Innovation Business Transformation

Innovationsmotor: Das Heilige Römische reich deutscher Nation als Vorbild?

Deutschland kann Innovation, Europa kann Innovation. Um das zu erkennen, muss man nur in die Regionen blicken: Ostwestfalen-Lippe statt Silicon Valley. Wir sollten historisch gewachsene Kompetenzcluster nutzen, meint unser Kolumnist Gunnar Sohn.

Foto: Honey Yanibel Minaya Cruz/ Unsplash
Foto: Honey Yanibel Minaya Cruz/ Unsplash

Die vierte Welle der Innovation

Der Berliner Journalist Manfred Ronzheimer recherchiert sehr akribisch alles, was mit Innovationen, Zukunftsstrategien und wissenschaftliche Themen zu tun hat. Einige Ergebnisse seines Schaffens breitet er auf seinem Facebook-Account aus. So zum Beispielsweise die Überlegungen von EU-Innovationskommissarin Mariya Gabriel nach ihrem Besuch im Silicon Valley.

Als EU-Innovationskommissarin Mariya Gabriel im Oktober 2022 das Silicon Valley besuchte, ließ sie sich von der Aufbruchstimmung an der US-Westküste durchaus in Bann nehmen, hatte aber zugleich die Botschaft aus der Alten Welt im Gepäck, dass Europa willens sei, mit seinen komparativen Stärken in den kommenden Jahren die „vierte Welle der Innovation“ anzuführen. Diese vierte Welle werde unter dem Schlagwort „DeepTech“ die Merkmale der dritten Innovationswelle, der digitalen Revolution, mit physikalischen und biologischen Technologien kombinieren (siehe auch ihre Veröffentlichung auf Linkedin My takeaways from my Mission to Silicon Valley: EU will lead the 4th wave of innovation).

In Europa wirbt Gabriel stärker denn je für das Ziel ihrer Innovationsagenda, 100 regionale Innovation Valleys zu schaffen. Wie dies funktionieren soll, dafür benutzte sie im November in einer Rede ein populäres Beispiel: „Ein Valley of Innovation ist vergleichbar mit einer Fußballmannschaft“.

So wie auf dem Sportplatz, handele es sich „um eine Gruppe von Personen, die zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen“, in diesem Fall um die Innovationsakteure der Region. Sie wollen ein „florierendes Innovationsökosystem“ aufbauen, das etwa Studenten und Unternehmer unterstützt, die innovative Start-ups in der Region gründen und ausbauen möchten. Als Akteure nannte Gabriel „Universitäten, große und kleine Unternehmen, Start-ups, Investoren und politische Entscheidungsträger“.

100 Innovation Valleys sollen blühen

Zum konkreten Aufbau kündigte die EU-Kommissarin an, dass neben der Innovationssäule in „Horizon“, ausgestattet mit zehn Milliarden Euro, auch andere Fördertöpfe wie der Kohäsionsfonds künftig für regionale Innovation genutzt werden sollen. In einem zweiten Schritt, so Gabriel, „werden wir bis zu hundert Regionen identifizieren, die sich verpflichtet haben, die regionale Koordination ihrer Innovation Valleys zu verbessern, um interregionale Innovationsprojekte durchzuführen“. Dafür werden aus „Horizon Europa“ 170 Millionen Euro zur Finanzierung von interregionalen Innovationsaktivitäten bereitgestellt.

Diese Mittel können etwa „für den Einsatz und die Demonstration von Deep-Technologien in realen Umgebungen, für Schulungen und die Entwicklung von Fähigkeiten oder für die Erstellung und Nutzung neuer Reallabore und Testbeds verwendet werden“, kündigte Gabriel für 2023 an.

Vielleicht sollte man den Pfaden folgen, die wir in den vergangenen Jahrhunderten erfolgreich entfaltet haben. Also die Vorteile der Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nutzen.

„Genau besehen fangen die europäischen Innovation Valleys nicht bei Null an, sondern adaptieren frühere Ansätze, die unter anderen Bezeichnungen die Trend-Zyklen der Technologie- und Innovationspolitik durchlaufen haben“, kommentiert Ronzheimer. „Dazu zählen das Konzept der Regionalen Innovationssysteme (RIS), das Technologieförderung mit regionaler Strukturentwicklung kombiniert, die unterschiedlichen Cluster-Ansätze, die wissenschaftliche Kompetenzen in einer Region als Innovations-Stimulus für die vorhandenen wie auch neue Unternehmen einsetzten, bis hin zu den aktuellen Ansätzen von Innovations-Ökosystemen, die auch die sozialen Innovationen und das Kreativitätspotenzial der Zivilgesellschaft einbinden wollen. Dieser Idee folgt auch die in Gründung befindliche ‚Deutsche Agentur für Transfer und Innnovation' (DATI), die an bestimmten Hochschul-Standorte ein innovationsorientiertes Umfeld in Wirtschaft und Gesellschaft befördern möchte”, führt Ronzheimer weiter aus.

Regionaler Fokus treibt Innovation

Bislang beobachten wir ja eher ein Trauerspiel im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Vielleicht sollte man den Pfaden folgen, die wir in den vergangenen Jahrhunderten erfolgreich entfaltet haben. Also die Vorteile der Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nutzen.

„In vielen deutschen Regionen gibt es jahrhundertealte Kompetenzen, die ihr Licht bis in die Gegenwart werfen. Heute spricht man von industriellen Ökosystemen. So wurden im Schwarzwald seit jeher Uhren gefertigt, was feinmechanische Fähigkeiten erfordert. Schließlich gilt die Uhrmacherei als ‘Schlüsseltechnologie des Industriezeitalters’. Aus dieser Tradition sind in der Schwarzwaldregion mehr als 500 medizintechnische Firmen entstanden“, sagt der Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon.

Oder Firmen wie Bizerba auf der Schwäbischen Alb in der Lebensmitteltechnologie und Multivac als Maschinenbauer im Allgäu. Gleiches gilt für Göttingen. „Wieso findet man dort 39 Hersteller von Messtechnik?“, fragt Simon. „Die Erklärung liegt in der mathematischen Fakultät der Universität Göttingen, die über Jahrhunderte weltweit führend war. Eine dieser Firmen gehen auf Prinzipien zurück, die Carl Friedrich Gauss entdeckte. Der frühere Siemens-Vorstand Edward Krubasik bemerkte: ‘Deutschland nutzt die Technologiebasis, die bis ins Mittelalter zurückgeht, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein’.”

Thematische Sonderwirtschaftszonen für Innovation

In einer Session auf der Next Economy Open brachte Deepa Gautam-Nigge (SAP), Herausgeberin des Buches „#EcosystemInnovation“, thematische Sonderwirtschaftszonen ins Spiel. Etwa bei Technologien, die den Klimaschutz, die Kreislaufwirtschaft und die Energiewende nach vorne bringen. „Hier liegen die Stärken von Europa und Deutschland und das sollte gezielt gefördert werden.“ Die gesellschaftliche Notwendigkeit sei evident. Die besten Köpfe, die besten Talente und Innovationen seien in Deutschland und Europa vorhanden.

Wir brauchen keine Reisen ins Silicon Valley, um Impulse für Innovationen zu bekommen. Exkursionen auf die Schwäbische Alb, ins Allgäu oder nach Ostwestfalen-Lippe sind viel spannender. Dort sitzen die wahren Hidden Champions für Innovationen.

Das würde sich gut ergänzen mit dem Ansatz von Hermann Simon. Denn zwischen den Themen und den Regionen gibt es sehr interessante Cluster. Beispielsweise bei Quantencomputing, Kernfusion, mRNS-Forschung, MRT-Apparaten oder dem Fraunhofer Technologie Transfer Fonds. Die Kapitalbeschaffung müsse dabei allerdings in Deutschland und Europa größer gedacht werden, fordert Rene Schäfer, Spezialist für Emissionszertifikate. Das funktioniere im regionalen Maßstab eher schlecht.

Wir brauchen also keine Reisen ins Silicon Valley, um Impulse für Innovationen zu bekommen. Exkursionen auf die Schwäbische Alb, ins Allgäu oder nach Ostwestfalen-Lippe sind viel spannender. Da sitzen die wahren Hidden Champions für Innovationen.