Business Transformation Change Management

Kontinuität oder Wandel? Kontinuierlicher Wandel!

Analyse Wir reden zu viel über Change und vergessen, dass das Meiste sich gar nicht ändert, sagt Henry Mintzberg im Interview mit New Management. Diese Sicht sei gefährlich, meint Bodo Antonic. Weil sie zum Nichtstun verleiten könnte. Er plädiert dafür, statt Kontinuität gegen Wandel auszuspielen, lieber auf kontinuierlichen Wandel zu setzen.

Sowohl – als auch statt Entweder – oder 

Mit Genuss habe ich hier das Interview mit Henry Mintzberg gelesen. Es war unaufgeregt in seiner Darbietung und verzichtete auf Buzzwords. Die Komplexität des Lebens und die sich daraus ergebenden Notwendigkeit von grauschattierten anstatt schwarz-weißer Antworten kam zu ihrem Recht. Exemplarisch hierfür die Mintzberg´sche Antwort „I am not sure if you can generalize” auf die Frage, was heute die wichtigste Managementaufgabe sei.

Kontinuität zu sehr zu betonen, ist gefährlich. Denn es schläfert ein.

Einen Punkt hätte ich mir allerdings anders gewünscht. Mintzberg betont zwar völlig zu Recht, dass Kontinuität und Wandel gleichzeitig existieren:„Change is something managers are always dealing with. And continuity is something managers are always dealing with. You have to do both.” Aber er nimmt hier eine Unterscheidung vor, die mir nicht gefällt. Und er überbetont meines Erachtens die Kontinuität. Das stufe ich als gefährlich, weil einschläfernd, ein.

Kontinuität vs. Wandel?

Wenn Mintzberg zwischen Kontinuität und Wandel unterscheidet, macht er eine Entweder-oder-Logik (Diskontinuierlicher Wandel versus Kontinuität) auf, die in der Realität so kaum haltbar ist. Leben ist selten schwarz oder weiß, zumeist ist die vorherrschende Farbe ein in allen Facetten schimmerndes Graukontinuum. Ich postuliere dagegen den für alle Unternehmen geltenden „kontinuierlichen Wandel“.

Macht dies einen Unterschied in Bezug auf die Führung von Unternehmen? Mit Sicherheit. Während ich in der Phase der Kontinuität als Unternehmer geneigt bin, bestehende und gutlaufende Prozesse hinsichtlich ihrer Effizienz zu steigern, wird mein Wirken in der Phase des Change, insbesondere in der Krise, dem Fortbestand des Unternehmens gelten. Seglerisch gesprochen: Bei stabilen Geradeauskurs werde ich versuchen, meine Segel so zu trimmen, dass ich die höchste Geschwindigkeit aus dem Schiff bekomme. Bei jeder Art von Notmanöver hingegen werde ich in erster Linie darauf achten, Mensch und Material durch die riskante Situation zu bringen.

Und dies soll nun im Unternehmen ständig gleichzeitig ablaufen? Stellen Sie sich doch bitte uns armen Manager vor, die jeden Tag im Betrieb aufs Neue zwei vollständig gegensätzliche Prozesse ausbalancieren müssen. Was überfüllte Terminkalender bis dato noch nicht erreicht haben mögen, wird so mit Sicherheit zur Realität: Der neurotische, gar psychotische Mensch in seiner Rolle als Manager.

Keine Ambidextrie, einfach Management

Jetzt mögen Sie einwenden, dass es doch genau diese beiden Zustände sind, die Unternehmen gut und gerne beschreiben. Ja, es gibt Unternehmensphasen, gemächlicher als eine breit dahinfließende Moldau, in denen das Leben sehr gemütlich und kontinuierlich dahinplätschert. Ebenso wie es Phasen gibt, in denen das Unternehmen eher den reißenden Strömen eines aus dem Winterschlaf gerissenen Bergstroms gleicht. Nicht selten wechseln diese sich gegenseitig ab. Doch dies ist anstrengend. Angenehmer wäre ein Zustand des gleichzeitigen Miteinanders. Nicht Entweder-oder, sondern ein Sowohl-Als-Auch. In anderen Worten: ein „kontinuierlicher Wandel“.

Dies hätte einen immensen Vorteil: Man müsste sich nicht auf zwei Phasen, zwei Kontexte und zwei Welten gleichzeitig konzentrieren. Sondern eben nur auf eine – auf die des kontinuierlichen Wandelns. Keine Ambidextrie.

Evolution, nicht Revolution, ist der Garant für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens.

Was bedeutete dies für die internen Prozesse? Für die Mitarbeiter und die Führung? Für die Kunden? Lassen Sie uns dazu eine holzschnitt- und schablonenartige sehr grobe Gegenüberstellung wagen.

 

Kontinuität

Wandel/Change

kontinuierlicher Wandel

Mitarbeiter

· Prozessbefolger

· Effizient

· Querdenker

· Unguided missiles

· Mischtypus

Kunden

· Cash cows

· Rising stars

· Cash cows

· Portfolio

Prozesse

· Hohe Anzahl an Prozessen

· zumeist starr

· auf Effizienz ausgelegt

· Prozesse nicht selten overengineered

· Geringe Anzahl an Kernprozessen, die zu brechen drohen

· Nebenprozesse werden zumeist vernachlässigt

· Viele Prozessbrüche

· Geringe Anzahl an Kernprozessen, die sehr genau definiert sind und verteidigt werden

· Ständige Bereitschaft, überflüssige Prozesse zu finden und abzuschaffen

 

Führung

· Status quo wahrend

· Formal, normativ

· Wenig innovativ

· Fakten-getrieben

· Impulsiv

· Operativ

· Impuls-getrieben

· Status quo in Frage stellend

· Mischung aus bewahrenden und innovativen Elementen

Kontinuierlicher Wandel

Was bedeutet all dies in der konkreten Umsetzung? In der Mitarbeiterauswahl müssten Unternehmen sehr viel Wert darauf legen, Kandidaten zu finden, die eine gesunde Mischung aus beidem an den Tag legen. Sie sollten sich der Gleichzeitigkeit von Wandel und Kontinuität bewusst sein. Fragen Sie im Auswahlprozess, wie die Bewerber die Begriffe Revolution und Evolution unterscheiden, und Sie werden sehr erhellende Antworten erhalten.

Phasen des (diskontinuierlichen) Wandels sind als Folge des verzweifelten Festhaltens am Status quo zu verstehen, das von hektischen, nicht selten eruptiven, Gegenruderbewegungen abgelöst werden. Die das Boot zum Kentern bringen können.

Bei Führungskräften hingegen ist in meinen Augen eine andere Frage entscheidend: „Was ist das oberste Ziel eines Unternehmens und wie erreichen Sie dieses?“ Die Antwort sagt sehr viel über die Kandidaten aus. Bohren Sie ruhig wie ein Zahnarzt, wenn Ihnen die Antworten standardisiert und runtergeleiert vorkommen!

Keine ruckartigen Kursänderungen

Der Wandel ist immer und überall, er ist kontinuierlich und allgegenwärtig. Selten ist er disruptiv. Denken Sie an die Definition von Stetigkeit in der mathematischen Kurvendiskussion. Eine Linie wird dann als stetig bezeichnet, wenn man diese – sehr phänomenologisch beschrieben – in einem durchzeichnen kann, ohne abzusetzen und schlagartige Bewegungen ausführen zu müssen. Und genau so verhält sich auch der kontinuierliche Wandel.

Phasen des (diskontinuierlichen) Wandels sind dagegen als Folge des verzweifelten Festhaltens am Status quo zu verstehen, das von hektischen, nicht selten eruptiven, Gegenruderbewegungen abgelöst werden. Die das Boot zum Kentern bringen können.

Wer versteht, dass es nicht um Kontinuität vs. Wandel geht, dass die allgegenwärtigen freeze-unfreeze-Sprünge Unternehmen schaden, wird sehen, dass Evolution mit einer ständigen Bereitschaft zum kontinuierlichen Wandel einhergeht. Und Evolution ist der Garant für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens.