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Anders Indset: „Wohin transformieren wir uns?“

Interview Der Wirtschaftsphilosoph Anders Indset macht in seinem Buch „Quantenwirtschaft“ den Vorschlag einer neuen Ökonomie.

Wohin entwickelt sich die Gesellschaft? Anders Indset entwirft in „Quantenwirtschaft“ drei Zukunftsszenarien.
Wohin entwickelt sich die Gesellschaft? Anders Indset entwirft in „Quantenwirtschaft“ drei Zukunftsszenarien.

Was kommt nach der „Digitalisierung?“ - Diese Frage stellt sich Anders Indset in seinem neu erschienenen Buch „Quantenwirtschaft“. Im Interview erklärt der Wirtschaftsphilosoph aus Norwegen, warum er die Auseinandersetzung mit der Zukunft als so wichtig erachtet, und wie er sich die Utopie vorstellt.

Anders, dein neues Buch heißt „Quantenwirtschaft“, bist du vom Philosophen zum Physiker geworden?

Anders Indset: Nein, aber ich definiere die Welt mit denselben Begriffen, mit denen sich auch die Quantenphysik beschäftigt. Die Welt ist nicht linear. Sie besteht nicht aus Nullen und Einsen, sondern sie ist merkwürdig, chaotisch und unendlich. Mein Buch handelt von einer anderen Realitätswahrnehmung der Wirtschaft, in der es nicht nur um Gewinnen oder Verlieren geht.

Wie erreicht man so eine andere Realitätswahrnehmung?

Mir geht es darum, dass wir die Kunst des Denkens neu für uns entdecken. Wir müssen in den Zwischenräumen der verschiedenen Disziplinen nach Fortschritt suchen und näher zusammenrücken. Das betrifft auch die unternehmerische Denkweise. Es geht um Agilität, Kollaboration, Ko-Kreation. Wir leben in einer interdependenten Welt, da brauchen wir unterschiedliche Meinungen. Wenn Unternehmen Neues kreieren wollen, bringt es nichts, wenn sie 15 Herren mit dem gleichen Haarschnitt, den gleichen Krawatten und der gleichen Ausbildung in einen Raum setzen, ihnen ein bisschen Geld geben und sagen, seid innovativ bis Freitag. Die Gesellschaft braucht die unterschiedlichen Sichtweisen, die bewusste Wahrnehmung davon und die Zusammenarbeit zwischen diesen Sichtweisen. 

Du schreibst im Vorwort deines Buches: „Die mögliche Synthese vermeintlich unüberbrückbarer Gegensätze ist ein radikal neuer philosophischer Ansatz. Auf ökonomischer Ebene führt sie zu meinem Konzept der Quantenwirtschaft – weil wir für einen Fortschritt unserer Gesellschaft, ja unserer ganzen Welt, eine ökonomische Motivation brauchen.“ Legst du den CEOs und Wirtschaftswissenschaftlern dieser Welt damit nicht viel zu viel Verantwortung in die Hände?

Das mag sein. Ich sehe aber keine andere Option. Wenn wir die gesellschaftlichen Herausforderungen meistern wollen, seien es die ökologischen oder die technologischen, brauchen wir Gestalter des Wandels. In den heutigen politischen Systemen sehe ich dafür keinen Ansatz. Die Aufrechterhaltung der Pseudo-Demokratie mit dem Nationalstaatengedanken und den Parteienstrukturen ist ein Bewahren und Verwalten, kein Gestalten. Ein anderer Ansatz der Aufklärung, in Form von Spiritualität, Meditation und Rückbesinnung, halte ich ebenso für nicht zielführend. Ich respektiere und schätze diese Initiativen, aber erstens sind sie nicht radikal und schnell genug und egal, wie man es dreht und wendet, diese Menschen sind ebenso Teil der Gesellschaft. Um zu ihrem Retreat zu gelangen, nutzen sie auch Straßen. Eine Stabilität in unserer Gesellschaft kann nur über die ökonomischen Parameter erfolgen. 

Was meinst du mit „Pseudo-Demokratie“ und dem „Nationalstaatengedanken“?

Unsere Gesellschaft funktioniert heutzutage lokal und global, aber nicht national. Mit „Pseudo-Demokratie“ meine ich, dass wir in Wahrheit nicht so frei und „demokratisch“ wählen können, wie es in der Theorie der Demokratie gedacht war. Erstens wählen wir in der Regel nur politische Vertreter, die in den festen Strukturen der Parteien agieren. Zweitens werden heutzutage durch Social Media und Internet einzelne Meinungen exponentiell und so schnell verbreitet, wie man es früher nie für möglich gehalten hätte. Das hat oft einen manipulativen Charakter. Und drittens werden Menschen in der Flut von Informationen eher uninformiert als informiert. Das nutzen Demagogen aus. So uninformiert und manipuliert gehen wir dann zur Wahl - wenn wir das überhaupt tun. Daraus folgt für mich: Wir sollten eigentlich einen „Wahl-Führerschein“ haben.

Ist die Q-Economy eine Abkehr vom Kapitalismus?

Nein, es ist eine Verbindung. Der Kapitalismus von Adam Smith und seinen Jüngern ist ein unvollendeter Kapitalismus und benötigt eine Weiterentwicklung. Die Old Economy ist tot, aber die New Economy ist ebenso tot. Die glorreichen Versprechen der 90er, Ferraris und Yachten für alle, die kann und wird es nicht geben. Das verstehen alle, aber niemand möchte sich limitieren.

Wirtschaft und Führung definieren sich über Gewinn und Verlust. Dabei geht es doch darum, möglichst lange mitzuspielen.
Anders Indset

Die Menschen, zumindest in der westlichen Welt, werden nicht aufhören zu konsumieren. Wir brauchen einen anderen Weg. Ich sage, wir sollten lernen, Vitalenergie zu kapitalisieren: Werte, Verstand, Liebe. Es könnten ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, die nicht auf dem Materialismus und nicht auf dem ressourcenfressenden System beruhen. 

Sollen diese Geschäftsmodelle auch profitabel sein?

Wir glauben heute, dass wir sofort gewinnen müssen. Wirtschaft und Führung definieren sich über Gewinn und Verlust. Dabei geht es doch darum, möglichst lange mitzuspielen. Ist ein Unternehmen lange in der Wirtschaft, ist es auch einigermaßen erfolgreich. Wir sollten Wirtschaft als ein zirkuläres System verstehen, ein unendliches System. Bei einem endlichen System geht es sofort um Maximierung und kurzfristige Siege. So läuft das aber nicht.

Gibt es bereits heute Unternehmen, die solche Geschäftsmodelle anbieten?

Es gibt durchaus Initiativen, die auch profitabel sind. Ich schreibe in meinem Buch über das Unternehmen Philips. Das beruht eigentlich auf dem Geschäftsmodell, dass eine Glühbirne so und so viele Stunden hält und dann ausgetauscht werden muss. Philips wurde von einem Architekten herausgefordert, der weder eine Lampe, noch eine Glühbirne noch einen Stromvertrag kaufen wollte, sondern einfach nur Licht. Daraus entstand Light as a Service. Bei so einem Ansatz, bei dem die Menschen eben nur für das Licht bezahlen oder zum Beispiel nur für Mobilität, wird die gesamte Verantwortung für das Produkt auf den Hersteller zurückgeführt. Es liegt dann im Interesse der Hersteller, eine Wiederverwendung der Materien zu haben, weil die Kosten dadurch geringer sind.

Das klingt nach einer Shared Economy.

Mieten ist das neue Besitzen. Wir werden zu Gebrauchern von Produkten und nicht zu Verbrauchern. Alles ist as a Service. Gerade die junge Generation spürt, dass Besitzen eigentlich lästig ist. Wenn wir es schaffen, die Bedürfnisse der Menschen, die sicherlich zum Teil zu hoch sind, abzudecken durch Nutzung und Mieten statt Kaufen und Verbrauchen, ist das ein essentieller Bestandteil von der Quantenwirtschaft.

In seinem Buch
In seinem Buch „Quantenwirtschaft“ stellt Anders Indset die Frage „Was kommt nach der Digitalisierung?“

Heutige Unternehmen, die eine Art der Plattform-Ökonomie betreiben, sind nicht unbedingt als gute Arbeitgeber bekannt, die Verantwortung für ihre Mitarbeiter übernehmen.

Das sehe ich auch kritisch. Diese Unternehmer aus dem Silicon Valley, die uns die Welt erklären sollen, sind in einem sehr egozentrischen und geschlossenen System groß geworden, das auf Hardcore-Kapitalismus beruht. Eine Unternehmenskultur kann nur von den Menschen gestaltet werden. Ich glaube, in Zukunft werden junge Menschen nur für die Unternehmen arbeiten, die sie menschlich behandeln.

In deinem Buch schreibst du über die junge Generation und beschreibst sie als eine Generation der Erwachten. Passend dazu machen aktuell die Fridays for Future Schlagzeilen.

Ich habe das Buch nicht in den letzten paar Wochen geschrieben. Das ist eine Beobachtung, die ich seit vielen Jahren mache. Das, was jetzt als Revolution bezeichnet wird, ist eigentlich eine Reaktion auf ein überholtes System und war schon länger sichtbar. Das ist symptomatisch für unsere Gesellschaft. Wir warten ab und bezeichnen etwas als eine Revolution, dabei hätten wir die Herausforderungen schon früher erkennen und somit vieles besser bewerkstelligen können.

Diese Generation, von der ich schreibe, möchte etwas schaffen, was größer ist als das Wir. Sie unterscheidet sich von den 68ern, denn sie ist sehr handlungsstark. Sie konfrontiert Entscheider mit essentiellen Fragen und bringt ein hohes Bewusstsein mit. Ich hoffe, dass das sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft einige Menschen zum Umdenken anregt. 

Du berätst Führungskräfte, die momentan Machtpositionen inne haben. Was wünschst du dir von den CEOs dieser Welt? Was rätst du ihnen?

Sie sollen ins Handeln kommen und ihren Worten Taten folgen lassen. Veränderung ist nicht schnell und radikal, sie vollzieht sich sehr langsam und durch kleine Schritte. Nehmen wir zum Beispiel die Initiative von Bill Gates. Da erklären sich Milliardäre bereit, einen Teil ihres Vermögens zu spenden, beziehungsweise zurückzuführen ins System. Da entsteht ein sozialer Druck, jenseits einer Gesetzgebung.

Du forderst außerdem, dass Führungskräfte nicht nur handeln, sondern auch denken.

Je höher wir in der Hierarchie kommen, desto schlechter wird unsere Selbstwahrnehmung. Unternehmer machen einen Financial Audit, aber keinen Self Audit. Die Menschen sollten sich mehr Zeit für sich selbst nehmen, um den Rollen, die sie spielen, auf die Schliche zu kommen. Noch nie gab es eine Elite an Leadern und Managern, die so fit waren. Sie machen alles für ihren Körper, aber eben keine tiefen Kniebeugen für die Rübe.

Wie könnte so ein Nachdenken im Alltag aussehen?

Man kann sich mindestens einmal in der Woche eine Denkstunde im Kalender blocken, in der man nichts tut, außer das eigene Gehirn zu trainieren. Nach diesen Sessions wird man schnell erkennen, dass da etwas passiert. Man wird aufmerksamer, sieht Dinge aus einer anderen Sichtweise, hört besser zu.

Eine Frage, die du dir in deinem Buch stellst, und die sicherlich in der ein oder anderen Denkstunde bearbeitet werden könnte, lautet: „Was kommt nach der Digitalisierung?“

Das ist für mich eine neue philosophische Frage, die genauso reell ist wie die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Wir reden von der digitalen Transformation. Aber wohin transformieren wir uns überhaupt? Wie wollen wir die Zukunft gestalten, wo bleibt der Mensch? Wenn wir die Digitalisierung so weiter treiben, ohne uns diese Frage zu stellen, sind wir auf dem Weg, uns selbst überflüssig zu machen, und auf dem Weg dahin den Planeten zerstören. 

In „Quantenwirtschaft“ beschreibst du, wie eine bessere Zukunft aussehen könnte: „Wir müssen eine neue Ökonomie gestalten – eben eine Quantenwirtschaft, in der auf der Basis neuer Technologien sinnvolle Jobs in einer nachhaltigen Wirtschaft und in einer stabilen Demokratie auf einem ökologisch intakten Planeten bestehen.“

Wir haben den Glauben an Utopia verloren. Wir haben keine Leitidee. Das ist mein Versuch, den Menschen wieder einen Ausblick zu geben. 

 

Anders Indset ist Wirtschaftsphilosoph, Publizist und Unternehmer. Sein neues Buch „Quantenwirtschaft“ ist am 29. März 2019 im Econ-Verlag erschienen.