Business Strategie Customer Experience

Kundenkultur? Na klar, haben wir längst!

Analyse Was man allerorten von Managern hört, lohnt sich zu hinterfragen. Nicht jede Firma, die ein Lippenbekenntnis zu Kunden abgibt, ist auch wirklich kundenorientiert. Höchste Zeit also zu klären, was eigentlich Elemente einer Customer Experience-Kultur sind. Und warum die auch in den nächsten Jahren weit akzeptiert, aber nicht operativ umgesetzt wird, meint Gastautor Nils Hafner.

Information allein macht noch keine Kundenorientierung. Aber ein Anfang ist sie. Foto: Roman Kraft, Unsplash
Information allein macht noch keine Kundenorientierung. Aber ein Anfang ist sie. Foto: Roman Kraft, Unsplash

Erste Frage: Was ist eigentlich "Kultur"?

Das weithin anerkannte Oxford Dictionary definiert Kultur als: „Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“. So weit, so nice. Es geht also um Höherentwicklung. Und damit passt es wunderbar in den von Harald Henn und mir entwickelten CEX Trendradar zur systematischen Weiterentwicklung des Customer Experience Management.

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Der CEX Trendradar

 

Doch was sind denn Elemente einer solchen Höherentwicklung? Naja, als erstes muss man mal wissen, WOHIN man sich denn entwickeln will. Das sollte (weil höher) dann ja ein attraktives Zielbild sein, das auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein erstrebenswerter Zustand ist. Eine Vision sozusagen.

Wir erinnern uns: Mitarbeiter sind an 60 Prozent aller begeisternden und 70 Prozent aller frustrierenden Kundenerlebnisse beteiligt.

Nun hat ein deutscher Bundeskanzler mal gesagt, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Dementsprechend sollte so eine Vision auch greifbar sein sowie erwartungs- und erlebnisbildend sein. Es ist zwar ein altes Beispiel, aber nach wie vor tragfähig: Die Vision von Ritz-Carlton „We are Ladies and Gentlemen serving Ladies and Gentlemen". Und da ist ja nun alles drin. Vom Selbst und Fremdbild (der Kunde ist NICHT König), über eine Erwartungshaltung an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch an das Verhalten der Kunden. So eine Vision kann man wunderbar mit Spielregeln der angestrebten Kundenbeziehung, aber auch mit ganz konkret gestalteten Kundenerlebnissen ergänzen, bei denen sich die Kunden ganz bewusst als „Ladies und Gentlemen“ empfinden. Wenn das kein angenehmes Erlebnis ist. Ritz-Carlton hat das in den sogenannten Gold-Standards, die noch auf den Gründer, den Schweizer César Ritz zurückgehen, zusammengefasst. 

Die Vision von Ritz-Carlton „We are Ladies and Gentlemen serving Ladies and Gentlemen". Da ist ja nun alles drin.

Gesamthaft ist kulturell wichtig, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Kunden als denjenigen wahrnehmen, der in der letzten Konsequenz die Löhne zahlt. Ohne Kunden kein Geld, und da es nachgewiesenermassen viel einfacher ist, bestehenden Kunden etwas zu verkaufen als Neukunden, sollte man sich hier auf das Kundenerlebnis konzentrieren, das den Kunden zum Wiederkommen und Weiterempfehlen bringt.

Für Sie als regelmäßige Leser aktueller Management-Literatur sicher ein Nobrainer. Aber im Unternehmensalltag erstaunt, wie häufig man diesen Sachverhalt mantramäßig wiederholen und in die Köpfe und Herzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterer bringen muss. Und damit sollte man auch überprüfen, ob man eigentlich die richtigen Leute an Bord hat, die über das richtige Einstellungsset verfügen. Damit wiederum verbindet sich die Frage, welche Mitarbeiter man eigentlich einstellt. Wir erinnern uns: Mitarbeiter sind an 60 Prozent aller begeisternden und 70 Prozent aller frustrierenden Kundenerlebnisse beteiligt. Das hat die Firma Esch Brand Consultants schon 2017 in einer umfangreichen Studie herausgefunden.

Und in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was diese Mitarbeitenden in Bezug auf Customer Experience Management eigentlich wissen und können. Im Bereich des „CX-Design“ als Ausdruck von Customer Journey Mapping und der Gestaltung einzelner Kundenerlebnisse an einzelnen Touchpoints haben Unternehmen in den letzten Jahren enorm dazu gelernt. Doch das sind taktische Fähigkeiten, die von CX-Experten als Abteilung ausgeführt werden. Im Verhältnis zu allen Mitarbeitenden des Unternehmens ist die Zahl der Angestellten in diesen Abteilungen erstens verschwindend gering und zweitens oftmals hierarchisch nicht wirklich gut verankert, um echte Kundenorientierung durchzusetzen.

Strategische Kompetenzen fehlen in Sachen Customer Experience

Es fehlt aber an strategischen Kompetenzen, angefangen von purem Methodenwissen, aber auch an operativen Mitarbeiterkompetenzen für eine echte Kulturveränderung. Und genau dieses Problem der fehlenden Kompetenzen ist grundlegend. Denn ohne Kompetenzen keine definierte CX-Strategie, und ohne CX-Strategie keine CX-Kultur. Und das ist der Hauptpunkt, warum wir im CEX-Trendradar davon ausgehen, dass CX-Kultur noch lange "akzeptiert", aber nur bei wenigen Unternehmen gut umgesetzt wird. Und das hier spezifisches Differenzierungspotential zwar brachliegt, aber auch am komplexesten zu verwirklichen ist.

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Entwicklung des Trends CX Kultur

Nur: Was braucht man eigentlich alles für eine Kulturveränderung? Grundsätzlich kann man viele Konzepte und Instrumente konzipieren und angewenden, um die Organisation und viele Mitarbeiter sukzessive in Richtung "Kunde" zu verändern. Doch generell fragt man sich, wo Anreize für die Mitarbeiter eines Unternehmens liegt, noch empathischer und noch leidenschaftlicher für den Kunden zu agieren, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Wir sprechen da von Employee Experience. Und was wir darunter verstehen, möchte ich am Beispiel der Service-Profit-Chain erläutern.

Ein herzliches Hallo von der Service Profit Chain

26 Jahre alt ist sie schon, die Service-Profit-Chain. Letztes Jahr Silberhochzeit. Gutes altes Konzept. Man sollte daher davon ausgehen, dass der eine oder andere Manager schon mal etwas davon gehört hat. Der Grundgedanke dieses Konzepts „zufriedene Mitarbeiter generieren zufrieden Kunden“ erfährt dieser Tage Wiederauferstehung als „Employee Experience“. Wow. Das bestätigt die alte These meiner Schwiegermutter, dass man Sachen nur lange genug aufheben muss, irgendwann werden sie schon wieder modern. Recht hat es, das Schwiegi.

Ohne Kompetenzen in Kundenorientierung keine definierte CX-Strategie, und ohne CX-Strategie keine CX-Kultur.

So sprechen die Autoren der Service-Profit-Chain James L. Heskett, W. Earl Sasser, and Leonard Schlesinger von interner Servicequalität als Treiber von Mitarbeiterzufriedenheit, welche dafür sorgt, dass Mitarbeiter länger im Unternehmen bleiben und (auch dadurch) produktiver werden. Kunden, die ja eine schnelle, kompetente und sympathische Lösung ihres Anliegens erwarten, erhalten diese durch die angesprochene Produktivitätssteigerung. So entsteht externe Servicequalität und damit Kundenzufriedenheit. Super Theorie.

Die Service Profit Chain
Die Service Profit Chain

Interessant ist dabei die Frage, was „Interne Servicequalität“ oder neudeutsch „Employee Experience“ eigentlich bedeutet. Wo liegen denn genau die Stellhebel, um wirklich für ein besseres Kundenerlebnis zu sorgen? Heskett und Kollegen nennen hier vier Managementbereiche: Die Auswahl der Mitarbeiter, die Gestaltung des Jobs an sich, die Arbeitsplatzgestaltung, Wertschätzung, Awards und Anerkennung, aber auch die Werkzeuge, mit denen an der Kundenfront gearbeitet wird.

Kundenkultur: Was heißt das konkret?

Beginnen wir doch einmal mit der Auswahl der Mitarbeiter:

  • Welche Mechanismen habe ich als Unternehmen, um diejenigen zu identifizieren, die sich besonders gut mit meiner kundenorientierten Vision identifizieren können?
  • Woran erkenne ich, wer bereit ist, für diese Vision zu arbeiten und wer seine Kraft daraus schöpft, dieser Vision näher zu kommen?
  • Wie häufig ist die Vision Bestandteil von Einstellungs-, Beratungs- oder Karrieregesprächen?
  • Wie kann der Beitrag des einzelnen gemessen werden?

Mit diesen vier Fragen sind Unternehmen an und für sich gut in der Lage, eine systematische Vorwärtsentwicklung anzustoßen und zu steuern.

Eine Kundenerlebnis-Kultur im Unternehmen beginnt schon beim Recruiting. Wer ist bereit, für diese Vision zu arbeiten?

Doch damit nicht genug. Wie sehen die Werkzeuge aus, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Lage versetzen, ihre Einstellung und ihre Kompetenzen beim Kunden voll auszuschöpfen? Das gilt für den Arbeitsplatz genauso wie für IT Systeme. Hier kommt vor allem das CRM-System ins Spiel. Macht es den Menschen Freude, das CRM-System zu bedienen? Finden sie alles, was sie brauchen? Oder kostet die Systembedienung primär Zeit und Nerven?

Seit mehr als 15 Jahren haben wir in der Beratung diese Frage zu einem der entscheidenden Auswahlkriterien für die Evaluation von CRM- und Kundenkontaktlösungen gemacht. Ohne die Stimme der maßgeblichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine Systemevaluation komplett für die Füchse. Daten werden nicht eingetragen, das System wird zu wenig genutzt, es entsteht keine Routine und keine Erfahrung. Das Problem mit einer solchen Vorgehensweise: „Cool“ ist kein Beurteilungskriterium für das Top-Management. Die Bedeutung von User Experience eines Systems muss also vermittelt und quantifiziert werden. 

Noch einmal für alle zum Mitschreiben: Nur zufriedene, produktive, gut ausgebildete und systemmäßig unterstützte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen für zufriedene Kunden.

Wertschätzung, Awards und Anerkennung sind so ziemlich das Gegenteil des momentanen Gejammers in den sozialen Medien, dass es sich bei „Customer Experience Management“ um ein furchtbar komplexes Thema handle. Dem ist nicht so. Gerade selbsternannte Experten für dieses Thema demontieren sich gegenüber gestandenen Entscheidungsträgern in Großunternehmen selber. Denn die Manifestation in den meisten Unternehmen ist häufig denkbar einfach: „Für den Kunden denken und vorausdenken.“ So beschreibt es ein sehr erfolgreicher Contact Center-Leiter eines großen Schweizer Finanzdienstleisters. „Wir lösen nicht nur das Problem des Kunden, sondern erklären auch, warum es aufgetreten ist und zeigen auf, wie der Kunde das vielleicht sogar selbst beheben kann.“ Solche vom Kunden her gedachten Leistungen sucht dieser Manager beim einzelnen Mitarbeiter gezielt und zeichnet diese aus. Darüber wird unternehmensintern berichtet als „Best Practice“, es gibt die Auszeichnung von „Customer Champions“. By the way auch das nichts Neues: McDonald's macht das mit dem „Mitarbeiter des Monats“ seit Jahrzehnten. Immerhin nach wie vor der weltweite Marktführer in Fast Food. Egal, wie man dazu steht. 

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Entwicklung von Employee Experience Management (EXM)

 

Ja, und wie entwickelt sich das Thema nun?

Auch EX, „Employee Experience“, ist eines der 18 Trendthemen des CEX-Trendradars. Und da kommen wir wieder zurück zur Service Profit Chain und zur Frage, warum dieses Kind mit „Employee Experience“ wohl einen neuen Namen braucht: Da tut sich nix! Oder zu wenig. Nur wenige HR-Abteilungen in der DACH Region sind strategisch aufgestellt. Als Ausnahmen kann man seit jeher die weltweit tätigen Beratungen im Strategie, Prüfungs- und Implementationsbereich sehen. Und auch einzelne Pharmafirmen scheinen diese Zusammenhänge verstanden zu haben. Für alle anderen hier noch einmal: Nur zufriedene, produktive, gut ausgebildete und systemmäßig unterstützte Mitarbeiter sorgen für zufriedene Kunden. Nur: Wer ist der Mood-Manager, der EX aus dem Dornröschenschlaf der „agilen Prototypen“ holt?

Vielleicht 2022 ...

Führung. Dringend. Gesucht.