Business Strategie

Voodoo-Zauber gegen Krisen

Kommentar Die Welt des neuen Managements ist voller hochtrabender Begriffe und gut gemeinter Ratschläge. Was davon aber bewährt sich im harten Alltag eines Interim- und Turnaroundmanagers? Bodo Antonic gibt Antworten. Diesmal: „Risk Management“.

Risikomanagement erlebt Boom

Auch wenn die Konjunktur infolge der Pandemie lahmt, ein Thema hat auf jeden Fall Konjunktur: Risk Management. Überall entstehen neue Leitfäden, Experten schießen wie Pilze aus dem Boden und Veröffentlichungen aller Art machen die Runde.

Krisenscan
Der Krisenscan, den unser Kolumnist Dr. Bodo Antonic Anfang des Jahres ins Leben gerufen hat, erhebt tagesaktuell, wie Mitarbeiter:innen und Top-Führungskräfte die Krisenreaktionsfähigkeiten ihres Unternehmens einschätzen. Kleiner Spoiler: Die Einschätzungen gehen weit auseinander.
Zum Krisenscan

Das sollte mir willkommen sein, denn immerhin bade ich als Krisen- und Turnaroundmanager in meinen Einsätzen häufig aus, was in diesem Bereich versäumt oder vernachlässigt wurde. Doch leider schwächelt die Disziplin an entscheidenden Stellen.

Drei Unzulänglichkeiten im klassischen Risikomanagement

Denn Risikomanagement, wie wir es überwiegend betreiben,

  • krankt an einer verkorksten Einstellung gegenüber Risiken,
  • kommt fast ausschließlich als Controllingübung daher und
  • vernachlässigt häufig den entscheidenden Aspekt, wie man eingetretene Risiken, auch gern Krisen genannt, bewältigt.

Darum Schritt für Schritt.

Problem verkorkste Einstellung

Das klassischen Risk Management zielt darauf ab, Risiken abzuschätzen und zu vermeiden. Sie sind das schlechthin Schlechte, weil sie unsere Pläne und Routinen durcheinanderbringen. Risiken flößen uns Angst ein und verursachen Lähmung, die Unternehmen dann mit Planung und Kontrolle bekämpfen. Quasi Voodoo-Zauber gegen Gefährdungslagen.

Risikomanagement, wie wir es überwiegend betreiben, krankt an einer verkorksten Einstellung gegenüber Risiken.

Kann das richtig sein? In dieser Zuspitzung sicher nicht.

Denn viele Chancen gibt’s nicht ohne Begleitrisiken. Und viele Chancen erkennen wir erst in der Krise. Schließlich macht uns die Bewältigung von Krisen auch fitter und hält uns beweglich. Das sehen wir selbst in der gegenwärtigen Pandemie. Natürlich wäre es besser gewesen, wir alle hätten dieses Risiko deutlicher auf dem Schirm gehabt und wären in den Unternehmen besser vorbereitet gewesen. Dennoch ergeben sich positive Effekte: Corona verleiht der Digitalisierung Schub, stellt blauäugig konzipierte Lieferketten auf die Probe und öffnet uns die Augen, dass nicht jede Besprechung mit einer Dienstreise verbunden sein muss.

Nun zum zweiten Punkt.

Problem überbürokratisierte Praktiken

Wer betriebswirtschaftliches Denken alter Schule in Reinkultur erleben will, der sollte sich ins Risikomanagement stürzen. Ein Tummelplatz für alle, die komplexe Welten strukturieren, quantifizieren und in Excel pressen wollen. Ein Paradies für Menschen, die gerne Kategorien bilden, Wahrscheinlichkeiten berechnen und Schwellenwerte definieren.

Viele Chancen gibt’s nicht ohne Begleitrisiken. Und viele Chancen erkennen wir erst in der Krise.

Doch wenn das alles so belastbar wäre, warum wirft uns dann ein Virus aus der Bahn, warum sprengt ein feststeckendes Schiff im Suez-Kanal unsere Lieferketten, warum kann ein „Fraud-Risiko“ im Falle Wirecard sich zu einer Systemkrise auswachsen?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Tabellen, Tools und Handbücher haben natürlich einen Nutzen. Sie sind die ausgefeilte Antwort auf rechtliche Vorgaben an gute Unternehmensführung und dienen dem Versicherungsschutz.  Aber sie können, wie die Beispiele zeigen, eben nicht den Eintritt von Risiken in jedem Fall verhindern. Genauso wenig schulen sie ganz praktisch Menschen und Organisationen darin, die dadurch ausgelösten Krisen zu meistern.

Deshalb ist für mich der dritte Punkt so wichtig: Die Befähigung der Akteure, Risiken, die uns bei ihrem Eintritt als Krisenphänomen aus dem Gleichgewicht bringen, professionell und unaufgeregt zu bewältigen. Das ergibt sich nicht aus der Aufstellung von Plänen und der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten.

Der entscheidende Hebel: Praktische Vorbereitung auf Krisen

Hier braucht es

  • Maßnahmen zur Sensibilisierung aller im Unternehmen für Krisenszenarien und Krisensymptome (die Risikobetrachtung bildet dafür einen sinnvollen Einstieg!)
  • die Einübung von Reaktionsmustern in der Bewältigung bekannter Risiken (der trainierte Feueralarm ist nur der Anfang!)
  • definierte Handlungs- und Entscheidungsspielräume bei der Bewältigung von unvorhergesehenen Krisen (Formalitäten behindern hier oft die adäquate Krisenreaktion!)
  • ein geteiltes Bild von Führung, das auf Vertrauen basiert und Durchgreifen der Verantwortlichen im Krisenfall ermöglicht (für basisdemokratische Entscheidungsfindung fehlt oft die Zeit und den Beteiligten die Expertise!)
Gutes Risikomanagement stellt für mich nicht in den Vordergrund, wie man Risiken vermeidet und klein- oder großrechnet. Es fokussiert vielmehr darauf, wie man mit dem Eintritt von Risiken umgeht.
Bodo Antonic

Die Störung von Routinen muss schon in guten Zeiten eingeübt sein, dann lernen alle im Ernstfall unaufgeregt und effektiv mit ihnen umzugehen. Gutes Risikomanagement stellt für mich daher nicht in den Vordergrund, wie man Risiken vermeidet und klein- oder großrechnet. Es fokussiert vielmehr darauf, wie man mit dem Eintritt von Risiken umgeht. Das macht gelassener, hält die ohnehin bei Menschen recht ausgeprägte Risikoaversion im Schach und erhöht die Krisenreaktionsfähigkeit im Unternehmen. Und genau darum muss es gehen.