New Work Agilität

New Work in der Insolvenz: „Wir waren zu früh dran“

Interview Was passiert in einem New-Work-Unternehmen, das sich wirtschaftlich nicht mehr halten kann? Peter Leppelt, Geschäftsführer der Praemandatum GmbH, die im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden musste, kann davon erzählen.

Peter Leppelt hat nicht nur Erfahrung mit neuen Unternehmensstrukturen, sondern auch mit dem Scheitern. Foto: Karl Knerr
Peter Leppelt hat nicht nur Erfahrung mit neuen Unternehmensstrukturen, sondern auch mit dem Scheitern. Foto: Karl Knerr

Demokratie als Arbeitsgrundlage

„Das Unternehmen bist du“ – diese Überschrift ist eine der ersten, die bei einer Suche nach dem Unternehmen Praemandatum aufkommt. Der Link führt zu einem Artikel des Magazins Brand Eins aus dem Jahr 2015: „Viele IT-Firmen experimentieren mit demokratischen Strukturen, aber kaum eine treibt es so weit wie Praemandatum aus Hannover“, heißt es dort in der Einleitung. Heute, fünf Jahre später, ist das Vorzeigeunternehmen Geschichte. „Ende 2007 hat es begonnen und jetzt, nach 12 Jahren, geht es zu Ende. Die Praemandatum wird aufhören zu existieren“, so steht es in einem Blogbeitrag auf der Unternehmensseite. Hat es die IT-Firma mit dem Experiment zu weit getrieben? Ein Anruf bei Geschäftsführer Peter Leppelt.

Herr Leppelt, Ihr Unternehmen, Praemandatum, ist seit Ende 2019 insolvent. Was ist passiert?

Wir haben in den vergangenen Jahren immer größere Kunden betreut. Das ist eigentlich eine gute Sache, allerdings hingen wir dadurch auch an deren Tropf. 2019 hatten wir leider einige Situationen, in denen es bei verschiedenen Kunden zu Verzögerungen bei Zahlungszielen, Projektstarts oder einem Wechsel der Ansprechpartner kam.

Sprich, es kam zu Liquiditätsproblemen.

Ja, und die konnten wir irgendwann nicht mehr puffern – allein schon durch die laufenden Personalkosten. Am 11. November 2019 mussten wir dann leider die Entscheidung treffen, dass wir nicht mehr weitermachen können.

Praemandatum gab es seit 2007 und hat sich von Anfang an dem Datenschutz in Unternehmen gewidmet. Außerdem hat die Firma die klassische Unternehmensorganisation hinterfragt. Laut Ihrer Satzung gab es Einheitsgehälter, freie Wahl der Arbeitszeit, ein klares Unternehmensziel und demokratische Organisationsstrukturen - und das alles schon seit 2012. So viele innovative Ideen und dann eine Insolvenz. Das passt doch nicht zusammen?

Doch, das passt leider sehr gut zusammen. Wer ist denn schlussendlich erfolgreich mit innovativen Ideen? Es sind ganz selten die, von denen die Innovation ausging. Facebook, Google, etc. – das sind alles Imitate von Dingen, die vorher schon da waren. Mit allem, was wir gemacht haben, waren wir fünf, sechs Jahre zu früh dran. Das kann man jetzt visionär oder dämlich nennen.

Unsere Philosophie hat uns einzigartig gemacht.

Also war Praemandatum einfach immer seiner Zeit voraus?

Wenn man mit etwas um die Ecke kommt, was die Leute bereits verstanden haben und wofür es bereits einen Markt gibt, hat man es viel einfacher. Man muss nicht nochmal alle möglichen Fehler der Pioniere machen. Und die haben wir sicherlich gemacht.

Welche waren das zum Beispiel?

Wir mussten den Leuten immer erklären, warum wir die Dinge so tun, wie wir sie tun. Das hat oft sehr viel Zeit gekostet und damit auch Geld. Dann haben wir 2016 unser Tochterunternehmen Qabel gegründet, mit dem wir eine Verschlüsselungssoftware an den Markt bringen wollten. Das hat leider nicht funktioniert und Dinge verkompliziert. Dazu kam, dass es auf dem Markt Anbieter gibt, die die Dinge einfacher darstellen, als sie wirklich sind. Wenn Anbieter von IT-Security einem Unternehmen 100-prozentige Sicherheit versprechen, lügen sie. Wir haben uns in unserer Satzung, der principia preamandatum, eine Unternehmensphilosophie gegeben und Handlungsmaximen, an die wir uns auch gehalten haben. Dadurch haben wir unserer Dienstleistungen gleichzeitig eingeschränkt.

Radikale Transparenz - nach innen und zu den Kunden

War das in der Retrospektive ein Fehler?

Nein, das würden wir jederzeit wieder so machen. Unsere Philosophie hat uns einzigartig gemacht. Das ist in unserer Branche wichtig. Denn, wie bekommt man die richtig guten IT-Leute? Entweder mit viel Geld oder eben mit Ethik. Wenn die Menschen das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihre Arbeit sinnvoll ist, ist das ein starker Antrieb und Anziehungspunkt. 

Das Organisationsmodell hat uns gerettet. Sonst hätte es Praemandatum nicht so lange gegeben.

Zum Organisationsmodell von Praemandatum gehörte auch ein gleicher Stundensatz für die ganze Belegschaft, freie Arbeitszeitgestaltung, Wahlen und vieles mehr, was man unter dem Schlagwort New Work zusammenfassen könnte. War dieses andere Unternehmensmodell vielleicht zu viel des Guten?

Im Gegenteil. Das Organisationsmodell hat uns gerettet. Sonst hätte es Praemandatum nicht so lange gegeben. Das Unternehmen erlebte schon 2015 eine schwierige Zeit. Damals haben wir uns dafür entschieden, in einen Notbetrieb zu gehen. Wir haben alle auf Teile unseres Lohns verzichtet. Sonst hätten wir 25 unserer 30 Mitarbeiter kündigen müssen. Fünf Leute haben die Firma freiwillig verlassen. Als es dann wieder bergauf ging, konnten wir vier wieder zurückgewinnen. Das wäre doch in einem anderen Unternehmen nie möglich gewesen.

Die Satzung der Praemandatum GmbH auf den Punkt gebracht. Screenschot:praemandatum.de
Die Satzung der Praemandatum GmbH auf den Punkt gebracht. Screenschot:praemandatum.de

Jetzt ist Praemandatum trotzdem insolvent. Gab es auch 2019 so einen Notbetrieb?

Ja, allerdings haben wir nichts am paritätischen Gehalt verändert. Einige haben aber weniger gearbeitet und viele den Vertrieb unterstützt. Wir haben uns gesagt, entweder schaffen wir es mit vereinten Kräften oder wir gehen gemeinsam unter. Tja, und das ist dann leider auch passiert.

Selbst das Ende gemeinsam besiegelt

Und wie war der Untergang? Haben Sie die Entscheidung zu schließen gemeinsam getroffen?

Da gab es nichts mehr zu entscheiden. Es wurde für uns entschieden. Und dass es uns schlecht geht, das war jedem der 30 Mitarbeiter die ganze Zeit klar, da bei Praemandatum alles, bis auf persönliche Daten, transparent einsehbar war. In unseren zweiwöchentlichen Teammeetings haben wir auch intensiv darüber gesprochen. Das letzte, über das wir alle gemeinsam entschieden haben, war der Artikel auf unserem Blog über das Ende. Denn auch das wollten wir so transparent wie möglich gestalten.

Wenn man auf halben Weg wieder in alte Strukturen zurückfällt, führt das wahrscheinlich nicht zum Erfolg.

Peter Leppelt arbeitet aktuell als Keynote-Speaker und Berater. Foto: Ludmilla Parsyak © Fraunhofer IAO
Peter Leppelt arbeitet aktuell als Keynote-Speaker und Berater. Foto: Ludmilla Parsyak © Fraunhofer IAO

Wie geht es dem ganzen Team von Praemandatum heute?

Das Gute ist, dass wir alle ein Haufen intelligenter Menschen sind. Die Leute haben keine Schwierigkeiten, etwas Neues zu finden. Wir sind auch noch alle miteinander vernetzt und verschaffen uns zum Teil gegenseitig Aufträge. Das Teamgefüge war bis zum Schluss sehr gut. Ich bin aktuell vor allem als Speaker unterwegs und kann so immer noch Leute zum Nachdenken bewegen. In den zwölf Jahren Praemandatum habe ich sehr viel gelernt und konnte mir ein tolles Netzwerk aufbauen. Ich habe immer noch den Eindruck, dass ich Dinge bewegen kann und das mit einem hohen Freiheitsgrad.

Was können Sie Unternehmen raten, die versuchen, mit einem anderen Organisationsmodell zu arbeiten und aktuell in Schwierigkeiten sind?

Naja, einige neue Wege funktionieren, andere funktionieren eben nicht. Das heißt aber nicht, dass die alten Wege besser funktionieren. Wenn man auf halbem Weg wieder in alte Strukturen zurückfällt, führt das wahrscheinlich nicht zum Erfolg. Man muss lernen, schneller und öfter zu scheitern. Und ganz wichtig: Man muss die Leute ernst nehmen und wertschätzen. Wenn ich Entscheidungen dezentralisiere, müssen alle einen Zugang zu den Informationen haben - auch wenn es mal nicht gut läuft. Das macht auch zum Schluss einen enormen Unterschied.

 

Zur Person

Peter Leppelt ist Diplom-Informatiker und hat 2007 die Praemandatum GmbH gegründet, zu der seit 2014 noch das Tocherunternehmen, die Qabel GmbH, dazu kam. Peter Leppelt berät Unternehmen und hält Keynotes und Vorträge zu den Themen Unternehmenskultur, Digitalisierung, IT-Security und Datenschutz.