Business Transformation Innovation

Ambiente mit Flüssigwachs

Heliotron aus Freiburg-Tiengen beliefert Hotels und Gaststätten mit Flüssigwachskerzen – zum Teil im Abo. Das Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren völlig neu organisiert und mitten in der Pandemie ein neues Geschäftsfeld aufgebaut, mit einem neuen Produkt für Privatkunden – aus dem Homeoffice heraus.

Kaffeetrinken, plaudern oder arbeiten: Das Café ist Mittelpunkt des Büros.
Kaffeetrinken, plaudern oder arbeiten: Das Café ist Mittelpunkt des Büros.

Innovation mitten im Gewerbegebiet

Tiengen, ein kleines Weindorf circa zehn Minuten von Freiburg entfernt, vor einigen Jahrzehnten von Freiburg eingemeindet. Am Ortsrand das übliche Gewerbegebiet – Handwerker, metallverarbeitende Betriebe, Dienstleister. Mittendrin ein Zweckbau, der sich äußerlich nicht von den anderen unterscheidet. Das ist der Sitz von Heliotron Deutschland. Das Unternehmen produziert und verkauft Flüssigwachskerzen für Hotellerie, Gastronomie und Kirchen.

Wir verkaufen Wohlfühlambiente. Und das soll sich in unserem Büro widerspiegeln.
Oliver Schneeberger, geschäftsführender Gesellschafter, Heliotron Deutschland

Vom Café ins Loft

Wer vor dem Gebäude steht, erwartet nichts Außergewöhnliches, ein kleinerer Mittelständler wie Tausende andere. Bis er durch die Eingangstür tritt und mitten in der „Aviator Lounge“ steht: Café, Kommunikationsraum, Arbeitsplatz. Alles offen und durchlässig, das ganze Büro hat Loft-Charakter. Zwischen den Schreibtischen liegt die „Kreativ Area“ mit Schaukeln und bemalbaren Wänden und einer Spielekonsole.

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Offenheit und Transparenz spielen eine Schlüsselrolle.

Das ist dann doch ein ungewöhnliches Entrée für ein Unternehmen mit rund 50 MitarbeiterInnen, das Kerzen verkauft. Obwohl, das trifft es nicht ganz. „Wir verkaufen Wohlfühlambiente“, sagt Firmenchef Oliver Schneeberger. Und beschreibt damit in wenigen Worten den ganzen Wandel, den das Unternehmen in über 40 Jahren bewältigt hat.

Die massiven Investitionen in die Digitalisierung haben sich in der Pandemie ausgezahlt. Wir konnten weiter produktiv und vor allem innovativ arbeiten.
Oliver Schneeberger, geschäftsführender Gesellschafter, Heliotron Deutschland

Flüssigwachs für Kirchen

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Nachdenken und plaudern: Im gediegenen Ledersessel ...

Angefangen hat alles Mitte der 70er Jahre mit einer genialen Idee von Olivers Vater. Statt klassische Kerzen herzustellen und zu verkaufen wie bis dato (schon der Großvater hatte Kerzen produziert), könnte man doch auch Flüssigwachs in Kartuschen füllen und mit einem Docht versehen. Noch ein Gefäß darüber, das wie eine Kerze anmutet, und schon hat man Licht, ganz ohne Blaken und Wachstropfen, nahezu rußfrei. Oliver Schneebergers Vater hat sich das patentieren lassen und begonnen, seine Produkte zu vertreiben.

Hauptabnehmer waren anfangs Kirchengemeinden. Kaum irgendwo herrschte damals mehr Bedarf an Kerzenlicht. Die Nachfrage war groß, aber die Kirche war kein Wachstumsmarkt. Deshalb erfolgte in den Neunzigern die Expansion in Hotellerie und Gastronomie, schließlich geht Candlelight Dinner auch mit Flüssigwachs. Aber nur als Tischleuchte. „Deshalb hat das Unternehmen vor über 20 Jahren begonnen, neue Formen zu entwickeln, Tischleuchten für Gaststuben“, sagt Oliver Schneeberger. Für die Gastronomen habe das einen großen Vorteil: Flüssigwachskerzen seien nahezu wartungsfrei. Deshalb auch hier steigende Nachfrage, immer mehr Kunden und deutliches Wachstum

Insolvenz und Neuanfang

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... oder auf dem schallgedämpften Arbeitssofa.

Bis es zu viel wurde und das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten geriet. 2010 schließlich die Insolvenz. „Ich wurde dann zum Geschäftsführer bestellt und habe gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter alles getan, um das Werk meines Vaters zu retten“, berichtet Oliver Schneeberger. 2014 hat er schließlich das Unternehmen mit einem weiteren Gesellschafter zusammen aus der Insolvenzmasse gekauft und als Heliotron Deutschland GmbH umfirmiert.

„Mir war klar, dass das mehr sein musste als einfach eine Namensänderung“, sagt Schneeberger. „Wir brauchten ein anderes Image, ein anderes Marketing, denn wir waren eigentlich ein anderes Unternehmen als zuvor, bzw. mussten ein anderes Unternehmen werden.“

Eine der ersten einschneidenden Maßnahmen betraf den Vertrieb. In der Vergangenheit hatte sein Vater auf einen großen und starken Außendienst gesetzt – zum großen Teil über freie Handelsvertreter. „Doch das hat alles nicht mehr richtig funktioniert, die Vertriebswelt hatte sich einfach weiterentwickelt. Viel Aufwand für immer weniger Erfolg“, so Schneeberger.

Social Media statt Außendienst

Erst sollte ein internes Call-Center die Terminabsprachen für die Außendienstmitarbeiter übernehmen. Das ging auch ein paar Jahre leidlich gut, bis Schneeberger den Stecker gezogen hat. „Wir haben 2019 das Call-Center komplett eingestellt und setzen seitdem auf Inbound Sales mit einem starken Innendienst.“ Draußen unterwegs sind nur noch vier Menschen, dafür wurde intern deutlich aufgestockt. „Klinkenputzen hat sich einfach überlebt.“

„Wir wollten das alles so effizient und effektiv wie möglich gestalten“, meint Schneeberger. Und vor allem unabhängiger werden von den Kleinkunden mit einem Jahresumsatz von durchschnittlich 300 Euro. Ziel war, daneben auch Großkunden zu gewinnen – und bestehende kleinere Kunden zu entwickeln. „Heute bekommen wir Großaufträge in fünfstelliger Höhe, um die sich unser Key Account Management kümmert.“ Die kleineren Kunden betreut der Innendienst.

Wir brauchten ein anderes Image, ein anderes Marketing, denn wir waren eigentlich ein anderes Unternehmen als zuvor.
Oliver Schneeberger, geschäftsführender Gesellschafter, Heliotron Deutschland

Ambiente auf Instagram

Diese grundlegenden Veränderungen manifestieren sich auch im Marketing. Heliotron setzt stark auf Online – Retargeting, Suchmaschinenmarketing und seit kurzem auch Social Media. „Instagram ist ideal, weil wir mit Fotos zeigen können, wie unsere Produkte einen Raum verwandeln und Atmosphäre schaffen“, sagt Schneeberger. „Das ist, was wir eigentlich verkaufen – Stimmung und Gefühle.“ Und da sagt ein Bild mehr als Worte. Entsprechend aufwendig ist auch der Magazin-Katalog gestaltet. Und weil Ambiente und Atmosphäre alles sind, wollte das Unternehmen Anfang 2020 zum ersten Mal groß auf einer internationalen Gastro-Fachmesse ausstellen. Monatelang hatte sich das Team vorbereitet. Und dann kam Corona.

„Das hat uns natürlich schon ausgebremst“, sagt Oliver Schneeberger. Nicht nur die Messe fiel ins Wasser, sondern mit der Schließung von Hotels und Gaststätten lag zudem über Nacht ein bedeutender Absatzmarkt brach. „Wir mussten für die meisten Mitarbeiter Kurzarbeit anmelden. Und haben natürlich alle, soweit das ging, ins Homeoffice geschickt“, berichtet Schneeberger. Technisch war das kein Problem, denn Heliotron hatte in den Jahren davor massiv in Digitalisierung investiert und die Möglichkeit von Remote Work eingeführt.

"Wir verkaufen Ambiente" – das Credo des Firmeninhabers gilt selbst in den Waschräumen.

„Die ganze Firma war vom ersten Tag des Lockdown an weiter produktiv“, so Schneeberger. Und hat die Zeit genutzt, um sich ein völlig neues Geschäftsfeld zu eröffnen: den B2C-Markt. „Bis dato haben wir uns nicht an Privatkunden gerichtet, denn Flüssigwachserzeugnisse sind EU-weit für Privatanwender nicht zugelassen“, führt Oliver Schneeberger aus. Zwar arbeite man seit Jahren daran, das zu ändern und mache dabei auch Fortschritte, aber bis heute sind Leuchtmittel mit flüssigem Paraffin für Verbraucher verboten. „Doch es muss ja gar kein Flüssigwachs sein“, meint Schneeberger und zeigt sein neuestes Produkt: Eine Kunststoff-Form, die aussieht wie eine dicke Kerze, mit einer Mulde am oberen Ende. „Da setzt man einfach ein Maxi-Teelicht ein und hat eine große Kerze, ohne Wachstropfen und all die anderen Probleme." Schneeberger hat das Produkt „LUXE-Kerze“ getauft.

Neues Geschäftsmodell im Homeoffice entwickelt

Die Idee zur LUXE-Kerze kam während des ersten Lockdown im Gespräch mit Herstellern. Das Produktdesign erfolgte in Zusammenarbeit mit einem externen Designer. Auch das Prototyping, das Testing und schließlich die Aufnahme ins Portfolio geschahen im Wesentlichen aus den Homeoffices heraus. Die Verhandlungen mit Groß- und Einzelhändlern liefen quasi parallel zur Entwicklung, und mit dem Herbst ist die Vermarktung gestartet – zunächst einmal über die Cash & Carry-Märkte der Metro. Weitere Verkaufsstellen, insbesondere im Bereich Baumarkt, Dekorationsbedarf & Einzelhandel sollen folgen. Für den Handel hat Heliotron extra ein ausgefallenes Verkaufsdisplay konzipiert, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Dass wir den Schritt in einen für uns neuen Markt gewagt haben, mit einem eigens konzipierten Produkt – und das alles in einer Ausnahmesituation – zeigt mir, dass wir in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht haben. Unsere Mitarbeiter sind flexibel und anpassungsfähig und können schnell auf Herausforderungen reagieren. Das macht mich stolz“, sagt Oliver Schneeberger.

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Die Prozesse sind digitalisiert und automatisiert, aber das Analoge hat weiter seinen Platz.

Heliotrons Weg ist für ihn noch lange nicht zu Ende. Vor einigen Monaten hat das Unternehmen für seine Geschäftskunden ein Abomodell namens „Rent-a-Candle“ eingeführt. Geht bei einem Kunden der Flüssigwachsvorrat zur Neige – „den Zeitpunkt können wir ziemlich genau im Voraus berechnen“, so Schneeberger – bestellt er Nachschub oder bekommt ihn direkt geliefert. Das Angebot komme gut an, meint Oliver Schneeberger, denn Kunden hätten keinen organisatorischen Aufwand und vor allem klar kalkulierbare Kosten. „Das macht ihnen das Leben leichter und gibt uns Planungssicherheit.“ Ein Online-Shop für die Geschäftskunden steht kurz vorm Live-Gang, der Online-Shop für die LUXE-Kerze steht bereits. Marketing und Vertrieb sollen immer digitaler werden. „Und ein paar Ideen für neue Produkte haben wir auch noch in petto.“