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Tangram statt Puzzle: Kokreative Exzellenz in Ökosystemen

Analyse Die Autoren dieses Beitrags haben früh festgestellt, dass ihre Missionen einer wahren Exzellenz und kokreativer Ökosysteme ziemlich beste Freunde sind. In diesem Beitrag skizzieren sie, wie die Kombination doppelte Erfolge schafft – zum einen auf individueller, zum andere auf organisatorischer Ebene.

Foto: Hung Nguyen Phi on Unsplash
Foto: Hung Nguyen Phi on Unsplash

Kritik an der „reinen“ Effizienz!   

Die Wirtschaft steckt in einer Effizienzfalle. Die Optimierung des Bestehenden reicht nicht mehr für Erfolg in der Zukunft. Noch ist der Effizienzgedanke allerdings dominant. In einer nicht repräsentativen Umfrage eines der Autoren auf LinkedIn sagten annähernd 39 Prozent der Befragten, heute liege der Schwerpunkt ihres Unternehmens auf der Effizienz, nur fast 28 Prozent setzen den Schwerpunkt bei Exzellenz. Das wird sich in Zukunft allerdings ändern, wie eine zweite Umfrage zeigt. Demnach bestimmt der Exzellenzgedanke die Zukunft: Über 72 Prozent der Befragten sehen morgen einen starken Schwerpunkt bei Exzellenz, nur knapp über die Hälfte bei Effizienz.

Notwendig ist eine Evolution, die nach dem Manufaktur- und Industrie-Zeitalter ein neues „Ökosophie“-Zeitalter einläutet, das Effizienz und Effektivität verbindet und mit neuer Komplexitätsfähigkeit in einer neuen Logik der Zusammenarbeit in kokreativen Ökosystemen für wahre Exzellenz kombiniert.

Wie erklärt sich dieser Wandel? Mit der Digitalisierung verliert die operative Abwicklung standardisierter Prozesse und damit die Effizienzfähigkeit gegenüber Fähigkeiten wie Intuition und Innovation an Bedeutung. Das klassische Effizienzmanagement (Silos, Hierarchie!) begrenzt aber die Möglichkeitsräume für Intuition und Innovation, insbesondere für kokreative Innovation, zu sehr. Notwendig ist eine Evolution, die nach dem Manufaktur- und Industrie-Zeitalter ein neues „Ökosophie“-Zeitalter einläutet, das Effizienz und Effektivität verbindet und mit neuer Komplexitätsfähigkeit in einer neuen Logik der Zusammenarbeit in kokreativen Ökosystemen für wahre Exzellenz kombiniert.

Natürlich verliert Effizienz nicht völlig an Bedeutung. Aber sie entwickelt sich weiter. Nach den Standardisierungen und Komplexitätsreduzierungen des Industriezeitalters – das T-Modell von Ford konnte in jeder Farbe erworben werden, Hauptsache sie war schwarz – müssen Gesamtlösungen heute auch den Anforderungen an eine neue Effektivität genügen, die vor allem eine umfassende und agile Individualisierung und Kontextualisierung sicherstellt.

Die reine reduktionistische Effizienz-Logik mit ihren starren Strukturen und Lösungsschemata wird zurecht kritisiert, ebenso wie Perfektion ohne Freiräume, die nur bei ständiger Wiederholung möglich ist, oder eine Ergebnisorientierung, die den Shareholder-Value kurzfristig zu Ungunsten der Partner und der Zukunft optimiert. Vor allem das klassische Management engt die Möglichkeitsräume zu sehr ein. 

Wahre Exzellenz als Alternative! 

Um einen qualitativen Unterschied zu verdeutlichen, sei zunächst Goethe zitiert:

„In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung und sorgt für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen, Hilfen. Was immer du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Macht, Genius, Magie. Beginne jetzt.“ Johann Wolfgang von Goethe.

Was also genau ist Exzellenz? Im Rahmen vieler Exzellenz-Initiativen oder auch beim Klassiker „In Search of Excellence“ wie auch im deutschsprachigen Wikipedia wird man nicht befriedigend fündig, sehr wohl aber im englischsprachigen: Wikipedia

„Excellence is a talent or quality which is unusually good and so surpasses ordinary standards. It is also used as a standard of performance as measured e.g. through economic indicators“. Und vor allem: „The Ancient Greeks had a concept of arete which meant an outstanding fitness for purpose.“ – „This occurs in the works of Aristotle and Homer.“

Mit seinem trojanischen Pferd gelang Odysseus, woran die Griechen jahrelang scheiterten. Er nutzte dafür seine kreativen Fähigkeiten und Potenziale ganz im Sinne von Arete.

Homer realisierte in Idealform eine „Fitness for Purpose“. Im Wikipedia-Beitrag zu Arete liest man: „In its earliest appearance in Greek, this notion of excellence was ultimately bound up with the notion of the fulfillment of purpose or function: the act of living up to one's full potential. The person of Arete is of the highest effectiveness; they use all of their faculties – strength, bravery, and wit – to achieve real results. In the Homeric world, Arete involves all of the abilities and potentialities available to humans.“

Mit seinem trojanischen Pferd gelang Odysseus, woran die Griechen jahrelang scheiterten. Für den Zweck beziehungsweise „purpose“ der Eroberung Trojas setzte er nicht wie bisher auf geballte Macht und Ressourcen der vereinten Streitkräfte Griechenlands und vor allem nicht auf die ständige, „effiziente“ Wiederholung derselben Lösungsansätze, sondern auf eine neue List, womit dann die „outstanding fitness“ oder  das „Fullfilment“ der Eroberung gelang. Er nutzte dafür seine kreativen Fähigkeiten und Potenziale ganz im Sinne von Arete.

(Ko)Kreativ zu emergenten neuen Lösungen

Nicht das (Standard)-Wissen dominiert dabei das Erschließen des Neuen, sondern das Verstehen der Potenziale und ein Kombinieren auf das „emergente“ Neue hin. So ist kreative Wertschöpfung daher auch mehr Synthese als Analyse beziehungsweise mehr Tangram (Kombinatorik im Möglichkeitsraum) als Puzzle (Standardschema als eindeutige Zielvorgabe). Und diese Wertschöpfung muss dann in unserer Zeit noch kokreativ erfolgen, um neuer Komplexität gerecht zu werden.

Kreative Wertschöpfung ist mehr Synthese als Analyse .
Kreative Wertschöpfung ist mehr Synthese als Analyse .

Da diese „difference that makes a difference“ entscheidend ist, sei sie im Detail erläutert. In der folgenden Abbildung ist für alle ohne solche Kindheitserinnerung noch einmal der Unterschied von Tangram und Puzzle visualisiert.

Tangram statt Puzzle für Gestalten statt nur Optimieren.
Tangram statt Puzzle für Gestalten statt nur Optimieren.

Das Tangram bietet durch Kombinatorik und Anordnung einen fast unendlichen (kokreativen) gestalterischen Lösungsraum. Beim Puzzle ist das Ergebnis hingegen durch ein Lösungsschema fix vorgegeben. und man kann vor allem die Zeit optimieren, um das Schema abzuarbeiten. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Arbeitsformen. Beim Optimieren im Kontext des Puzzles wird auf Basis von (Standard)-Wissen und Analyse ein Weg gefunden und in Einzelschritten umgesetzt. Beim Gestalten erfolgt hingegen die Emergenz eines überraschend neuen Ganzen aus dem Verstehen von vorhandenen Potenzialen und einer zielorientierten Synthese.

Tangram liefert überraschende Ergebnisse. Ein Puzzle nicht.
Tangram liefert überraschende Ergebnisse. Ein Puzzle nicht.

Odysseus gelangte zu seiner Idee mit dem Pferd allein, mithilfe seiner eigenen Kreativität. Auch Tangram spielt man in der Regel allein. Wieviel größer wäre der Möglichkeitsraum, wenn sich die kreativen Fähigkeiten mehrerer Mitstreiter korrektiv kombinierten! Dennoch: Spätestens bei der Umsetzung musste Odysseus auf Kokreation setzen - und dies gilt sicherlich noch mehr bei den heute geforderten, deutlich komplexeren kreativen Lösungen. 

Beim Optimieren wird auf Basis von (Standard)-Wissen und Analyse ein Weg gefunden und in Einzelschritten umgesetzt. Beim Gestalten erfolgt hingegen die Emergenz eines überraschend neuen Ganzen aus dem Verstehen von vorhandenen Potenzialen und einer zielorientierten Synthese.

Wahre Exzellenz ist die neue Problemlösungspriorität, bei der weniger das Ausreizen letzter Optimierungspotenziale, sondern das kreative Erschaffen des Neuen im Vordergrund steht. Diese wahre Exzellenz erfordert aber ein Neudenken der Organisationen und Ökonomien, damit Exzellenz durch Kokreation „at Scale“ gelingt. Aber in welche Richtung ist neu zu denken?

Hier kann die sogenannte Service-Dominante Logik von Stephen L. Vargo und Robert F. Lusch ein Ausgangspunkt sein. Die Autoren fordern für eine exzellente Werterfahrung den Wandel von Produkten hin zu „Services“ (im Sinne von erlebter Werterfahrung im Nutzungskontext) und zu Kokreationen. Das hat Konsequenzen auf Märkte und Organisationen, die sich nach der Logik beider Autoren zu kokreativen „Ökosystemen“ wandeln müssen, damit sie eine optimale Werterfahrung durch individuellere, integriertere Services unterstützen können.  Was aber sind diese (Business) Ökosysteme?

Wahre Exzellenz ist die neue Problemlösungspriorität, bei der weniger das Ausreizen letzter Optimierungspotenziale, sondern das kreative Erschaffen des Neuen im Vordergrund steht.

Kokreative Ökosysteme für neue, wahre Exzellenz

Die Service-Dominante Logik liefert auch hierzu erste Antworten. Für die Forscher ist ein Service-Ökosystem ein „relatively self-contained, self-adjusting system of resource-integrating actors that are connected by shared institutional logics and mutual value creation through service exchange.”

Die kokreative Ökosystem-Logik ermöglicht neue Wertschöpfungen.
Die kokreative Ökosystem-Logik ermöglicht neue Wertschöpfungen.

Danach kann die Ökonomie insgesamt als ein fraktales Netzwerk von (Service-) Ökosystemen verstanden werden, wo in überlappenden Plattformen bzw. Räumen Kokreation stattfindet. Zum einen gilt es zum Beispiel, Kunden und Service-Anbieter auf neue Art kokreativ zu verbinden, um beispielsweise eine Individualisierung und Integration des Angebots zu ermöglichen. Zum anderen gilt es aber auch, im größeren Bild komplementäre Partner zu integrieren, damit integrierte Services möglich werden.

Wie aber unterstützen kokreative Ökosysteme generell die neue Exzellenz? Die Einengung der kokreativen Ökosystem-Logik auf eine bessere Service-Erfahrung ist unnötig. Auch in allen anderen Bereichen schaffen die geforderten kokreativen Möglichkeitsräume der Ökosysteme die Basis für umfassende, neue Exzellenz. Exzellente Unternehmen schaffen sich schon im Rahmen ihrer Strategie, vor allem im Rahmen von Purpose und Vision, große Möglichkeitsräume. Diese Logik können sie aber „fraktal“ auch deklinieren, indem sie generell im Unternehmen jenseits reiner Effizienzstrukturen auf kokreative Räume und auf eine Logik der Kombinatorik und der Emergenz von Innovationen setzen.

Exzellente Unternehmen schaffen sich schon im Rahmen ihrer Strategie, vor allem im Rahmen von Purpose und Vision, große Möglichkeitsräume.

Denn die kokreativen Visionen werden keineswegs Wirklichkeit, wenn sie in Silos und mit einer entkoppelnden Dekomposition beziehungsweise Analyse umgesetzt werden sollen. Vielmehr gilt es auch in tieferen fraktalen Teil-Ökosystemen (Teams, Tribes, Chapters, ...), das große Ganze zu sehen und aus dem Verstehen und Kombinieren von Teilen zur Synthese oder zur kokreativen Emergenz des Neuen zu kommen.

Einer der Autoren dieses Beitrags schlug 2000 bis 2003, unter anderem im Rahmen des Kompetenz-Netzwerks Marine, die duale Kompetenz-Netzwerk-Organisation vor. Diese sah eine kombinatorische Kokreation durch Markt- und Kompetenz-Teams vor, indem aus den Kompetenz-Teams heraus notwendige Fähigkeiten in Kunden-Teams zusammengeführt werden. Dem Zeitgeist folgend können wir auch von einer kokreativen Ökosystem-Organisation oder von Squads, Tribes, Chapter, Guild sprechen. Der Name ist unwichtig, wichtig ist allein der kombinatorische Charakter, der aus Potenzialen neue Kokreationen schafft.

Die duale Kompetenz-Organisation
Die duale Kompetenz-Organisation

So wird nicht nur in diversen Teams Kokreation durch die Tangram-Logik möglich, sondern die Organisationslogik wird vielmehr in ihrer Kombinatorik an die Tangram-Logik angepasst. Jenseits operativer Teil-Methodiken wird hier wirklich die Logik der Adam-Smith- und Frederick-Taylor-Ökonomie fundamental überwunden.

So weit, so gut, so theoretisch. Wie aber gelingt eine fraktale Operationalisierung, um systematisch zu neuer Exzellenz in kokreativen Ökosysteme zu gelangen? Hier kann – bei allen damit verbundenen Einstellungs-Problemen – auf bekanntes kokreatives Handwerkzeug, das Design Thinking, zurückgegriffen werden.

Operationalisierung für kokreative Exzellenz

Erweitert man die klassischen Fragen des kokreativen Design Thinking (Why, For whom, What, How, What, When, …) nun im größeren Bild um die komplementäre kokreative Ökosystem-Perspektive, dann stellt sich eine weitere Frage nach den Partnern im kokreativen Ökosystem (Mit wem? Womit?) und eine Frage zu geeigneten gemeinsamen Möglichkeitsräumen / Plattformen (Wo?).  Natürlich müssen auch die klassischen Fragen („How“) neu in einer kokreativen Ökosystem-Logik beantwortet werden. Das Ergebnis: 7 W-Fragen beziehungsweise 7 P-Antworten, die man mit neu gedachten Design Thinking-Methoden klären kann. 

Selbst ein Netzwerk: Die 7 W-Fragen und 7 P-Anworten.
Selbst ein Netzwerk: Die 7 W-Fragen und 7 P-Anworten.

Der Anschluss des 7W / 7P-Modells an die Design-Thinking-Methoden hat eine Vielzahl von Vorteilen, birgt aber auch Nachteile. Design Thinking und die damit verbundenen Teilmethoden (Persona-Analyse, Value Proposition, ...) genießen mittlerweile eine hohe Bekanntheit und werden systematisch unterstützt.  Für jedes einzelne W oder P gibt es eigene Schemata zur Strukturierung des kreativen Prozesses wie „Context Maps“, „Emapthy Maps“ etc. Schon diese Formulierung zeigt das Dilemma: Oft landen solche Kokreations-Übungen doch in den Fallen von schematischen, dekomponierenden kollektiven Zettel-Übungen. Viele Zettel bilden noch keine gelungene Tangram-Kombination.

Es geht um ein agiles Erkennen und Gestalten der Bedarfe und Potenziale im eigenen Ökosystem. Im Zentrum stehen neue Freiheiten im Rahmen einer gelebten, unternehmerischen Vision in fraktalen kokreativen Möglichkeitsräumen, wie immer man sie auch nennt.

Am Ende münden die erarbeiteten Ergebnisse potenziell in einem modifizierten Canvas für Business Excellence auf Basis von kokreativen Ökosystemen. Aber wie gesagt: Der Nachteil klassischer Teil-Methoden/ Tools wiegt schwer. Trivialisierende Geschäftssysteme-Graphiken zeigen nicht, worauf es ankommt. Daher liegt der Clou bei diesen Teil-Methoden nicht darin, was man tut, sondern wie es man tut. Oder kompakter formuliert: Auch fraktal und kokreativ Tangram statt Puzzle!  Nach dem Vorgesagten dürfte klar sein, dass schematische Puzzles ohne Gestaltungsfreiheit für die reine Effizienz-Logik stehen, während das kokreativ zu nutzende Tangram die neue Arbeits- und Organisations-Logik repräsentiert, von der kokreativen Strategie bis zur kokreativen Operationalisierung in der gesamten Organisation bzw. dem Ökosystem.

Die bisherigen Aussagen sollen klar gemacht haben, dass nur eine ganz neue Business-Logik zur Exzellenz führt. Es geht nicht mehr um perfekte Analyse, Konzeption und Umsetzung.  Gekoppelt wird nicht mehr durch starre Pläne, Struktur schaffen nicht mehr unbewegliche Silos. Es geht um ein agiles Erkennen und Gestalten der Bedarfe und Potenziale im eigenen Ökosystem. Im Zentrum stehen neue Freiheiten im Rahmen einer gelebten, unternehmerischen Vision in fraktalen kokreativen Möglichkeitsräumen, wie immer man sie auch nennt.

Es ist nicht falsch, das als „Kulturrevolution“ zu bezeichnen.

PS: Apollo 13 – kokreative Exzellenz für das Eckige ins Runde

Ein wunderbares Beispiel für kokreative team-übergreifende Exzellenz ist die Rettung der Crew von Apollo 13. Hier gelang es, kokreativ „das Eckige mit dem Runden“ zu verbinden, wo zuvor unabgestimmte Silos fast zur Katastrophe durch inkompatible Teillösungen führten. Wer diese Formulierung nicht einordnen kann, dem sei dieses Video empfohlen. Am Ende werden die wildesten Komponenten kombiniert, um doch noch Sauerstoff für die Crew bereitstellen zu können.