 Grad Celsius. Pro Sekunde werden mit Hilfe dieses Gerätes, das aus 457.329 Bauteilen besteht und 17,9 Tonnen wiegt, 50.000 Zinntropfen auf den Chip geschossen. Fast noch komplexer ist das optische System von Zeiss. Es verkürzt die Distanz auf den Chips von 193 auf 13 Nanometer und verlängert so das Gesetz von Moore um mindestens zehn Jahre. Mit seiner Hilfe können 56 Milliarden Transistoren auf der Fläche einer Fingerkuppe platziert werden. 

„Unser bevorzugtes Feld sollten Deep-Tech-Anwendungen sein“, lautet der Rat von Simon an die Wirtschaftspolitik. Um damit Erfolg zu haben, braucht es sehr große Tiefe, die in Kompetenz, in der Zeit oder in der Komplexität der Wertschöpfungskette gründen kann.

„Können wir damit leben? Ich glaube schon, denn auch in der alten Welt lagen unsere Stärken nicht in Produkten und Dienstleistungen für Konsumenten. Wir hatten nie weltführende Konsumgüterfirmen wie Coca-Cola, Procter & Gamble, McDonald’s, Starbucks oder Marriott. Aber wir waren und sind führend in industriellen Produkten und Prozessen“, erläutert Simon. Er warnt vor einem Subventionswettlauf in der Industriepolitik und hält es sogar für notwendig, etwas weniger auf Made-in-Germany zu setzen.

De-Indutrialisierung kann helfen, auf Deep Tech zu fokussieren

„Wir brauchen eine gewisse De-Industrialisierung. Wenn wir den Anteil der Produktion am Bruttoinlandsprodukt betrachten, liegen wir bei rund 24 Prozent. Die USA schneiden da viel schlechter ab und liegen nur bei gut zehn Prozent. Großbritannien und Frankreich liegen bei zwölf Prozent. Diese Länder brauchen eine Re-Industrialisierung“, betont der emeritierte Professor für Betriebswirtschaftslehre und Mitgründer der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners.

Am Beispiel Apple ist gut zu erkennen, dass der Hardware-Sektor ohne die deutschen Vorleistungen gar nicht funktionieren würde.

Von energieintensiven Branchen sollten wir uns verabschieden. Seit den 1960er Jahren sinkt der Industrieanteil. Das gilt für den Bergbau, für die Schwerindustrie, für die Textilindustrie und für die Produktion von Kameras. Die Fertigungstiefe sinkt, aber die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft in Deutschland steigt. Am Beispiel Apple ist gut zu erkennen, dass der Hardware-Sektor ohne die deutschen Vorleistungen gar nicht funktionieren würde.

Eine moderate De-Industrialsierung wäre nach Ansicht von Simon sinnvoll, um neue Wirtschaftsthemen adressieren zu können. Wir sollten uns von den digital-transformatorischen Keynote-Dampfplauderern nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie bringen immer wieder die gleichen Beispiele, die belegen sollen, wie schlecht wir die Digitalisierung realisieren und tröten die immer gleichen Beispiele in ihre Mikrofone. Von Instagram bis Uber. Bringt doch mal Repräsentanten von Trumpf oder Multivac auf die Bühne, wie auf der Fachmesse Zukunft Personal.