Innovation Digitalisierung

„Wir müssen jetzt endlich unseren Mut zusammennehmen“

Interview Deutschland braucht mehr Mut in Sachen Digitalisierung und neue Technologien. Und mehr Offenheit für die Finanzierungsbedürfnisse von Startups. Sagt Christian Miele, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups.

Wagniskapital und Mitarbeiterbeteiligung

Fast schon vergessen, aber es gab eine Zeit vor Corona und Shutdown. Das ist erst wenige Wochen her. Damals haben wir ein Interview mit Christian Miele geführt, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Deutsche Startups. Es ging um die Frage, was GründerInnen in Deutschland hemmt, was sie fördert. Und um die Frage, wie Deutschland in Sachen Digitalisierung doch noch die Kurve kriegt. Nun, in Zeiten der "Zwangsdigitalisierung" (den Begriff hat Andrian Kreye von der Süddeutschen Zeitung geprägt), scheint das alles lange her. Und doch ist es aktuell. Denn Startups stehen für Innovation, für Zukunft, für Entwicklung. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir uns mit diesen Themen beschäftigen? Deshalb hier das garantiert Covid-19-freie Interview mit Christian Miele.

Herr Miele, welche Themen treiben den Bundesverband Deutsche Startups um? Und welche Themen treibt er?

Derzeit gibt es vor allem zwei Themen, die für das deutsche Startup-Ökosystem höchste Dringlichkeit haben und auf die wir auch unsere Arbeit im Verband fokussieren: Erstens, einen Dachfonds, den sogenannten Zukunftsfonds Deutschland, zu etablieren, um mehr Wagniskapital für Startups in der Wachstumsphase zu mobilisieren. Und zweitens, bessere Rahmenbedingungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen herzustellen, um internationale Top-Talente für unsere Startups zu gewinnen. Wenn wir mit diesen beiden Dingen Erfolg haben, ist schon sehr viel gewonnen.

Unsere Gründerinnen und Gründer sind mindestens genauso smart wie ihre amerikanischen oder chinesischen Wettbewerber. Dennoch haben sie nicht immer dieselben Chancen auf internationalen Märkten.
Christian Miele

Berlin ist Startup-Hochburg, Co-Creation und Co-Working Spaces öffnen allerorten. Trotzdem: Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie gut ist das Klima für GründerInnen in Deutschland?

Ich würde sagen: eine solide 6. In den letzten Jahren ist immer mehr Geld in das deutsche Startup-Ökosystem geflossen, die Szene ist mittlerweile sehr gut vernetzt. Und auch bei unseren politischen Forderungen sehen wir Fortschritte, sowohl beim Thema Zukunftsfonds, als auch bei unserem zweiten großen Thema, der Mitarbeiterbeteiligung. Wir bekommen politisch und medial immer mehr positive Resonanz auf unsere Ideen. Wir haben hier aber, wie bei vielen Dingen, kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Jetzt muss langsam auch geliefert werden. Und bei all dem Optimismus: Wir haben immer noch eine große Lücke im Bereich Wachstumsfinanzierungen. Wir schaffen es noch nicht im benötigten Umfang, unsere Startups mit dem Kapital auszustatten, welches sie benötigen, um international zu wachsen und sich im globalen Wettbewerb nachhaltig durchzusetzen. Da sehen wir auf jeden Fall noch Handlungsbedarf.

Welches sind die größten Hemmnisse?

Unsere Gründerinnen und Gründer sind mindestens genauso smart wie ihre amerikanischen oder chinesischen Wettbewerber. Dennoch haben sie nicht immer dieselben Chancen auf internationalen Märkten. Der Kapitalmangel in der Wachstumsphase zum Beispiel hat für uns zwei Konsequenzen. Erstens, wir haben nicht so viele große und erfolgreiche Unternehmen in Deutschland. Zweitens, wenn wir sie haben, dann sind die Eigentümer Investoren aus den USA oder Asien. Die Früchte unserer Startups werden dann woanders geerntet. Ein weiteres Problem für deutsche Startups sind die bisher schlechten Bedingungen bei Mitarbeiterbeteiligungen. Talente sind heute der mit Abstand wichtigste Faktor, wichtiger noch als Kapital, denn im Zweifel folgt das Kapital dem Talent. Das Talent können wir am besten für unsere Startups gewinnen, wenn wir die Rahmenbedingungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligung massiv verbessern. Denn nur über eine Incentivierung durch eine Beteiligung am Unternehmenserfolg haben wir eine Chance im „war for talents“. Daran müssen wir dringend arbeiten!

Mehr Mut!

In einem Interview mit Die Zeit fordern Sie „German Mut“. Sind wir zu ängstlich und deswegen nicht so radikal innovativ wie andere? Wie könnten wir das ändern?

Wir haben leider verlernt, Visionen zu formulieren und mutig genug zu sein, diese auch umzusetzen. In den USA, China und selbst in Frankreich gehen die politischen Entscheidungsträger beherzter ans Werk. Wenn wir uns anschauen, wie unsere Wettbewerber innerhalb, aber auch außerhalb Europas momentan in die Digitalisierung investieren, muss man doch feststellen, dass wir langsamer vom Fleck kommen. In den letzten Koalitionsverträgen konnten wir beispielsweise immer wieder lesen, dass der Breitbandausbau jetzt aber wirklich kommt. Vielleicht sind wir ein Stück weit auch das Opfer unseres eigenen Erfolges geworden. Um auch in Zukunft ganz oben mitspielen zu können, müssen wir jetzt unseren Mut zusammennehmen und etwas dafür tun.

Wir haben in Deutschland leider verlernt, Visionen zu formulieren und mutig genug zu sein, diese auch umzusetzen.
Christian Miele

Haben wir den Wettbewerb der Digitaltechnologien verloren oder sehen Sie Chancen, dass wir nach vorne kommen? In welchen Bereichen?

Wir sind durchaus in der Lage, das eine oder andere Unicorn hier in Deutschland zu etablieren. Ganz verloren ist das Rennen noch nicht. Bei manchen Technologien und Märkten sind uns die anderen zwar vermutlich schon uneinholbar davongelaufen, wie beispielsweise bei bestimmten Plattform-Geschäftsmodellen. Bei anderen Technologien und Märkten ist das Rennen aber noch offener. Insbesondere bei Klimatechnologien, industrienahe Technologien, Smart Cities, aber auch beim Thema KI haben wir die Chance – vorausgesetzt, dass wir endlich die Beine in die Hand nehmen und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen und hinreichende Summen in diese Technologien und Märkte investieren – oben mitzuspielen.

Abwehrhaltung und Skepsis überwinden

Startups stehen für Kreativität und Freiheit, manche aber betonen (Selbst)Ausbeutung und den Verstoß gegen Arbeitsgesetze – die Berliner SPD fordert Tarifverträge und Betriebsräte. Wie steht es um das Verhältnis von Freiraum und Struktur in Startups?

Ich glaube, das hat auch etwas mit der deutschen Mentalität zu tun, mit einer Abwehrhaltung und Skepsis, die wir gegenüber dem Unternehmer- und Gründertum entwickelt haben. Das hat dazu geführt, dass wir uns Handschellen anlegen und Modelle fordern, die für Startups so gar nicht umsetzbar sind. Das heißt nicht, dass Startups losgelöst von Moral und Ethik agieren dürfen, Gründer*innen haben selbstverständlich eine Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten und sollten sich und ihr Modell selbstkritisch hinterfragen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Dennoch sind die Forderungen nach Betriebsräten etc. für die meisten Startups nicht so einfach umsetzbar und auch nur in begrenztem Maße sinnvoll. Da müssen in den nächsten Jahren bessere Lösungen und Modelle entwickelt werden. Ich bin sicher, unsere Startups bekommen auch das hin.

Startups sind Vorbilder, was iterative Produktentwicklung, Kundennähe, Flexibilität und Schnelligkeit angeht. Manch ein Konzern versucht, mit Corporate Startups gegenzuhalten. Mit internen Pitches, VC-Strukturen etc. Kann das funktionieren?

Erstmal freuen wir uns, dass sich immer mehr Player aus der etablierten Wirtschaft für die Dinge interessieren, die im Startup-Ökosystem passieren und sich auch ein Beispiel daran nehmen, wie Startups mit neuen Entwicklungen und Herausforderungen umgehen und damit erfolgreich sind. Anstatt aber die Modelle von Startups in Corporates zu übernehmen, rufe ich eher zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Corporates und dem Startup-Ökosystem auf. Ich bin mir sicher, dass eine unserer großen Chancen als Volkswirtschaft in der klugen Zusammenarbeit liegt. Das bedeutet: Sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen, miteinander arbeiten und Potentiale nutzen, anstatt neue Konkurrenz-Beziehungen aufzubauen.

Offen bleiben

Haben Sie drei Tipps für Unternehmer und für Corporates in Sachen Innovation?

  1. Mit Startups zusammenarbeiten, statt gegen sie: Lernt von den Gründerinnen und Gründern und arbeitet eng mit ihnen zusammen, unterstützt euch gegenseitig, schafft Synergien auf Augenhöhe.
  2. Den Austausch suchen: Innovation ist ein (kreativer) Prozess. Ein Unternehmen wird nicht von heute auf morgen innovativ, das dauert und ist mit vielen Veränderungen verbunden. Den Austausch mit Startups aus der gleichen Branche zu suchen, kann helfen die eigenen Potentiale auszumachen und Veränderungsprozesse im Unternehmen anzutreiben.
  3. Offen bleiben: Innovation wird immer da behindert, wo sich Unternehmen abschotten und gegenüber neuen Entwicklungen verschließen. Auch hier können Unternehmen von Startups lernen, sich neu zu erfinden.