Business Transformation Innovation

Beyond Digital: Die Große Transformation

Das Buch „Beyond Digital“ sei ein Meilenstein im Reifungsprozess in Richtung „Großer Transformationen“ statt kleiner Effizienz-Optimierungen und anderer Cargokulte wie Digital Labs, meint Winfried Felser. Er skizziert ein „Eco Thinking“-Vorgehen als Basis für die systematische Herleitung der Transformation im Rahmen der neuen Logik.

Foto: Ivan Bandura on Unsplash
Foto: Ivan Bandura on Unsplash

Digitale Cargokulte versus Beyond Digital

Jahrelang hat der Autor dieses Beitrags kritisiert, dass wir „Digitalisierung“ oder die „Digitale Transformation“ als Selbstzweck betrachten, vor allem, wenn sich Digitalisierungsbemühungen im schlimmsten Fall in einer Vielzahl von digitalen Cargokulten wie reinen Effizienzoptimierungen oder isolierten Digital Labs ohne wirkliche Anschlussfähigkeit konkretisierten. Zugleich dienten „Next“- und „Beyond“-Initiativen zu HR, CRM, MES (Manufacturing Execution System) und vielen anderen Kompetenzgebieten im Rahmen der #NextAct-Events immer wieder dazu, den Fortschritt an Erkenntnis und echter Transformation zu unterstützen.

Vor sechs Jahren bildete ein „Beyond Digital“-Beitrag des Autors dafür den Auftakt und eine Alternative zu den Cargokulten. Damals ging es noch um „the Power of Purpose, Networks and Technology for Value@Scale“. Heute würde man eher von Ecosystems (statt Networks) und Platforms (statt Technology) und von Cocreation sprechen, um den aktuell populären Begrifflichkeiten zu entsprechen. Zudem war der Beitrag eher theoretisch bzw. kybernetisch und zielte weniger auf heuristische Vorgehensweisen bzw. Strategien und noch weniger auf Empirie.

Beyond Digital – 7 strategische Imperative

Wie froh ist man als Autor, wenn sechs Jahre später ein Buch unter genau diesem „Beyond Digital“-Titel erscheint mit dem Untertitel „How Great Leaders Transform Their Organizations and Shape the Future“. In Beyond Digital identifizieren Paul Leinwand und Matt Mani von Strategy&, auf Grundlage umfangreicher Forschung sieben Imperative, denen Führungskräfte im digitalen Zeitalter folgen sollen:

  1. Reimagine your company's place in the world
  2. Embrace and create value via ecosystems
  3. Build a system of privileged insights with your customers
  4. Make your organization outcome-oriented
  5. Invert the focus of your leadership team
  6. Reinvent the social contract with your people
  7. Disrupt your own leadership approach

Kundenorientierte, kokreative Ökosysteme

Die Begeisterung für dieses Werk beschränkt sich dabei aber nicht nur auf die Wahl des gleichen Hashtags #BeyondDigital. Vielmehr atmet das Werk den Geist jener ökonomischen Logik, die der Autor dieses Beitrags vor über 20 Jahren als Mitgründer eines Fraunhofer-AZ für eine netzwerkorientierte (logistikorientierte) BWL als Competence-Network- bzw. -Networking-Logik bezeichnet hatte und jetzt als Logik einer kundenorientierten, kokreativen Ökosystem-Ökonomie bezeichnet.

Nicht erst der zweite strategische Imperativ „Embrace and create value via ecosystems“ atmet diesen Geist. Schon „Reimagine your company's place in the world“ bedeutet eigentlich auch immer, einen Platz im Ökosystem einer neuen Ökonomie zu finden und durch die eigenen Ökosysteme erfolgreich zu sein. Die weiteren Imperative 3 und 4 sowie 5, 6 und 7 sind dann Ausdruck neuer Markt- und Kundenorientierung von Ökosystemen und ihrer neuen partnerschaftlichen Kokreation jenseits der alten Hierarchie- und Silo-Logik.

Für die Vorstellung kokreativer Ökosysteme ist übrigens die sogenannte Service-Dominante Logik von Stephen L. Vargo und Robert F. Lusch ein Ausgangspunkt. Die Autoren fordern schon sehr früh für eine exzellente Werterfahrung den Wandel von Produkten hin zu „Services“ im Sinne von erlebter Werterfahrung im Nutzungskontext („value in use“). Das hat auch Konsequenzen auf Märkte und Organisationen, die sich zu kokreativen „Ökosystemen“ wandeln müssen, um eine optimale Werterfahrung durch individuellere, integrierte Services zu unterstützen.

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Von der Produkt-Logik zur Plattform-Logik. Grafik: Winfried Felser

Was aber sind diese (Business) Ökosysteme? Die Service-Dominante Logik lieferte auch hierzu erste Antworten. Für die Forscher ist ein (Service-)Ökosystem ein „relatively self-contained, self-adjusting system of resource-integrating actors that are connected by shared institutional logics and mutual value creation through service exchange.” Danach kann die Ökonomie insgesamt als ein fraktales Netzwerk von Ökosystemen verstanden werden, wo in überlappenden Plattformen bzw. Räumen Kokreation stattfindet, wobei Grenzen der Ökosysteme durch gemeinsame institutionelle Regelungen der Kokreation bestimmt werden.

So weit, so gut. Was fehlt? Weder reine Theorie (wie oben) noch Fallbeispiele (wie im Buch „Beyond Digital“) allein bieten eine Systematik zur Herleitung der eigenen Transformationspfade. Hier gilt es eine methodische Lücke zu schließen.

Operationalisierung durch „Customer & Eco Thinking“

Design Thinking hat sich für die Herleitung von kundenorientierten Lösungen bewährt, u.a. durch die Unterstützung von Empathie und Ideenfindung. Wir haben für das Customer & Eco Thinking beim 7W/7P-Modell die  Kundenorientierung um die kokreative Ökosystem-Perspektive und den strategischen Rahmen erweitert.

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7 W-Fragen finden 7 P-Antworten. Grafik: Winfried Felser 

Das Ergebnis: 7 W-Fragen bzw. 7 P-Antworten, die man mit erweiterten Design Thinking-Methoden herleiten kann.  Für jedes einzelne W bzw. P gibt es eigene „Schemata“ zur Strukturierung des kreativen Prozesses wie „Context Maps“, „Emapthy Maps“ ... Vergleicht man das 7W-/7P-Modell mit den 7 Imperativen, so erkennt man die Nähe der Lösungsansätze und damit die Nützlichkeit von Design-Thinking-Ansätzen – bei allen Schwächen – für ein „Beyond Digital“.

7W-Fragen/7P-Antworten

7 Imperatives

Why, Why us? (Purpose)

Reimagine your company's place in the world

With Whom? (Partner, People)

Embrace and create value via ecosystems

For Whom? (Persona)

Build a system of insights with your customers

What? (Value Proposition)
How? (Cocreative Practices)

Where? (Dual Platforms)
When? (Prototypes)

Make your organization outcome-oriented

Invert the focus of your leadership team

Reinvent the social contract with your people

Disrupt your own (leadership) approach

 

Konkret: Universitäten als kokreative Ökosysteme

Das soll am Beispiel der Universitäten, Hochschulen und anderer Bildungsanbieter angerissen werden. Im Kontext (s. Bild 3) einer enormen Kompetenz-Dynamik, anspruchsvoller Stakeholder (Studierende, Alumni, Dozent:innen, Fördende, Gründer:innen, ...) und neuer und alter Wettbewerber müssen auch Universitäten, Hochschulen und Bildungsanbietern ihr „Why (us)“ neu klären bzw. eine Antwort auf den Imperativ „Reimagine your company's place in the world“ neu finden.

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Bildungsinstitutionen auf der Suche nach einem neuen Why. Grafik: Winfried Felser

Offline Standard-Abschlüsse im Rahmen einer klassischen Lehranstalt anzubieten, ist nicht mehr ausreichend. Innovatoren, wie das „Stanford-Spinoff“ Udacity, aber auch innovative deutsche Universitäten weisen den Weg hin zu neuen Wertversprechen und Erfolgsplattformen für ihr Ökosystem als neuem „Why“ bzw „Why us“.  Hierfür gilt es im Sinne von „Embrace and create value via ecosystems“ die heutigen Stakeholder zu mobilisieren wie auch neue Partner zu aktivieren. Hier sind Stakeholder als Partner mit ihren Kompetenzen im Netzwerk gefragt („With Whom?“). Zugleich sind sie auch „Kunden“ („For Whom“). Der Anspruch „Build a system of insights with your customers“ heißt dann zunächst im Rahmen einer Persona-Analyse aus Kundensicht die „Pains & Gains“ zu identifizieren (s. Bild 4).

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Pains & Gains im Bildungswesen. Grafik: Winfried Felser

Aus der Empathie sind dann neue „Jobs to be done“ bzw. neue Wertversprechen (Value Propositions, „What?“) als kokreative Mehrwerte und kokreative Practices („How?“) ableitbar. Udacity hat z.B. als Spin-Off von Stanford das Studium nicht nur für einzelne Vorlesungen virtualisiert („MOOCS“), sondern dann auch mit Micro-Credentials im nächsten Schritt atomisiert, so dass individualisierte Entwicklungspfade für Studierende möglich sind, bei denen dann zusätzlich Mentoren und Praxisprojekte die Qualität der Ausbildung erhöhen. Schließlich wurden für Studenten Stipendienprogramme mit Unternehmen realisiert und Reskilling als Transformationsprojekte für Unternehmen (B2B). Hier erkennt man wie fundamental sich Jobs to be done / Value Propositions ändern können, wenn man Fragen nach dem eigenen Platz in der neuen Ökonomie neu beantwortet und mit einer Ökosystem-Logik und Plattform-Technologie unterstützt. Mehr zu dieser „Großen Transformation“ erfährt man im Talk mit Holger Kobler.

Schlanke Plattformisierung für kokreative Ökosysteme

Nun klingt „Plattform“ nach enormen Investments, und wer möchte sich in der Plattform-Ökonomie schon mit den Giganten wie Udacity oder Google messen? 

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CRM-Systeme machen es vor: Der Weg zur Plattform ist nicht unbedingt mit gigantischen Investitionen verbunden. Grafik: Winfried Felser

Zum Glück existieren heute Möglichkeiten, der schlanken „Plattformisierung“, wo z.B. existierende CRM-Systeme als „headless Backend“ genutzt werden, um auf Basis existierender (Universitäts-)Portale über Standard-Apps und Schnittstellen zum CRM-System schlank und evolutionär die zuvor genannten bzw. gewünschten Plattform-Lösungen zu realisieren, ob es nun z.B. Events mit leistungsfähigen Online-Event-Management,  Karriere-Services oder sogar als B2B-Business Stipendien- und Transformationsprogramme für Unternehmen sind.

Ausblick

Die Komplexität der Gesamtthematik sollte hier natürlich nur angerissen werden. In der nahen Zukunft werden weitere kokreierte Beiträge sukzessiv die vorhandenen Lücken im großen Bild einer „Großen Transformation“ schließen.