New Work Agilität

„New Work ist messbar“

Agilität, Hierarchieabbau, modernes Großraumbüro – oft sind die Ausprägungen von New Work in Unternehmen eher willkürlich. Das Thema verdient mehr, meint Prof. Dr. Carsten Schermuly von der SRH Hochschule Berlin und hat deshalb ein frei verfügbares Messinstrument für New Work entwickelt.

New Work kann Organisationen Wind unter die Segel bringen. Wie? Das lässt sich messen.
New Work kann Organisationen Wind unter die Segel bringen. Wie? Das lässt sich messen.

New Work ist ein Containerbegriff

Der Begriff „New Work“ ist in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Eine klare Definition? Fehlanzeige. Die Ansätze reichen von Demokratisierung und Führen auf Augenhöhe über agiles Arbeiten und Flexibilisierung der Arbeit bis hin zum Homeoffice. „New Work hat sich zu einem Containerbegriff entwickelt, in den jeder hineinwerfen darf, was er will“, schreibt Prof. Dr. Carsten Schermuly von der SRH Hochschule Berlin in seinem Buch „New Work – Gute Arbeit gestalten“, das kürzlich in der zweiten Auflage bei Haufe erschienen ist. Für Wissenschaftler ist es deshalb nicht leicht, konkrete Studiendesigns aufzusetzen. Aber New Work ohne Forschung, diese Vorstellung ist für Prof. Schermuly ein Graus. „Wir haben einen Fragebogen validiert und normiert, mit dem Unternehmen prüfen können, ob ihre New-Work-Instrumente wirken. New Work ist messbar“, konstatiert er.

Will die wirtschaftliche Wirksamkeit von New Work wissenschaftlich belegen: Prof. Dr. Carsten Schermuly, SRH Hochschule Berlin.     Foto: Stefanie Hornung
Will die wirtschaftliche Wirksamkeit von New Work wissenschaftlich belegen: Prof. Dr. Carsten Schermuly, SRH Hochschule Berlin. Foto: Stefanie Hornung

Selbstfindung gepaart mit Empowerment

Schon zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn war Carsten Schermuly von den Ideen des New-Work-Begründers Frithjof Bergmann fasziniert. Umso mehr überraschte ihn, dass so viele Unternehmen auf das Thema anspringen. „Bergmann wollte ursprünglich, dass die Menschen höchstens noch zwei bis drei Tage pro Woche mit Lohnarbeit verbringen und ansonsten herausfinden, was sie wirklich wirklich wollen. Dann kam noch der Aspekt der Selbstversorgung dazu – auf Grundlage von eigens entwickelten Systemen“, so Schermuly.

Wenn schon New Work mit Lohnarbeit verbinden, dann wenigstens so, dass die individuellen Perspektiven der Menschen dadurch tatsächlich den Ausschlag geben.

An der SRH Hochschule Berlin spinnt er die Ideen von Bergmann weiter, hat sie zu seinem persönlichen wissenschaftlichen Experimentierfeld gemacht. Selbstbestimmtes Arbeiten und Selbstfindung des austro-amerikanischen Philosophen kombiniert er mit psychologischem Empowerment von Gretchen Spreitzer von der Universität von Michigan, das die Managementprofessorin 1995 einführte. Psychologisches Empowerment setzt sich demnach aus vier Wahrnehmungen zusammen. Es handelt sich um das Erleben von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss im Beruf. Die Theorie: Menschen, die sich psychologisch empowert fühlen, erleben ihre Tätigkeit als sinnvoll und trauen sich ihre Arbeitsaufgaben zu. Sie nehmen Autonomie wahr und sind überzeugt, dass ihre Arbeit etwas bewirken kann. Diese subjektiven Interpretationen der Arbeitsrealität ergeben zusammen ein besonderes Gefühl der intrinsischen Motivation, was zu mehr Proaktivität führt.

Containerbegriffe sind irgendwann voll, stinken und verlieren dann dramatisch an Attraktivität. New Work hat mehr verdient.
Prof. Carsten Schermuly, SRH Hochschule Berlin

Wenn schon New Work mit Lohnarbeit verbinden, dann wenigstens so, dass die individuellen Perspektiven der Menschen dadurch tatsächlich den Ausschlag geben, findet Schermuly. Das wirke sich nicht nur positiv auf die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an das Unternehmen und die Leistung der Mitarbeiter aus. Der Professor zeigt an der SRH Hochschule mit seinen Studien, dass auch mehr Innovationsverhalten, der Wunsch nach einem späteren Renteneintrittsalter sowie eine geringere Depressionsneigung daraus resultieren. Damit wird psychologisches Empowerment für den Forscher zur Zielmarke und Messlatte für New Work.

Fragebogen im Praxistest

Er arbeitet seit rund zehn Jahren mit einem Fragebogen aus 12 Fragen, mit dem Unternehmen messen können, wie empowert sich die Mitarbeiter fühlen (frei verfügbar im Buch „New Work – Gute Arbeit gestalten“, S. 74). Dabei verwendet sein Team die Items von Spreitzer, die weltweit zum Einsatz kommen, hat diese aber kulturell für den DACH-Raum übersetzt. Dieses Messinstrument setzt der Professor im Optimalfall über einen längeren Zeitraum in Organisationen ein, vergleicht die Entwicklungen im Empowerment-Erleben der Mitarbeiter zu verschiedenen Zeitpunkten mit wechselnden Ausprägungsformen von New Work. Mehr als 10.000 Beschäftige haben den Fragebogen inzwischen ausgefüllt und machen es zu einem mächtigen Analyse- und Vergleichsinstrument. Schermuly kann damit exakte Auskünfte darüber geben, wie sich das Empowerment-Erleben in einem Unternehmen von dem in anderen unterscheidet.

Der Wirtschaftspsychologe hat zum Beispiel eine Studienreihe durchgeführt, an der unter anderem eine mittelgroße deutschen Stadt mit 300.000 Einwohnern teilnahm. Oft darf er wie in diesem Fall den Namen der Organisationen nicht nennen, aber das eigene Forschungsdesign aufsetzen und die Daten in seine Studien einfließen lassen. Einer der wenigen offiziellen Auftraggeber ist BP. In der Raffinerie in Lingen, die seit 2002 zu dem britischen Mineralölunternehmen gehört und annähernd sämtliches in Niedersachsen gefördertes Rohöl verarbeitet, führt der organisationsbezogene Forscher eine typische Längsschnittstudie durch.

Die Komplexität der Arbeitswelt bekommen Führungskräfte nicht mit einer noch engeren Kontrolle in den Griff. Das macht die Mitarbeiter nur hilfloser und die Probleme noch komplexer.
Prof. Carsten Schermuly, SRH Hochschule Berlin

Der Auslöser: Alle fünf Jahre schließt der Standort, um die Maschinen einer Generalüberholung zu unterziehen. In dieser Pause des regulären Betriebs bemerkte die Organisation in der Vergangenheit ein starkes Empowerment der Mitarbeiter. BP wandte sich mit der Frage an Prof. Schermuly, wie sich dies auch auf den Arbeitsalltag im normalen Betrieb übertragen ließe. Das gemeinsame Projekt startete in 2018 damit, dass eigenverantwortliches Handeln Teil der Vision von BP Lingen wurde. Es wird mit diversen Workshops, Mitarbeiterbefragungen und einem Train-the-Trainer-Programm noch bis 2021 laufen. Vor und nach jeder Intervention, füllen die beteiligten Mitarbeiter den Fragebogen aus, um so mögliche Veränderungen oder Abweichungen von Vergleichsgruppen zu messen.

Empowerment ist ansteckend

Bei der Ausgestaltung von New Work können Unternehmen von bisherigen Erfahrungen beim Einsatz des Fragebogens profitieren. Meist seien Führungskräfte darauf konditioniert, alles im Griff zu haben und mit Mikromanagement kontrollieren zu müssen, hat Schermuly beobachtet. „Die Komplexität der Arbeitswelt bekommen Führungskräfte aber nicht mit einer noch engeren Kontrolle in den Griff. Das macht die Mitarbeiter nur hilfloser und die Probleme noch komplexer.“ In einem New-Work-Prozess stünden Führungskräfte vor der Herausforderung, eine neue Rolle zu lernen und anzunehmen. Da kämen leicht basale Gefühle wie Angst ins Spiel. Chefs müssten Macht weiterreichen, loslassen, stimulieren und schlicht auf die Selbstverantwortung der Mitarbeiter vertrauen. „Das fällt vielen sehr schwer. Denn es gibt immer etwa rund drei bis vier Prozent der Mitarbeiter, die Vertrauen missbrauchen. Diese Fälle sollte man gleich von Anfang an mit einkalkulieren, statt die New-Work-Maßnahmen dann beim ersten kleinen Misserfolg zurückzuschrauben“. Mit dem Einsatz von Coaching für Führungskräfte im Umfeld von New Work hat Schermuly gute Erfahrungen gesammelt.  Ein Coach könne diesen Prozess des Loslassens beispielsweise mit kleinen Experimenten fördern und zum Ausprobieren anregen.

Wichtig seien auch verschiedene Wechselwirkungen beim Empowerment-Erleben: „Es hilft wenig, einen Job als total bedeutsam zu erleben und selbstbestimmt vorgehen zu können, wenn man sich nicht kompetent genug fühlt, die Aufgabe zu meistern. Dann sind wir nicht in der Lage, Freiräume proaktiv zu nutzen.“ Die Arbeitsgestaltung und der jeweilige New-Work-Ansatz – angefangen mit Qualitätszirkeln bis hin zu Holakratie – könnten funktionieren oder nicht, je nachdem auf welchen Menschentypus Unternehmen damit stoßen. „Manche Menschen erleben aufgrund ihrer Persönlichkeitsfaktoren prinzipiell mehr Empowerment.“ Scrum sei etwa für manche Beschäftigte wunderbar, andere erlebten sich dabei aber im Gegenteil viel weniger kompetent. Deshalb spielen Personalauswahl und Personalentwicklung laut dem Professor für den Erfolg von New Work eine entscheidende Rolle.

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Eine weitere zentrale Erkenntnis des Wirtschaftspsychologen: „Empowerment ist ansteckend. Wenn eine Führungskraft aus einer höheren Hierarchieebene wenig Bedeutsamkeit, Kompetenz und Selbstbestimmung in ihrem Beruf erlebt, beispielsweise weil sie durch Bürokratie oder andere Umstände gegängelt wird, gibt sie das an Abteilungs- und Teamleiter weiter bis runter zu den Praktikanten.“ Diesen Mechanismus konnte er in seinen Studien nachweisen.

Fragebogen Vol. 2: Empowerment auf Kulturebene erweitert

Darüber hinaus gebe es bestimmte Führungsstile und Kulturelemente, die sich auf diese Empowerment-Kaskade positiv auswirkten. Förderlich ist laut dem Forscher beispielsweise eine offene Fehlerkultur. Jüngst hat er ein Instrumentarium entwickelt, das neben dem persönlichen Erleben von Empowerment auch eine entsprechende Kultur untersucht. „Wenn Mitarbeiter erleben, dass der Unternehmensleitung Grundsätze von Empowerment wichtig sind, fällt es Führungskräften leichter, Verantwortung abzugeben. Gleichzeitig können Mitarbeiter mehr Selbstbestimmung erleben“, so Schermuly.

Zwei große Studien hat er mit seinem Zweitfragebogen zur Kultur, der aus 16 Fragen zu Normen und Werten in der Organisation besteht, schon durchgeführt. Um das neue Instrument in der Praxis anzuwenden, fehlt ihm nur noch die Validierung in einer amerikanischen Stichprobe. „Dann können Unternehmen Fragebogen beispielsweise einsetzen, um zu explorieren, wie reif sie für New Work sind.“ Auch daraus soll sich ein frei verfügbares Tool entwickeln, das jeder in der eigenen Organisation eigenständig anwenden kann, wie den Fragebogen zum persönlichen Empowerment-Erleben. Prof. Schermuly hofft gleichwohl darauf, dass er von den Anwendern in Unternehmen weiteres Datenmaterial bekommt. Denn er gibt auch etwas zurück: Organisationen sehen, wo sie und ihre Führungskräfte in Sachen New Work und Empowerment im Vergleich zu anderen stehen.

Ob sich Prof. Schermulys Ansatz gegen oberflächliches New-Work-Marketing durchsetzen kann? Es wäre zu hoffen. Denn wie der Forscher selbst sagt: „Containerbegriffe sind irgendwann voll, stinken und verlieren dann dramatisch an Attraktivität. New Work hat mehr verdient.“