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Organisationsrebellen #6: Kulturwandel 4.0 bei OTTO – Mit systemischem Denken aus der Buzzword-Falle

Andersmacher, Visionäre und Querdenker, kurz Organisationsrebellen, geben in der Interview-Reihe „Grabmeiers Organisationsrebellen-Talk“ Einblick in ihre Erfahrungen mit der Transformation von Unternehmen. Die Devise lautet: Organisation nicht nur neu denken, sondern auch neu machen.

Stephan Grabmeier
Stephan Grabmeier

Im Interview traf Stephan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist der Haufe Group, Conny Dethloff, Division Manager BI Agile Product and Data Management bei OTTO. Im Talk stellt er wichtige Begriffe aus der Welt der Transformation in den Kontext seiner Arbeit und führt in die praktische Umsetzung ein. Dabei gab der Organisationsrebell sein Geheimrezept für einen erfolgreichen Wandel preis:

Jeder Mensch muss bei jeder Aufgabe, die er erledigt, einen Sinn darin erkennen. Nur dann arbeitet der Mensch gern und ist zu 100% dabei.
Conny Dethloff, OTTO

Transformation bei OTTO

OTTO ist dem Großteil der Deutschen ein Begriff und, weniger bekannt, Vorreiter der digitalen Transformation. Bereits in den 1990er Jahren begann der Wandel zum eCommerce-Unternehmen. Bestellungen über Telefon und der Hauptvertriebsweg über Produktkataloge wichen sehr früh einem Onlineshop, heute ist OTTO einer der führenden Online-Händler weltweit. Was die Haufe Group und OTTO miteinander verbindet: Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns und haben früh erkannt, dass die Mitarbeiter einer der wichtigsten Faktoren sind, um sich in disruptiven Märkten mit kurzen Produktzyklen zu behaupten.

Wir haben gemerkt, dass es nicht reicht, sich technologisch weiterzuentwickeln. Wir hatten immer noch Strukturen, die aus unserer erfolgreichen Vergangenheit kamen, aber heute nicht mehr passend waren.
Conny Dethloff, OTTO

Dass ein Wandel nötig ist, erkannte der ehemalige Vorstandsvorsitzende Michael Otto bereits 1998. Er soll dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Dr. Rainer Hillebrand den Auftrag gegeben haben: „Machen Sie mir den Konzern E-Commerce-fähig.” Dieser Prozess ging mit Veränderungen an Systemen, Prozessen und Strukturen einher und warf die Frage auf: „Was ist die optimale Geschwindigkeit der Veränderung?“ Um das zu klären, rief das Unternehmen Experimente und Leuchtturmprojekte ins Leben, um einen Kulturwandel anzustoßen. Eines davon ist der Kulturwandel 4.0, mit dem Otto sich auf den digitalen Wandel einstellt. Conny Dethloff und sein Team sind Teil davon, operationalisieren die Herausforderungen in mutigen Experimenten und liefern damit wertvolle Impulse für den konzernweiten Wandel.

 

Das Nachschlagewerk zur erfolgreichen Transformation

Conny Dethloff bezeichnet sich selbst als freies Radikal im Otto Universum. Der einstige Mathematiker begann 2006 eine – wie er sie nennt –  ‚Reise des Verstehens‘ und dokumentiert diese in seinem gleichnamigen Blog. Diese Reise führte ihn zu unterschiedlichen Themen der neuen Arbeitswelt. Wesentlicher Antrieb war dabei die Frage nach dem Sinn: Denn Arbeit und Mensch waren für ihn in vielen Bereichen nicht mehr sinngekoppelt. Das wollte er ändern.

Ich glaube grundsätzlich daran, dass Menschen einen Sinn brauchen, um etwas Gutes zu machen.
Conny Dethloff, OTTO

So verwundert es nicht, dass er im Organisationsrebellen-Talk begann, Buzzwords der Transformation mit Sinn zu befüllen:

1. Agilität

„Agil ist mittlerweile ein Wort, das ich nicht mehr hören kann“, sagt Conny Dethloff. Das Thema Agilität existiert seit fast 70 Jahren. Neue Bedeutsamkeit erlangte der Begriff im Zuge der Digitalisierung. Entsprechend gibt es bereits Definitionen en masse – und Unternehmen stehen heute vor der Aufgabe, die individuell richtige Definition für sich finden. Für Dethloff ist der Kontext eine wesentliche Bestimmungsgröße für Agilität. Diesen definiert er über vier Leitfragen:

  • Wer sind meine Kunden?
  • Welche Wünsche haben unsere Kunden?
  • Wie können wir diese schnellstmöglich erfüllen?
  • Wie werden wir stetig besser?

Erst anhand dessen kann jedes Unternehmen Agilität im eigenen Kontext definieren. So ist eine gängige Übersetzung des Begriffs mit „Schnelligkeit und Flexibilität“ für ihn kontextlos. Muss ein Unternehmen flexibel sein? Ja. Aber gibt diese Antwort allein einen Mehrwert? Nein. Denn das Maß der Flexibilität ist für jedes Unternehmen verschieden – beispielsweise in Abhängigkeit zu dem Markt, in dem es sich bewegt.

Das ist, wie wenn man einem Fußballer vorwerfen würde, nicht so schnell zu sein, wie Usain Bolt im 100-Meter-Sprint. Dabei muss er das gar nicht. Er muss nur schnell genug sein, um seine Ziele im Fußball zu erreichen.
Conny Dethloff, OTTO

2. Der systemische Ansatz

„Es geht darum, Brücken zu bauen. Wir brauchen viel mehr Brückenbauer, die die Experteninseln vernetzen“, sagt Conny Dethloff. Gerade in unserer vernetzten Wirtschaft haben isolierte Betrachtungen von Problemen wenig Aussicht auf Erfolg. Dennoch sind zahlreiche Unternehmen noch immer nach genau diesem Prinzip organisiert: Getrennte Silos produzieren Insellösungen, die mit großem Aufwand wieder integriert werden müssen. Systemische Ansätze berücksichtigen Abhängigkeiten frühzeitig und eröffnen damit völlig neue Lösungsräume für nachhaltige Lösungen.

3. Kybernetik

Kybernetik ist die Theorie der Regelung und Steuerung dynamischer Systeme. Sie analysiert Organisationen und ihre Einheiten und versucht, Muster zu erkennen, die das System ohne Eingriff von außen lebensfähig machen. Auch Unternehmen sind jene Systeme und funktionieren nach bestimmten Mustern. In der Kybernetik gilt es, diese für die jeweilige Situation zu identifizieren und auf das eigene Wirken zu übertragen. Bedeutet das also für deren Transformation: Erst wenn bestehende Muster bewusst begriffen sind, kann man sie erfolgreich ändern und neuen Gegebenheiten anpassen?

4. Demokratie

Basis für dieses Szenario ist die Mitbestimmung von Mitarbeitern in Unternehmen. Haufe beispielsweise lebt diese in Form von Führungskräftewahlen, spiralförmigen Karrierewegen und selbstgesteuerten Teams.

Ich habe einen Traum, dass bei Otto jederzeit wenn man ein Problem hat, immer die Menschen am Tisch sitzen, die zu dem Problem die meisten Skills haben.
Conny Dethloff, OTTO

Führungskräfte nehmen oft an themenbezogenen Meetings teil, an deren Ende die Mitarbeiter eine Entscheidung von ihnen erwarten. Dafür bedarf es einer zeitintensiven Vorbereitung. Der effizientere Weg wäre, die Experten für das jeweilige Thema von vornherein die Entscheidung treffen zu lassen. Denn sie verfügen über das Know-how, um den bestmöglichen Entschluss zu fassen.

5. Feedback

Nur mit Feedback kommt zu Tage, was an Prozessen verändert werden muss. Deswegen ist es essenziell für die Transformation von Unternehmen. Einerseits brauchen die Führungskräfte Rückmeldung von ihren Mitarbeitern, was sie anders machen sollten. Andererseits müssen auch Führungskräfte Feedback ans Team geben. Allerdings, so Dethloff, nicht inhaltlich, sondern strukturell. Sie müssen die Zusammenarbeit in den Teams beobachten, zuhören und die Menschen verstehen – oder, wie OTTO es nennt: Management by walking around.

Führungskräfte arbeiten nicht im System, sondern am System.
Conny Dethloff, OTTO

6. Roll-in statt Roll-out

Braucht es einen bestimmten Zeitpunkt, einen Big Bang, an dem die Transformation in Unternehmen in Kraft tritt? Nein, glaubt Conny Dethloff und auch wir bei Haufe. Transformation funktioniert nur, wenn die Beteiligten von deren Notwendigkeit überzeugt sind und wenn sie das Gefühl haben, dass Wandel einen Sinn hat. Mit der Formulierung „Roll-in statt Roll-out“ beschreiben wir die Umkehrung der üblichen Implementierungsprozesse: Statt eine Veränderung in ein Unternehmen „hineinzurollen“ starten wir den Wandel im Kleinen, beispielweise in nur einem transformationsaffinen Team. Dieses fungiert dann als „Veränderungsprophet“, das die positiven Erfahrungen im Unternehmen verbreitet und so die Bereitschaft und das Verständnis für die Transformation schafft und diese so im Unternehmen „ausrollt“.

Dieser Beitrag ist erschienen auf dem Haufe-Blog „Mitarbeiter führen Unternehmen“.