Innovation Business Strategie

Freie Liebe statt starrer Hierarchie: Start-up Einhorn

Beim Kondom-Start-up Einhorn bestimmen Fairness und Nachhaltigkeit alle Beziehungen: Die geschäftlichen und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn nur mit Vertrauen in die Mitarbeiter werden Innovationen möglich.

Einhorn zeigt, wie Innovation in der Kondom-Industrie funktioniert
Einhorn zeigt, wie Innovation in der Kondom-Industrie funktioniert

Wie melden Sie sich, wenn im Büro das Telefon klingelt? Vermutlich mit Ihrem Namen und Ihrer Firma. Bei Einhorn, einem Hersteller nachhaltiger und fair gehandelter Kondome, läuft das jedoch etwas anders. Vor kurzem durfte ich bei dem Berliner Start-up zu Gast sein und rief zuvor bei Co-Gründer Philip Siefer an. Wie er ans Telefon ging, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

Anruf bei Einhorn

Business Strategie: Innovation mit Irritation

Diese Telefonbegrüßung der etwas anderen Art war nicht nur eindeutig mein Tageshighlight, sondern auch Ausdruck der gleichermaßen simplen wie inspirierenden Überzeugung von Einhorn: Es geht darum, den Status quo zu hinterfragen, tradierte Vorstellungen ganz bewusst zu brechen und dadurch sogar an unliebsamen Aufgaben Freude zu gewinnen. Dazu gehörte bei Einhorn lange Zeit der Telefondienst – bis die Idee aufkam, dieses Muster zu brechen und den Erstkontakt am Telefon mittels Witzen und Gesang ein wenig attraktiver zu gestalten. Der unbeliebte Dienst wurde so schnell zum Mitarbeitermagnet und Eisbrecher im Gespräch mit Kunden, Partnern und Dienstleistern. Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Intervention: Werbeanrufe reduzierten sich fast auf Null. Was bei Autos der Elch-Test ist, ist bei Anrufern also der Einhorn-Test: Wer bei dieser Begrüßung am Hörer bleibt, ist bereit für eine Begegnung auf Augenhöhe.

Auch viele andere Dinge in unserem Arbeitsalltag wären leicht zu ändern, meint Philip. „Aber man macht‘s nicht. Weil man das eben schon immer so macht. Dabei geht’s voll.“ Denn es sind kleine Dinge, die viel verändern, erklärt der Einhorn-Gründer. Die Idee von Einhorn, Kondome nachhaltig zu produzieren und in Chipstüten zu verpacken, war eine davon. „Wir beschäftigen uns hier ganz oft mit Dingen, die uns nerven und überlegen, wie sie uns mehr Spaß machen könnten.“ Am Ende kommen Ideen raus, bei denen jeder überzeugt ist: „Da hätte ich auch draufkommen können.“ Gemacht hat es vor ihnen aber trotzdem keiner.

Einhörner vertrauen statt zu kontrollieren

Zu den Dingen, die Philip und seinen Mitgründer Waldemar nerven, zählt auch die Kontrolle ihrer Mitarbeiter. Deshalb machen sie das auch nicht. Elisa Naranjo, Head of Fairstainablilty (später mehr zu diesem Einhorn-Begriff) bestätigt das: „Das Vertrauenslevel bei uns ist extrem hoch!“ Jeder im Team kann für seine Ideen Geld ausgeben. „Wenn man Menschen wie Erwachsene behandelt, verhalten sie sich auch so“, erklärt Philip. „Wenn ich 10.000 Euro haben will, um etwas auszuprobieren, und weiß, auf dem Konto sind aktuell 50.000 Euro, dann frage ich doch zuvor zwei oder drei Leute, was sie von der Idee halten.“ Hinter dieser Kultur des Vertrauens und der Selbstverantwortung steckt allerdings auch jede Menge Arbeit: „Es ist sicherlich kein Selbstläufer, dass man sagt, jeder darf jetzt alles machen. Da muss man Schalter umlegen, sodass sich die Leute ermächtigt fühlen“, ergänzt Elisa.

Wenn man Menschen wie Erwachsene behandelt, verhalten sie sich auch so.
Philip Siefer, Einhorn

Keine Fehler kosten auch!

Die damit verbundene Freiheit birgt natürlich auch Risiken. „Klar, dadurch gehen manche Dinge auch kolossal schief und dann hat man beispielsweise etwas gekauft, was total blöd war“, gibt Philip zu. Aber Fehler, so die Einhorn-Überzeugung, passieren schließlich andauernd. „Natürlich kosten Fehler auch Geld“, weiß Elisa. „Aber die Demotivation der Mitarbeiter durch ständige Kontrolle und die Unterdrückung von Innovationen sind doch genauso Kosten. Wenn wir diesen Betrag nehmen, um Mitarbeiter Dinge ausprobieren zu lassen, ist das doch um einiges sinnvoller.“

Diese Erfahrung machte Philip auch im Rahmen eines Management-Experiments mit der österreichischen Brauerei Ottakringer. Nach dem Motto „Tradition trifft Start-up“ tauschte er für eine Woche seinen Posten mit dem Brauereigeschäftsführer. Auf die Frage, was sich die Brauer – immerhin ausgezeichnet mit dem besten Bier Europas – wünschen, antworteten diese dem Einhorn-Chef: Sie würden gerne etwas ausprobieren, bräuchten dafür aber eine Maschine für rund 20.000 Euro. Philips spontane Antwort: „Kriegt ihr! Klar, ihr seid die besten Brauer Europas!“ Was aber denn passiere, wenn das Experiment ein Reinfall würde, war – nach anfänglicher Freude – eine der ersten Fragen, die die Ottakringer-Mitarbeiter stellten. „Na, nichts“, war Philips Antwort. „Ihr habt danach nur ein paar schöne Fehler, über die ihr uns berichten könnt.“ Schließlich, so der Einhorn-Gründer, macht jeder Fehler – Vorstand und Geschäftsführung oft am allermeisten.

Kein Einhorn für eine Nacht

Die Überzeugung, dass Vertrauen ein wichtiges Element in menschlichen Beziehungen ist, prägt alle Geschäftstätigkeiten von Einhorn. Philip vergleicht die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Partnern beispielsweise gerne mit einer Liebesbeziehung: „Wir sind kein One-Night-Stand-Einhorn“, bekräftigt er. Klar, wer den Fokus seiner Produkte auf Nachhaltigkeit setzt, dem liegt selbstverständlich auch etwas an nachhaltigen Beziehungen zu seinen Stakeholdern. „Für uns ist wichtig zu wissen: Sind die Leute nur an einem kurzen Date oder an einer langfristigen Beziehung interessiert? Wir denken eher beziehungslastig als transaktional.“ Diese Analogie bekräftigt auch Elisa: „Eine Beziehung hat immer etwas von geben und nehmen. Man begegnet sich auf Augenhöhe.“ Und wer fremdgeht, egal ob Geschäftspartner oder Mitarbeiter, spielt mit dem Vertrauen von Einhorn. Natürlich, bestätigt Philip auf meine Nachfrage hin, mussten auch schon Mitarbeiter das Start-up verlassen. Allerdings nicht aufgrund von „Seitensprüngen“ oder Fehlern. „Ich glaube, hier würde niemals jemand entlassen werden, nur weil er einen Fehler gemacht hat“, stellt Elisa klar. „Aber auch da ist es wie in Beziehungen. Manchmal stellt man fest, dass man einfach noch nicht ready füreinander ist“, erklärt Philip. Ihm ist wichtig: „Kündigungen sollten wie freundlich Schluss machen sein.“ Und Bewerbungsgespräche wie das erste Kennenlernen: Man testet, so Elisa, ähnlich wie in Dates, die gegenseitigen Werte und Einstellungen aus. „Und auch da ist es, wie bei Beziehungen: Manchmal passt es, manchmal eben nicht. Und das ist doch auch ganz normal und überhaupt nicht schlimm“, meint sie.

Wir denken eher beziehungslastig als transaktional.
Philip Siefer, Einhorn

Gold Digging unerwünscht: Das Einhorn setzt auf Sinn der Arbeit

Doch nicht nur in der Beziehung zu Menschen ist den Einhörnern Nachhaltigkeit ein Anliegen. Einhorn bezeichnet sich selbst als Social-Start-up. Das heißt, sie unterscheiden sich von „klassischen“ Start-ups in einem wesentlichen Punkt: Sie wollen mit ihrer Tätigkeit ein gesellschaftliches Problem lösen. Oder wie Einhorn es nennt: Fairstainability – Fairness und Sustainability. Deshalb arbeiten sie daran, den kompletten Produktlebenszyklus, von der Kautschukplantage bis zum Kunden, nachhaltig und fair zu gestalten. Elisa beispielsweise war vor kurzem für zwei Monate in Malaysia, um sich selbst ein Bild von der Herstellung des Einhorn-Kautschuks zu machen und weitere Maßnahmen für mehr Fairness und Nachhaltigkeit anzustoßen.

Natürlich ist Geld verdienen aber auch bei Social-Start-ups erlaubt – eben nur nicht um jeden Preis, sondern immer verknüpft mit einem Sinn der Tätigkeit. Gold Digging, also das Eingehen von Beziehungen nur auf Basis finanzieller Vorteile, käme für die Einhorn-Gründer nicht infrage. Denn auch was die Finanzen betrifft, betont Philip, ist ihnen Nachhaltigkeit wichtig: „Wenn Firmen wachsen sollen und es geht dabei nur um Shareholder Value, dann treffen Unternehmen oft die falschen Entscheidungen: pro Shareholder Value und gegen das Langzeitziel, die Mitarbeiter und die Produkte. Es geht dann nur darum, einen schnellen Taler zu machen, anstatt eine Langstreckenrakete zu bauen.“ Ihm sei wichtig, einen Sinn im Tun des Unternehmens zu finden und diesen auch mit den Mitarbeitern zu teilen – schließlich gäbe es keinen größeren Treiber für Motivation. Und schließlich sei es die höchste Form von Fairstainability, wenn alle einen Sinn finden, in dem was sie tun.

Distanzierte Zweckehe, spannendes Abenteuer oder Traumpaar: Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitgeber wäre Ihr Partner. Wie würden Sie diese Beziehung beschreiben?

KEY FACTS

Innovationen durch und durch erlebbar machen. – Das schaffen die Gründer des Start-ups Einhorn tagtäglich. Und noch mehr: Sie interessieren sich nicht für den reinen Profit, sondern möchten durch faire Produktion und nachhaltiges Ressourcenmanagement einen sinnvollen Mehrwert, keinen rein monetären Mehrwert bieten.

Innovationen umsetzen durch Fairstainability (= Fairness + Sustainability):

Geschäftsalltag als Beziehungsmodell: langfristige Beziehung sind vor One-Night-Stand bevorzugt.

Vertrauen in die Mitarbeiter macht sich bezahlt.