New Work Business Transformation

Freiheit, Arbeit, Kreativität, Wertschöpfung – ein leidenschaftlicher Appell

Analyse Die große Wirtschaftsparty scheint vorbei. Und damit auch New Work, also Freiraum und Verantwortung für alle MitarbeiterInnen? Heißt es jetzt back to old school? Die Gefahr besteht, meint Bodo Antonic. Dabei brauchen wir Freiheit und Kreativität, um die Krise zu überstehen.

Ein Sturm zieht auf

Wenn am Strand die roten Bälle hochgezogen werden, die Strandwachen den Wassergang verbieten und der Wetterdienst eine Sturmwarnung ausgibt, ist klar: Schlechtes Wetter zieht auf. In der Wirtschaft ist das nicht anders. Alle Signale stehen hier mittlerweile auf Rot. Vielleicht nicht auf dunkelrot, aber ganz eindeutig auf  rot. Die Anzeichen (politische Krise, Vertrauenskrise, Indizes) sind eindeutig. Die nächste Wirtschaftskrise wird kommen. Ob es eine kleine oder eine große sein wird? Ich weiß es nicht und es schert mich auch nicht. Wichtig, dass die kommende Krise vorhergesagt werden kann wie ein Sturm.

Mir geht es darum, Mensch und Boot durch den Sturm zu bringen – vollzählig und unbeschadet.
Bodo Antonic

Wie durchsegelt man die Sturmfront? Mit wenig Ballast, so lässt sich leicht sagen. Und manch einer wird schon heute an Kosten- und Mitarbeiterabbauprogramme denken. „Gar nicht so schlecht, daß die Mitarbeiter endlich wieder einen auf die Mütze bekommen, eh viel zu aufmüpfig geworden“, werden sich die Degoutanten denken. Mein Denken ist das nicht. Mir geht es darum, Mensch und Boot durch den Sturm zu bringen – vollzählig und unbeschadet.

Der Wirtschaftsfasching ist zu Ende

Die Wirtschaft war in den letzten 15 Jahren ein Partyboot. Remmidemmi, Schnaps, Liebe, Lust und Leidenschaft. Gewinne und Gehälter stiegen, die Kostüme wurden immer wilder. Im Übermut trank so mancher Gast auch mal einen Schnaps zu viel. Die Grundstimmung: Heute ist Faschingsdienstag, also lasst uns feiern, morgen ist die Welt vielleicht grau. Und was kommt danach? Aschermittwoch, Fastenzeit? Kleiden wir uns in Sack und Asche?

Ein Teil des Wirtschaftsfasching drückte sich in einer immer intensiveren Diskussion darüber aus, wie aus Büros kreative Working Spaces werden: Darf es noch ein Flipper sein? Krawatten weg, Turnschuhe an! Und wieso mit den alten Möbeln nicht auch gleich die Chefs rausschaffen? Sollte man doch mal diskutieren dürfen ...

Die Faschingskostüme werden ausgezogen. Schluss mit lustig, weg mit Pappnase und Tröte.

Sie haben Recht: Ich übertreibe. Aber leider nur wenig. Während sich ein kleiner Teil der arbeitenden Bevölkerung mit abgehobenen Schnickschnack und Tand beschäftigen durfte und ein weiterer Teil reichlich opulente Gehälter und Gewinne einfuhr, wurde das Gros in der Mitte zwischen den Mühlsteinen der Belanglosigkeit zerrieben.

Und nun die Krise. Was bedeutet sie? Sie kann zum Abschmelzen der hohen Gehälter und Gewinne führen. Und mit Sicherheit werden Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Bevor jedoch der erste Mensch rezessionsbedingt entlassen wird, hat der Rotstift bereits seine ersten Opfer verlangt. Um im Bild zu bleiben: Die Faschingskostüme werden ausgezogen. Schluss mit lustig, weg mit Pappnase und Tröte. Und – jetzt aber Hallo! – schön brav wieder die Krawatte umbinden.

Am besten schmeißen wir gleich das ganze New Work raus. Braucht eh keiner. Ich befürchte, daß manch Entscheider genau so denken wird. Bringt eh keinen Umsatz und EBIT. So eine Krise ist eine feine Sache, um mal richtig den Hof aufzuräumen. Was keine Miete zahlt, fliegt raus. Hausmannskost statt Delikatesse. Kassalla!

New Work-Debatte: Wenig präzise und ohne Fokus

Dieses Verhalten muss sich die New Work-Szene selbst zuschreiben. Vor vielen Jahren als Utopie begonnen, hat sich das Thema zwar in geringem Maße in dem ein oder anderen Unternehmen etabliert, ist zugleich aber zu einem Reizwort geworden. Anstatt sich präzise und monothematisch auf die Frage zu konzentrieren, wie Arbeit in Zukunft organisiert werden soll, wurde aus verschiedensten Gründen (Inkompetenz, wirtschaftliche Interessen, Übereifer etc.) die ganz große Luftpumpe rausgeholt.

Die Szene hat dies leider zugelassen. Selbsternannte Blog-Management-Gurus pumpen das Thema zu einer immer größer werdenden Bullshitbingo-Buzzword-Blase auf. Am besten mit irgendwelchen netten Präfixe wie digital oder agil. Eingedenk der Tatsache, dass New Work eine in der Detroit´schen Autokrise geborene Idee ist, mutet es geradezu grotesk an, wenn die sich andeutende Krise ihr eigenes Kind verschlucken wird, wie einst Kronos seine Kinder.

Die Krise droht ihr Kind zu verschlingen wie Kronos einst seine Kinder.

ABER: Die Schelte gilt der Art und Weise der Diskussion, nicht dem Thema. Von den neuen Ansätzen der Arbeit – vulgo New Work – geht ein erhebliches Wertschöpfungspotenzial aus. Gerade in der Krisenbewältigung und Krisenabwehr.

Der Gedanke, Unternehmen und Mitarbeiter freier zu koppeln, größere Freiräume zu lassen, ist richtig. Nur freier Geist kann schweben und kreativ die Lösungen finden, die wir in der Krise brauchen. Ein auf Linie gezwungenes Gehirn mag effizient sein, ist jedoch nicht in der Lage, ausgetretene Trampelpfade zu verlassen. Krise aber braucht genau diesen unorthodoxen Geist.

Mensch und Unternehmen als tanzendes Boot

Ein ganz wunderbares Bild ist für mich das der „tanzenden Boote“. Mit langen Tauen und Seilen sind die Grenzen gesteckt, jedes Boot „an die Leine gelegt“, in ihren Bewegungen sind sie jedoch frei. Im Unternehmen würde dies bedeuten, dass einige wenige Grundsätze festgelegt sind, die Mitarbeiter innerhalb gewisser Grenzen sich aber selbständig organisieren können. Sie bewegen sich miteinander und synchron. Einem Pas de deux gleich, tanzen sie auf den Wellen, berühren sich selten und sollten sie sich einmal zu nahekommen, sorgen „Puffersysteme des gegenseitigen Respekts“ (Fender) vor allzu großem Schaden.

Eingesperrte Gehirne können nicht schweben

Was haben tanzende Boote mit New Work oder mit der Frage zu tun, wie viel Freiheit Menschen haben sollten? Beziehungsweise wie Arbeit organisiert werden sollte. Boxt man Menschen ein, kaserniert man ihr Denken. Dies ist ein altbekannter Kardinalfehler des Managements und Folgekonsequenz der allgegenwärtigen Versuche von Groß(Unternehmen), durch Standardisierung ein Mehr an Effizienz zu gewinnen. Ein derart ins Gefängnis gesteckter Geist kann kaum atmen, schweben und die kreativen Lösungen liefern, die es braucht, um die Krise zu überwinden.

Der Dreiklang Mut, Freiheit und Glück weist uns den Weg. Für viele Menschen gibt es Glück nur mit einem gerüttelt Maß an Freiheit. Freiheit, die sie für sich, und die der Geist zum Denken braucht. Wenn ich dem Glück meiner Mitarbeiter nicht im Wege stehen will, muss ich den Menschen die Freiheit lassen, die ihnen per se als emanzipierte Wesen zusteht. Dies bedeutet nicht Regellosigkeit und Chaos, aber eben auch nicht allgegenwärtigen Zwang.

Die New Work-Szene muss sich eine thematische Disziplin auferlegen.

Der Vorteil für das Unternehmen, der den Verlust der Kontrollillusion deutlich kompensiert, ist offensichtlich: Kreativ innovativ-disruptiver menschlicher Verstand. Und damit – ich wiederhole mich gerne! – Überlebensfähigkeit.

Damit Arbeitgeber das Potenzial größtmöglicher Freiheit zukünftig vermehrt entdecken und nutzen, muss die New Work-Szene sich eine thematische Disziplin auferlegen. Es braucht keinen Flipper-Firlefanz, keine Turnschuhe und noch viel weniger bedarf es einer Verknüpfung von Ökologie und Fundamentalkritik des Kapitalismus mit dem Thema New Work. Dies schreckt nur unnötig ab.

Fesselballons können nicht zu Überfliegern werden.

Nötig ist aber der eindeutige Nachweis, dass Unternehmen einen Benefit haben, wenn sie sich auf die Utopie New Work einlassen und in konkrete Maßnahmen umwandeln sollen. Lassen wir es also bitte zu, dass viele Arbeitgeber die Potentiale für New Work für sich entdecken, indem wir zukünftig die Zusammenhänge Freiheit-Arbeit-Kreativität-Wertschöpfung monothematisch diskutieren.