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Schluss mit Mimimi: Fachkräftemangel ist hausgemacht

Kommentar Auch, wenn alle ihn immer wieder thematisieren: Einen allgemeinen Fachkräftemangel gibt es nicht. In den allermeisten Fällen seien die betroffenen Unternehmen selber schuld, meint Oliver Sowa. Weil sie strukturell und kulturell schlicht nicht attraktiv sind.

Keine Fachkraft nirgends? Ganz so einfach ist es nicht, meint Oliver Sowa. Foto: Getty Images
Keine Fachkraft nirgends? Ganz so einfach ist es nicht, meint Oliver Sowa. Foto: Getty Images

Fachkräftemangel: Is it real?

Wie schön, dass es in unserer schnelllebigen Welt Dinge gibt, die verlässlich sind – Vertrautheit gibt ein gutes und sicheres Gefühl. Womit wir täglich aufs Neue rechnen können, ist die schier endlose Flut an Schlagzeilen rund um den vermeintlichen Fachkräftemangel. Wir hören und lesen die Hiobsbotschaften aus sämtlichen Himmelsrichtungen und aus allen Kanälen in einer derartigen Frequenz, dass ihre Richtigkeit gar nicht mehr hinterfragt wird. Ein derart allgegenwärtiges Phänomen wie dieser Fachkräftemangel muss schließlich real sein. Doch ist das tatsächlich so, bei über 45 Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland? Das sind übrigens so viele wie nie zuvor.

Wenn alle von Fachkräftemangel betroffen sind, dann ist das ein großes, pauschales Problem. Dann kann das einzelne Unternehmen ja gar nichts ändern. Dann kann ich selbst nichts dafür. Die perfekte Ausrede fürs Jammern.

Glaubt man dem allgemeinen Tenor, macht der Fachkräftemangel allen Unternehmen ausnahmslos das Leben schwer. Die auf den ersten Blick logische Konsequenz: Wenn alle betroffen sind, dann ist das ein großes, pauschales Problem. Dann kann das einzelne Unternehmen ja gar nichts ändern. Dann kann ich selbst nichts dafür. Und fertig ist sie: die perfekte Ausrede und Rechtfertigung, die Schuld bei anderen zu suchen und in das laute Jammern einzustimmen. 

Wer jammert, ist in der Opferrolle. Wer jammert, macht sich klein. Sich selbst klein machen ist niemals eine gute Idee. Doch ganz speziell dann nicht, wenn man von potenziellen Bewerbern und den eigenen Beschäftigten als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden möchte. Wer jammert, konzentriert sich aufs Beklagen, ist passiv. Spätestens jetzt sollte der gesunde Menschenverstand Alarm schlagen. Wenn der Fokus gar nicht auf lösungsorientiertem Handeln liegt, man die Schuld immer bei anderen sucht, wie soll sich die Situation ändern? Von Zauberhand? Wohl kaum.

Fachkräftemangel ist der ideale Sündenbock

Der Fachkräftemangel eignet sich wunderbar als Sündenbock. Doch lassen Sie uns aus dem Schatten des Selbstmitleids heraustreten. Ist der vermeintliche Fachkräftemangel dann nicht eher ein hausgemachtes Problem? Zu „80+x“-Prozent haben Unternehmen ihr Schicksal selbst in der Hand. Es gibt durchaus Unternehmen, die ihre Stellen nach wie vor mit passenden Bewerbern besetzen können.

Was machen diese Organisationen anders? Sie haben erkannt, wo das Problem ursächlich liegt, nämlich meist in der kulturellen und organisatorischen Verfasstheit der Unternehmen. Jede Menge sinnbefreite Beschäftigung, das Fehlen von Ordnung und Struktur, wenig digitalisierte Prozesse und ein hohes Maß an vertikalem Firmenselbstbezug. Von einer Kultur des Vertrauens ganz zu schweigen. Solch strukturelle Schieflagen binden Ressourcen, sorgen für Ineffizienzen in Größenordnungen und frustrieren die Mitarbeitenden.

Employer Branding-Kampagnen, die Beschäftigte mit falschen Versprechungen anlocken sollen, bringen nichts. Stattdessen sollte das Unternehmen so gebaut werden, dass es von innen heraus strahlt.

Employer Branding-Kampagnen, die Beschäftigte mit falschen Versprechungen anlocken sollen, bringen nichts. Ganz im Gegenteil, diese sind häufig zynisch, weil die Hochglanzvideos mit dem Alltag im Unternehmen nur am Rande zu tun haben. Stattdessen sollte das Unternehmen so gebaut werden, dass es von innen heraus strahlt. Die Entscheidungskompetenz muss zur Fachkompetenz. Leistungsfähigen und leistungswilligen erwachsenen Menschen muss man das Dürfen im Unternehmen ermöglichen. Das ist kein Selbstläufer, sondern mit harter Arbeit verbunden. Doch es lohnt sich. Schließlich verlieren Produkte und Dienstleistungen – ob analog oder digital – zunehmend an Bedeutung. Es wird immer mehr auf die Organisation ankommen. Und in dieser verursachen die Verhältnisse das Verhalten von Menschen.

Anständige Bezahlung, anständige Behandlung, sinnerfüllte Beschäftigung

Es ist erforderlich, dass die Beschäftigten anständig bezahlt und behandelt werden. Als erwachsene Menschen sollten sie ihre Arbeit selbstwirksam tun können. Es gilt, die sinnbefreite Beschäftigung auf ein Mindestmaß zu reduzieren und die Möglichkeiten der Digitalisierung von Standardprozessen zu nutzen. So wird einerseits neues Potenzial frei. Andererseits erfahren Mitarbeitende, die ein hohes Maß an sinnerfüllter Beschäftigung erleben, Selbstwirksamkeit. Sie haben keinen Grund, das Unternehmen zu wechseln. Sie sprechen auch nach Feierabend und im Bekanntenkreis positiv über das Unternehmen. So eine Stimmung zieht neue Arbeitskräfte an.

Es muss aufhören, dass Bewerber aufgrund verschiedener Cluster wie Alter, Herkunft oder Geschlecht aussortiert werden. Wenn das doch passiert, dann kann der Fachkräftemangel nicht wirklich groß sein.

Daneben hilft der Blick über den Tellerrand. Zu spezifische Stellenausschreibungen limitieren den Bewerberkreis. Eine Person, die exakt in das Raster passt, ist schwer zu finden. Natürlich sollte die fachliche Qualifikation stimmen – doch viel wichtiger ist die menschliche Passung. Dafür sollte die HR-Abteilung im Unternehmen bereit sein, sich mit Menschen zu beschäftigen. Das können weder KI noch irgendwelche Algorithmen leisten. Warum also nicht dem branchenfremden Bewerber eine echte Chance geben? Zudem muss es aufhören, dass Bewerber aufgrund verschiedener Cluster wie Alter, Herkunft oder Geschlecht aussortiert werden. Wenn das doch passiert, dann kann der Fachkräftemangel nicht wirklich groß sein.

Der demografische Wandel ist Fakt – im Gegensatz zum Mangel an Fachkräften. Bei 45 Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland gibt es keinen Fachkräftemangel. Er dient als Ausrede und diese ist im Kern Versagen von Führung. Also bitte: Raus aus der Opferrolle und Selbstverantwortung übernehmen. Jeder ist seines Glückes Schmied.