Business Transformation Innovation

Die Basis aller Innovationen: Rahmen und Kultur

Deutschland braucht Innovationen. Doch ganz allein für sich werden Unternehmen es nicht schaffen. Sie brauchen Netzwerke, Ökosysteme und Plattformen. Und eine kooperationsbereite Kultur. Vor allem daran mangelt es, schreibt Deepa Gautam-Nigge im Buch "#EcosystemInnovation", das sie gerade bei Haufe herausgegeben hat. Ein Vorabdruck.

Foto: Rodion Kutsaev on Unsplash
Foto: Rodion Kutsaev on Unsplash

Ökosystem: Ein Geflecht aus Win-Win-Abhängigkeiten

Was genau ist ein Ökosystem? In der Biologie versteht man darunter ein reichhaltiges, adaptives und widerstandsfähiges Geflecht von Organismen. Diese stehen in verschiedenartigen Wechselbeziehungen zueinander: von Symbiose über Kollaboration bis zu Wettbewerb.

Laut Harvard-Professor Marco Iansiti bestehen Business-Ökosysteme aus "lose verbundenen Teilnehmern, die zum Zwecke der eigenen Wirksamkeit und des eigenen Überlebens voneinander abhängen". Sie pflegen symbiotische, sich ergänzende Beziehungen. Innerhalb eines Ökosystems liefern Schlüsselakteure mit ihren (heute meist digitalen) Plattformen den Dreh- und Angelpunkt für die Interaktion der Teilnehmenden. So prägen sie auch die Spielregeln des Systems.

Der Erfolg einer innovativen Plattform hängt in hohem Maße von einem funktionierenden digitalen Ökosystem ab.

Der Erfolg einer innovativen Plattform hängt jedoch in hohem Maße von einem funktionierenden digitalen Ökosystem ab. Und da liegt das Problem: In vielen Unternehmen scheitert dessen Aufbau am Fehlen einer kooperationsorientierten Kultur. Deshalb müssen Unternehmen vor allem ihr Selbstverständnis ändern. Sie sind kein abgekapseltes System mehr, das sich durch Abgrenzung von externen Experten und Wettbewerb definiert. Die Grenzen dieses Systems werden nun zur durchlässigen Membran, offen für den Austausch von Ideen und Gütern. Ein natürlicher bidirektionaler Austausch. So entstehen attraktive Möglichkeiten, mit dem rasanten technologischen Fortschritt mitzuhalten – beispiels- weise durch Start-up-Investments, -Akquisitionen oder -Kooperationen.

Innovation: Wer setzt die Standards von morgen – und warum?

Die Innovation von heute ist der Standard von morgen. Nehmen wir dieses Statement als gegeben hin, dann ist erst einmal fraglich, welche Rolle Deutschland noch für die Standardisierung der Weltwirtschaft spielt. Denn in allen wichtigen Rankings zur Innovationskraft fällt es diesem Land im internationalen Vergleich zunehmend schwer, seine Spitzenpositionen zu behaupten. In Sachen digitale Wettbewerbsfähigkeit sind wir während der Coronapandemie sogar noch weiter zurückgefallen.

#EcosystemInnovation
Der Sammelband, herausgegeben von Deepa Gautam-Nigge, geht der Frage nach, was Innovation möglich macht und wie das enge Zusammenspiel von Bildungswesen, Investor:innen, Unternehmen und Menschen helfen kann, Deutschland zukunftsfähig zu halten.
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„Was wir können, ist Strukturwandel. Was wir nicht können, ist Strukturbruch“, sagte Volkmar Denner, damals CEO von Bosch, im Dezember 2019. Ein Veränderungsprozess brauche Zeit. „Wenn man ihn dagegen dogmatisch übers Knie bricht, wird die Industrie den Wandel nicht bewältigen können.“ Das Problem ist nur: Diese Zeit haben wir leider nicht mehr.

Beispiel Bloomberg Innovation Index 2020: Auf den ersten Blick sieht Deutschlands Abrutschen von Platz 1 auf Platz 4 nicht so dramatisch aus. Die allermeisten Länder liegen ja schließlich immer noch hinter uns! Bei genauerer Betrachtung hängt unsere Position jedoch zu sehr vom Ruhm der etablierten Industrien ab. Positiv im Ranking wirkten sich unter anderem die Ausgaben der Autobauer Volkswagen, BMW und Daimler aus, die Milliardensummen in Elektromobilität und autonomes Fahren investieren. Auch Deutschlands Kapazitäten im Maschinenbau und die hohe Zahl der Hochtechnologieunternehmen tragen zur Position im Ranking bei. Der Abstand zu den Spitzenreitern Schweiz, Singapur und Belgien ist dennoch größer geworden. Mit dem Einbrechen der Innovationsausgaben 2020 setzt sich der Abwärtstrend der deutschen Innovationsdynamik seit 2014 fort. Vor allem die klassischen Hightech-Branchen wie Fahrzeugbau, Maschinenbau und Elektro haben in merklichem Umfang Investitionen zurückgefahren.

Verlässlich nach unten?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das jährlich erscheinende „IMD World Competitiveness Ranking“. Es vergleicht die 60 wettbewerbsfähigsten Länder der Welt.

Deutschland liegt aktuell auf Platz 17. 2018 waren wir noch auf Platz 15, 2016 sogar auf Platz 12. Der Trend geht also erschreckend verlässlich nach unten. „Deutschland bot in den vergangenen Jahrzehnten genau jene Investitionsgüter, die die Welt dringend brauchte: Maschinen, Produk tionsanlagen, Infrastruktur, aber natürlich auch Autos. Deutschland war so etwas wie der Baumarkt für den weltweiten industriellen Aufschwung, der Ausrüster der Welt“, schrieb Sebastian Matthes, Chefredakteur beim Handelsblatt jüngst in seinem Editorial. „Doch diese alte Welt mit ihren offenen Grenzen, allenfalls moderaten Handelsbeschränkungen und ökonomischen Ver- flechtungen – diese Welt ist bedroht.“

Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos, denn gerade jetzt könnten sich neue Chancen auftun.

Handlungsdruck erzeugt Fortschritt, und auch Krisen und Regulatorik eröffnen Möglichkeitsräume für Transformation und damit auch Innovation. Estland etwa hat nach der Abkopplung von der Sowjetunion sein Wirtschaftssystem nicht nur marktwirtschaftlich ausgerichtet, sondern neben dem klassischen Handel mit Rohstoffen wie Holz und Papier neue Wirtschaftszweige etabliert – mit einem starken Technologie-Fokus. So wurde unter anderem das Recht auf Internet im Grundgesetz verankert. Die dafür notwendige Infrastruktur bildete die Basis, um Verwaltung, Wirtschaft und Bildungssystem zu digitalisieren. Eine ähnliche Transformation sieht man auch in Polen: Laut Nasdaq verfügt das Land über einen der größten Tech-Talentpools in Europa. Das ist einer der Gründe, warum immer mehr etablierte Akteure in die polnische Tech-Szene investieren, darunter Intel, SAP oder Microsoft. In Irland wiederum haben eine radikale Öffnung und Flexibilisierung der Wirtschaft – auch für Wagniskapital – einen eindrucksvollen Aufstieg ermöglicht: Noch 1970 war das Land ein Failed-State-Kandidat mit 2,8 Millionen Einwohnern; heute spielt es in der Top-25-Liga der OECD, und seine Bevölkerung umfasst mehr als fünf Millionen Menschen.

#Ecosystem Innovation auf der Buchmesse
Innovation und Ökosysteme spielen auch auf dem Stand der Haufe Group auf der rankfuerter Buchmesse vom 19. bis 23. Oktober eine wichtige Rolle. Deepa Gautam-Nigge und einige Autor:innen des Buches werden die Themen in Paneldiskussionen vertiefen.
Zum Programm am Stand der Haufe Group

In den neuen techologieaffinen Märkten sieht man dann auch, dass Innovationslevel oft übersprungen werden – aus unterschiedlichen Gründen. So haben große Teile Afrikas die schlicht zu teuren herkömmlichen Computer weitestgehend ausgelassen und sind direkt mit einfachen Smartphones ins mobile Internetzeitalter gestartet. China wiederum hat bei den Zahlungsmethoden eine Abkürzung genommen: Während die westliche Welt von Bargeld auf Kreditkarten gewechselt ist und nun auf Mobile Payment umsteigt, hat China den Zwischenschritt übersprungen. Hier kann durchaus von „Leapfrogging“ die Rede sein – dem bewussten Entschluss, einen Innovationsschritt auszulassen, um die Anwendung auf eine nächste Produkt- oder in diesem Fall Technologiegeneration zu verschieben. Deshalb wird die Kreditkarte in China nur sporadisch bis gar nicht verwendet.

 

Ein solches Phänomen lässt sich nicht nur makroökonomisch bewerten, sondern auch auf Produkte und Lösungen anwenden. So ist zum Beispiel die Ära der CD als Tonträger im Übergang zwischen Schallplatten zu den Streaminganbietern wie Soundcloud oder Spotify vergleichsweise kurz aus- gefallen. Auch Elektromotoren sehen einige Fachleute als Übergangstechnologie zwischen dem seit über einem Jahrhundert existierenden Verbrennungsmotor und dem möglicherweise zukünftigen Antrieb durch Wasserstoff. Und wer weiß, welche Rolle die hocheffiziente Energiegewinnung durch Kernfusion – ein Thema, mit dem sich derzeit unter anderem das Münchner Start-up Marvel Fusion beschäftigt – in Zukunft spielen wird. Das Ziel ist es, Energie auf ähnliche Art und Weise zu erzeugen wie die Sonne. Beim Fusionsprozess verschmelzen zwei Atomkerne zu einem, in der Sonne etwa zwei Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern. Dabei wird in der Regel eine große Menge an Energie frei. Auch wenn die Entwicklung nur langsam voranschreitet, sind etliche Experten davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis zum ersten Mal „Fusionsstrom“ aus der Steckdose kommt. Da fossile Brennstoffe bald knapp werden, könnte die Kernfusion die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen ergänzen – oder sogar ersetzen?