Innovation Digitalisierung

„Wir alle müssen die Mensch-Maschine-Kommunikation lernen“

Interview Mit ChatGPT erleben wir den iPhone-Moment der Künstlichen Intelligenz, meint Frank Enders von Haufe-Lexware: Die Technologie wird vielen Menschen zugänglich und alltagskompatibel. Unternehmen sollten genau jetzt prüfen, welche Möglichkeiten KI ihnen eröffnet – und wo Grenzen liegen.

„Bots wie ChatGPT können für uns Menschen eine enorme Hilfe sein. Aber ohne menschliche Intelligenz und Wissen geht es nicht.“ Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware
„Bots wie ChatGPT können für uns Menschen eine enorme Hilfe sein. Aber ohne menschliche Intelligenz und Wissen geht es nicht.“ Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware

Künstliche Intelligenz wird demokratisiert

Frank, Künstliche Intelligenz war schon öfter Gesprächsthema, aber meist hat das Thema in der Nische Aufmerksamkeit erregt. Seit ChatGPT scheint es nichts Wichtigeres zu geben. Erleben wir gerade die KI-Revolution?

Wie man es nimmt. Es gab, wie Du sagst, auch in der jüngeren Vergangenheit immer mal wieder größere Beachtung für KI und Machine Learning. Zum Beispiel als Deep Blue erstmals Schachgroßmeister schlug, oder AlphaGo die Go-Meister. Etwas mehr in der Tradition von ChatGPT – da es auch hier um das Verstehen natürlicher Sprache ging – steht IBMs Watson, der zu Beginn der 2010er Jahre die amtierenden Jeopardy Champions besiegte.

Vielleicht erleben wir mit ChatGPT den iPhone-Moment der KI, in dem die Technologie einer breiten Masse von Menschen zugänglich wird.
Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware

Auch die generative KI, wie ChatGPT, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. GPT-3 und Bildgeneratoren waren vor rund einem Jahr im Fokus der Medien. Wir erleben aktuell möglicherweise eine Art iPhone-Moment, in dem die Technologie einer breiten Masse ohne große Hürden zugänglich gemacht wird.

Mensch-Maschine-Kommunikation erreicht neues Level

ChatGPT ist ein Sprachbot. Das dürfte für viele Unternehmen keine Relevanz haben, die nicht von Content leben …

Erzeugen von Content ist das Eine. Das Andere ist der Chat beziehungsweise der Sprachaspekt. ChatGPT unterscheidet sich von anderen Bots dadurch, dass die Kommunikation wesentlich flüssiger läuft. Die KI versteht viel besser, worauf der Mensch hinauswill. Wir sprechen hier von der sogenannten Intent-Erkennung. Damit eignet sich die Technologie bestens als Assistenz für beliebige Aufgaben. Statt Content zu erzeugen, ließen sich also auch viele andere Prozesse mithilfe von ChatGPT steuern.

Bislang haben wir versucht, die Sprache der Computer zu verstehen und zu lernen, um die Maschinen zu programmieren und zu steuern. Jetzt lernen die Maschinen, unsere Sprache zu verstehen.
Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware

Eine spezielle Form von Content ist zudem Quellcode. Erste Unternehmen versprechen, auf Basis generativer KI ganze Applikationen zu bauen, ohne dass die Anwender:innen programmieren können müssen. Man könnte sagen, das sei eine konsequente Weiterentwicklung des No-Code-Gedankens. Wie gut und in welchen Feldern das funktioniert, wird sich allerdings erst noch zeigen.

Generell werden die Technologien Unternehmen aber dabei unterstützen, das Geschäft weiter zu digitalisieren. Bisher haben wir gelernt, die Sprache der Computer zu verstehen, um sie zu steuern oder zu programmieren – früher binär mit Lochkarten über Assembler bis hin zu Hochsprachen wie Java, Typescript oder Python. Inzwischen trainieren wir die Computer, damit sie mehr und mehr in der Lage sind, uns Menschen ganz zu verstehen, auch wenn wir so sprechen, wie wir Menschen es eben tun. Damit sinkt die Hemmschwelle und immer mehr Menschen können mit Computern interagieren.

Künstliche Intelligenz als großer Demokratisator …

Wenn man so möchte, ja.

Risiken erkennen, Chancen definieren

Was sollten Unternehmen angesichts ChatGPT et al. jetzt tun?

Sie sollten sich damit beschäftigen, welche Chancen und Risiken Technologien wie ChatGPT für sie bereitstellen. Je nach Branche, Stadium und Risikobereitschaft wird die Bewertung unterschiedlich ausfallen.

Wir stehen am Anfang des klassischen Hype Cycle. Die Euphorie wird wieder abebben, eine nüchterne Abwägung von Chancen und Risiken wird kommen, wenn wir klarer sehen. 
Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware

Eins dürfen wir dabei nicht übersehen: Wir stehen gerade irgendwo am Beginn des klassischen Hype Cycle. Die erste Welle rollt gerade an. Interesse und Euphorie sind groß, später wird die Begeisterung abflachen und Fehlschläge und Risiken werden mehr in den Fokus rücken. Und dann werden wir klarer sehen, wohin das alles führt, was geht und was nicht.

Und welche Rolle spielt Human Intelligence bei dem Ganzen?

Hier lohnt sich ein kurzer Exkurs zum Begriff Intelligenz. Selbst wenn es der Name suggeriert, hat KI nicht besonders viel mit natürlicher Intelligenz zu tun. So beruhen auch die aktuellen Methoden des maschinellen Lernens auf Statistik. Modelle werden für eine bestimmte Aufgabe mit Trainingsmaterial gefüttert und zum Lösen dieser Aufgabe trainiert. Wir sprechen auch jetzt noch nicht von einer „wirklichen“ und allgemeinen künstlichen Intelligenz, in der Fachsprache AGI (Artificial General Intelligence) genannt. Und die Frage bleibt, ob sie jemals erreicht wird.

Maschinelle Lernverfahren werden besser und funktionieren selbständiger. Auch dadurch, dass immer größere Datenmengen herangezogen werden können. Trotzdem sind auch beim Training von ChatGPT weiterhin Menschen involviert, die das Modell optimieren. Wir sprechen hier von Reinforcement Learning. Ebenso sind die eingebauten Schutzmechanismen, die verhindern sollen, dass ChatGPT für illegale oder unethische Zwecke verwendet wird, von Menschen gemacht.

Ohne Human Intelligence wird es nie gehen

Ganz wichtig bleibt Human Intelligence beim Bewerten der Ergebnisse. Eine der Eigenheiten von ChatGPT ist, dass man den Ausgaben nicht ansehen kann, ob sie wahr oder falsch sind. Das zu bewerten, wird auf der anderen Seite immer schwieriger, da sich viel schwerer nachvollziehen lässt, welche Informationen woher stammen. Zuverlässige Informationsquellen werden also immer wichtiger. 

Wie geht es in Sachen KI weiter? In der Medizin, in der Landwirtschaft und in der Industriefertigung ist sie ja bereits etabliert.

Künstliche Intelligenz und maschinelle Lernverfahren sind schon an vielen Stellen unseres Alltags nicht mehr wegzudenken. Durch die aktuellen Entwicklungen wird diese Tendenz einen starken Schub bekommen, da immer mächtigere Verfahren einer immer breiteren Masse mit sinkenden Einstiegshürden zugänglich sind.

Technischer Fortschritt hat immer auch Ängste geschürt. In der breiten Masse hat er allerdings dazu beigetragen, dass wir heute mehr Arbeitsplätze, eine bessere Gesundheitsversorgung und höhere Lebenserwartung haben als in der Vergangenheit.
Frank Enders, Head of Technology, Content & Solutions, Haufe-Lexware

Sascha Lobo hat neulich gefragt, wo unser Aufruhr wegen KI bleibe, sie stelle vieles infrage. Siehst Du Risiken oder überwiegen die Chancen?

Technischer Fortschritt hat immer auch Ängste geschürt. In der breiten Masse hat er allerdings dazu beigetragen, dass wir heute mehr Arbeitsplätze, eine bessere gesundheitliche Versorgung und höhere Lebenserwartung haben als in der Vergangenheit. Ich denke, das wird auch dieses Mal der Fall sein. Trotzdem gilt es, genau auf die Risiken zu achten und Maßnahmen zu ergreifen, die die Risiken minimieren und möglichen Missbrauch der KI verhindern. Und immer wichtiger wird, den verantwortungsbewussten Umgang mit Technologie zu verinnerlichen. Wir alle müssen die Mensch-Maschine-Kommunikation lernen, und das hört nicht auf.